Bissiges Kabarett in der Kirchseeoner ATSV-Halle:Schmähdrescher

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In seinem Programm "Letzte Patrone" gibt Django Asül den Welterklärer. (Foto: Christian Endt)

Der Niederbayer Django Asül übt Kritik an Europa und Merkel. Persönlich hat er das Narrativ vom sozialen Aufstieg des Einwandererkinds für sich gekapert.

Von Victor Sattler, Kirchseeon

"Bei uns im Stall kommt auch einer aus der Gegend her!", berichtet ein Zuschauer in der Pause aufgeregt, angesichts der bewegten Biografie des Kabarettisten Django Asül. Asül könnte es nicht bestreiten - sein Dialekt und Auftreten entlarven ihn als echten Niederbayern. In Kirchseeon wird er trotzdem herzlich aufgenommen, um aus seiner fernen Heimat bei Deggendorf zu berichten.

Dort, im beschaulichen Hengersberg, liefert ihm sein bestes Material der "Cappuccino-Stammtisch", an dessen Beratungen er regelmäßig teilnimmt. Auf der Bühne schlüpft er mit weggetretener Miene und kullernden Augen in die verschiedenen meinungsstarken Charaktere entlang der Tischkante und teilt, was diese an Analysen zum Besten geben, darunter eine haarsträubende Analogie, die alles politische Geschehen - vor allem die Flüchtlinge - anhand von Kängurus erklärt. Syrer seien, so der Stammtisch, "grad eben Syrer, weil's ihnen gut passt", überhaupt alle "sexuell veranlagt" und bekämen vom Integrationsbeauftragten auch noch "Vollkasko für Vollpfosten".

Vielleicht ist es kein Zufall, dass immer mal wieder Jan Böhmermanns Schmähgedicht einen Cameo bekommt, denn der Abend mit Django Asül beweist: Es stimmt nicht, dass man in Deutschland nichts mehr sagen darf. Asül schlägt in ähnliche Kerben wie seine Kollegen vom Stammtisch, stets europa- und merkelkritisch. Die EU ("dunkles Kapitel", "da ist die Luft raus") bilde sich schon mächtig was drauf ein, mal 150 Flüchtlinge umverteilt zu haben, dabei seien nach konservativen Schätzungen noch circa sechs Millionen weitere "im bayerischen Gazastreifen" untergetaucht ("Wenn mal etwas in Deutschland verschwindet, dann gleich sechs Millionen davon.") Die Balkanroute als "arabischer Jakobsweg" und klaffendes Leck habe Europa zum "In-Kontinent" gemacht. Man vergesse ja immer das Gute an der EU, wird Asül immer wieder beteuern; und er meint das genau so, denn er hat es selbst vergessen oder nie für gut befunden, auf alle Fälle kommt nichts.

Django Asül markiert sich mit einem anderen Standing als seine Stammtisch-Proleten. Er beginnt oft, indem er eine Studie anreißt, wahlweise auch, was "Anthropologen sagen" oder "die Uni Harvard fand", und merkt selbst mit einem bestechenden Strahlen: "I red' grod' unheimlich g'scheid daher!" Er gibt den Welterklärer, der geheime, türkisch-russische Diplomatengespräche auf Niederbayrisch aus dem Ärmel schütteln kann. Ein Abi habe es dafür nie gebraucht, im Nachhinein hätte er lieber drauf verzichtet; seine Lehrer zahlten heute Eintritt, um ihn hören zu dürfen. So hat er das Narrativ vom sozialen Aufstieg, das Einwandererkindern gern eingetrichtert wird, mit seiner erfolgreichen Kabarett-Karriere für sich gekapert - und wird vom Publikum mit Jubelstürmen belohnt, wenn er von den teuren Schlitten schwärmt, die er sich leisten kann.

Einmal kräftig aufs Mathe-Abi geschimpft, gesteht Django Asül, dass er in seinem Leben auf ganz anderes zählen konnte: Die Nachbarn in Hengersberg hätten ihn von klein auf zum Deutschen umerzogen. Ein Türke sei er nur in einem früheren Leben gewesen. Als er sich als Deutscher übt und seinem Vater mit größtem Pathos die Frage nach der Schuld stellt, zuckt dieser mit den Schultern: "Also, ich wurd' ja im August '45 geboren, und zwar in der Türkei."

Solche biografisch inspirierten Bits kommen einfach authentischer daher, als wenn Asül sich einen Wikipedia-Eintrag vorknöpft und dazu frei Assoziationen spinnt. Die griechische Sage von Europa erzählt er zum Beispiel so: Der Gott Zeus habe sich in einen Stier verwandelt, um EU-Agrarsubventionen abzugreifen, und die Königstochter Europa dann "nach klassisch nordafrikanischer Schule" entführt und sexuell belästigt. Hm, was soll's, denkt man sich, ist Satire. Aber der Künstlername "Asül", den sich Uğur Bağışlayıcı in den Neunzigerjahren gab (ein Programm heißt "Asül für alle"), wirkt im Kontext dieser hochpolitischen Witze dann doch hinterfotzig, weil er eine solidarische Verbindung zwischen dem Komiker und seinen Zielscheiben suggeriert, oder gar eine Insider-Stellung, wo keine ist.

Toll sind die Kirchseeoner, die Asül mit gar nichts davonkommen lassen. In der Pause korrigiert ihn jemand, dass Kirchseeon keinesfalls das "Kitzbühel der Ebersberger" sei, sondern Kitzbühel nochmal ein ganz anderes Kaliber. Weitere halb-ernste Thesen lösen sich von selbst auf. So etwa die Witzelei, die ATSV-Halle sei ein mondänes Theater nach Vorbild der Elbphilharmonie, was gleich mit einer Reihe elektrischer Ausfälle und herumrennenden Technikern beantwortet wird. Die Kirchseeoner können über die schlimmen Zustände - vor Ort und in der Welt - herzlich lachen.

© SZ vom 14.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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