Besuch im Unterricht:Ein persönlicher Blick auf die Geschichte

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Gisela Heidenreich klärt Schüler in Markt Schwaben über die Lebensborn-Ideologie der Nationalsozialisten auf

Von Valentin Tischer, Markt Schwaben

Eine besondere Begegnung war es für die Schüler des Franz-Marc-Gymnasiums: Die Autorin Gisela Heidenreich war gekommen, um mit den Schülern über das Lebensborn-Programm der Nationalsozialisten zu reden. Sie, selbst ein "Lebensbornkind", war angetreten, um mit den Gerüchten über das Programm aufzuräumen und den Schülern ein vom Lehrplan vergessenes Kapitel der deutschen NS-Geschichte nahe zu bringen. Mehr als 100 Schüler der neunten Klassen lauschten gespannt der mit 75 Jahren noch energiegeladenen Frau, wie sie ihre Lebensgeschichte erzählte und die Institution der Lebensbornheime erklärte. "Frau Heidenreich ist die beste Referentin für das Thema. Sie ist nicht verbittert und spricht über das Thema", erklärte die Fachleiterin Geschichte Elfi Jung-Strauß.

Gleich zu Beginn will Heidenreich mit zwei Mythen über das Lebensborn-Programm aufräumen. Die Heime seien keine Edelbordelle oder Züchtungshäuser gewesen und auch keine karitative Initiative, unterstreicht sie. Vielmehr seien die Heime eingerichtet worden, um zu verhindern, dass uneheliche Kinder mit in der Gedankenwelt der Nationalsozialisten "rassisch wertvollem Erbgut" abgetrieben werden. Müttern, die nationalsozialistischen Idealen entsprachen oder denen nahekamen, sollte eine anonyme Umgebung gegeben werden, um ihre Kinder auf die Welt zu bringen.

Heidenreich ist es wichtig zu betonen, dass der Lebensborn klar in der Rassenideologie der Nazis verankert war. Gerade auch in den besetzten Ländern entstanden Heime, um die Kinder von Einheimischen und deutschen Soldaten aufzunehmen. Viele dieser Kinder wurden dann nach Deutschland zu SS-Familien gebracht. Der Prototyp für die Heime entstand 1937 in Steinhöring, unter der Leitung von Heinrich Himmlers Leibarzt aus Kirchseeon.

Den Hauptteil ihres Vortrages widmet Heidenreich der Erzählung ihrer eigenen Lebensgeschichte. In ihr thematisiert sie die viele Facetten und Spuren, die das Lebensborn-Programm in Europa und in den Leben der Lebensbornkinder hinterließ.

Heidenreich kam 1943 in Oslo zur Welt. Ihre Mutter war Sekretärin beim Lebensborn in München gewesen. Unehelich schwanger wurde sie aus einer Affäre mit einem SS-Mann, im ländlichen Bayern zu der Zeit eine Schande für die Frau und auch das Kind. Heidenreichs Mutter ließ sich nach Norwegen versetzen, um dort ihr Kind zu bekommen, in einem Lebensbornheim in einem Vorort von Oslo. Noch während des Krieges kam Heidenreich zurück nach Deutschland, zusammen mit ihrer Mutter und anderen Kindern aus Norwegen, die zur "Aufnordung des deutschen Volkes" geschickt wurden. Sie wurde im Säuglingsalter bei ihrer Tante in Bad Tölz untergebracht. Die Mutter zog wieder nach München, und Heidenreich sah sie in ihren jungen Jahren sehr selten. Sie betrachtete ihre Tante als ihre Mutter und ihre Mutter als ihre Tante. Als der Onkel, der Soldat war, nach dem Krieg nach Hause kam, fragte er: "Was will denn der SS-Bankert hier?"

Heidenreich erzählt bewusst vor ihrem Leben, da sie glaubt, vor allem den Jugendlichen durch Emotionalität die Schrecken, die Verlogenheit und Verdrehtheit des Lebensborn nahezubringen. Die Schüler lauschen ihren Erzählung angespannt, niemand traut sich einen Laut von sich zu geben. Als sie einen Aufruf zur Vermehrung von Heinrich Himmler vorliest, ist vielen der Ekel in das Gesicht geschrieben. Erst später, als Heidenreich auf Nachfrage eines Schülers erzählt, wie sie ihren Vater und ihre Geschwister wiederfand, fällt die Anspannung ab.

Einen reinen Vortrag wollte Heidenreich nicht halten, weshalb sie den Jugendlichen noch genug Zeit einräumt, um Fragen zu stellen. Eine Schülerin fragt nach ihrem Vater und was er für ein Mensch gewesen sei. Heidenreich antwortet ihr mit einer Geschichte filmreifer Zufälle und Lügen. "Wie sind die Lebensborn-Kinder mit ihrem Schicksal umgegangen? Waren einige vielleicht sogar stolz darauf?" fragt ein anderer Schüler. Sie verneint. Den Schülern und ihren Fragen ist nicht anzumerken, dass es schon die neunte Schulstunde an diesem Tag ist. Nachdem alle Fragen beantwortet sind, wird Heidenreich mit viel Applaus von der Bühne verabschiedet.

Der Vortrag wird im Geschichtsunterricht noch nachgearbeitet. Die Rückmeldungen, die Susanne Meedt, die zwei der neunten Klassen in Geschichte unterrichtet, von den Schülern bekam waren durchweg positiv. Sie fanden es erstaunlich, dass Gisela Heidenreich soviel Persönliches berichtete und dass sie so intensiv auf die Schülerfragen einging.

Nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung bedanken sich die Lehrer der neunten Klassen noch einmal herzlich bei ihr. Es sei schade, dass der Lebensborn nicht auf dem Lehrplan stehe, merken sie an. Auch Heidenreich sagt, dass sie nur durch Zufall in Schulen komme, wobei das Franz-Marc-Gymnasium eine erfreuliche Ausnahme sei: Immerhin sechsmal war sie hier bereits in Klassen zu Gast. Über ihre Vorträge sagt sie, dass die Information von Jugendlichen über den Lebensborn ihre "selbstauferlegte Pflicht" sei.

© SZ vom 13.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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