Berufsförderungswerk Kirchseeon:Bildung wieder im Blick

Lesezeit: 3 min

Im Jahr 2016 musste das Ausbildungshotel schließen, kürzlich konnte der Betrieb weitergehen. Ausbildungen und Umschulungen sollen dort zum Jahreswechsel starten

Von Simon Gross, Kirchseeon

"Eigentlich kann man von hier aus die Bergkette der Chiemgauer Alpen gut sehen", sagt Hotelleiter Sascha Kurzawa, während er aus der Fensterfront des Seminarraums im 9. Stock Richtung Süden blickt. Oft schauten die Gäste beim Frühstück einfach nur aus dem Fenster, wie gebannt. An diesem Tag verhindert frühherbstliches Nieselwetter den imposanten Blick auf die Berge. Doch die trübe Aussicht täuscht. Im kommenden Januar nimmt das "Bildungsblick" wieder seinen Ausbildungsbetrieb auf. Als Teil des Berufsförderungswerks (BFW) bietet das Hotel Menschen, die ihrem früheren Beruf nicht mehr nachgehen können und umschulen wollen - sogenannten Rehabilitanden - eine Möglichkeit, sich zu Hotelkaufleuten ausbilden zu lassen.

Trüb - das ist in Kirchseeon eher der Rückblick. 2016 musste das Hotel unerwartet schließen. Der Grund: Das Geschäft lief zu gut. So sah es zumindest das zuständige Finanzamt Erding und sprach dem Betrieb seinen gemeinnützigen Status ab. Es drohten hohe Steuernachzahlungen für die gesamte Einrichtung, die das vorzeitige Ende für Hotel und Ausbildungsstätte bedeuteten. Vor einem Jahr feierte das "Bildungsblick" dann seine Wiedereröffnung - diesmal als gewinnorientiertes Unternehmen. "Es dauert immer eine Weile bis die Aufmerksamkeit der Gäste wieder da ist, aber nach einem Jahr sind wir auf einem sehr guten Weg", sagt der Hoteldirektor.

Hotelchef Sascha Kurzawa und Rezeptionistin Dolores Fischer. (Foto: Christian Endt)

Seit Mai vergangenen Jahres hat der gelernte Hotelbetriebswirt die Wiedereröffnung vorbereitet, Administration und Organisation aufgebaut. Seit September 2018 empfängt das Hotel wieder Gäste. Dafür holte sich Kurzawa die Unterstützung von fünf festangestellten Hotelfachkräften. Mit der Wiederaufnahme des Ausbildungsbetriebs wollte man sich allerdings etwas mehr Zeit lassen. "So eine Hoteleröffnung ist immer etwas chaotisch, damit tut man keinem Auszubildenden einen Gefallen", sagt Kurzawa. Mittlerweile aber seien die Abläufe eingespielt und die Nachfrage vorhanden - dank Geschäftsleuten, Wochenendurlaubern und Durchreisenden, die auf dem Weg Richtung Süden eine Pause einlegen wollen.

Hilmar Leuverink, der für die Ausbildung der kaufmännischen Berufe im BFW zuständig ist, hofft zum Ausbildungsbeginn auf eine Handvoll Rehabilitanden: "Bei fünf, sechs Teilnehmern wären wir super zufrieden. Aber auch einen einzigen würden wir ausbilden." In den vergangenen drei Jahren hat auch das BFW den Fachkräftemangel zu spüren bekommen. "Dass viele Unternehmen versucht haben ihre Arbeitskräfte irgendwie zu halten, führte natürlich auch dazu, dass bei uns weniger ankamen", sagt Leuverink. Doch die Pleite beim Hauptkonkurrenten im letzten Jahr, dem Berufsförderungszentrum Peters in Waldkraiburg, hat zu einer Stabilisierung der gesamten Teilnehmerzahlen im Haus beigetragen.

Die Gäste schätzen den Ausblick auf die Alpen ebenso wie die Kinderbetten, die bei Bedarf aufgestellt werden können oder die rollstuhlgerechten Dreibettzimmer, die mit einem besonders großen Bad ausgestattet sind. (Foto: Christian Endt)

Ohnehin sei nicht entscheidend, wie viele Teilnehmer es beim Neustart nächstes Jahr sein werden: "Wer eine Ausbildung versprochen bekommt, muss sie auch bekommen. Wir reden hier ja nicht von irgendwelchen Kühlschränken, sondern von Menschen", sagt Leuverink. Außerdem ginge es darum, das Vertrauen der Kostenträger nicht zu verlieren. Zwar bildet das Hotel auch vereinzelt gewöhnliche Azubis aus, doch beim Gros handelt es sich um Rehabilitanden, die von der Rentenversicherung und anderen Trägern wie der Arbeitsagentur vermittelt werden. In einem zweiwöchigen Kurs wird dann geprüft, welche Ausbildung den Fähigkeiten und dem Interesse der Teilnehmer entspricht.

Der Großteil der Rehabilitanden musste aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen ihren früheren Beruf aufgeben. Der Bäcker, der eine Mehlstauballergie entwickelt, der Lastwagenfahrer mit Bandscheibenvorfall - das seien typische Fälle, sagt Jochen Kunert, Bereichsleiter der beruflichen Bildung im BFW. Wegen der geringen körperlichen Belastung sei der kaufmännische Beruf optimal für eine Umschulung geeignet. "Eisenbieger wäre dagegen eher unpraktisch", ergänzt Kunert verschmitzt. Es gebe aber auch Teilnehmer mit psychischen Problemen, manche hätten auch mit beidem zu kämpfen. Deswegen werden die Teilnehmer auch über den gesamten Zeitraum medizinisch, psychologisch und sozialpädagogisch betreut.

Der Frühstückssaal liegt im neunten Stock des Gebäudes. (Foto: Christian Endt)

Die verkürzte Ausbildung für Hotelkaufleute dauert im "Bildungsblick" zwei Jahre, umfasst Theorie und Praxis - beides findet direkt im Unternehmen abwechselnd statt. Das Besondere: Anders als bei den weiteren Betrieben des BFW, die vom Elektroniker bis zum medizinischen Fachangestellten mehr als 20 verschiedene Ausbildungen anbieten, handelt es sich bei dem Hotel nicht um eine Trainingsstätte. Das "Bildungsblick" ist ein echtes Hotel, mit echten Gästen. Die Teilnehmer werden also unter denkbar realistischen Bedingungen ausgebildet. Sie lernen Veranstaltungen zu organisieren, Preise zu kalkulieren und mit Lieferanten zu verhandeln. Aber auch Wein- und Menükunde stehen auf dem Programm genau wie Putzdienst - damit die Teilnehmer wissen, worauf sie bei der Zimmerkontrolle achten müssen.

Ein besonderes Augenmerk liegt mittlerweile auch auf dem Umgang mit Online-Tools und Buchungsportalen. Das BFW hat zusammen mit dem "Bundesverband E-Commerce und Versandhandel" eigens ein Zertifikat entwickelt, das die Teilnehmer in einem zweieinhalbwöchigen Kurs erwerben können. "Ohne entsprechende Internetpräsenz hat man keine Chance mehr", sagt Kurzawa. Ebenso verhält es sich mit dem obligatorischen Sprachunterricht: Wer mit ausländischen Gästen kommunizieren will, kommt um Englisch nicht herum.

Besonders wichtig sei allerdings ein dreimonatiges Praktikum, für das sich die Auszubildenden selbst einen Betrieb aussuchen dürfen. "Bestenfalls bleiben unsere Teilnehmer dann im jeweiligen Betrieb kleben", sagt Leuverink. Der Grundstein für eine erfolgreiche Ausbildung werde jedoch an anderer Stelle gelegt, ist Kunert überzeugt: "Es steht und fällt mit dem Ausbilder." Daher würden diese sorgsam eingearbeitet und erhielten einen erfahrenen Mentor zur Seite. Außerdem sind spezielle Schulungen in Didaktik und im Umgang mit psychisch beeinträchtigten Menschen vorgesehen.

Mit dem Neustart der Ausbildung möchte Leuverink an frühere Vermittlungserfolge anknüpfen. Nicht ohne Stolz erzählt er, dass eine ehemalige Teilnehmerin es bis ins "Mandarin Oriental" in München geschafft habe - einem Fünf-Sterne-Luxushotel. Von der Dachterrasse des Hotels soll man ebenfalls einen umwerfenden Ausblick haben.

© SZ vom 17.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: