Beim Ebersberger Festival:Sax mit Biss

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Musikerin Nicole Johänntgen und Kabarettist Piet Klocke liefern mit "Musikhysterie und Wlancholie" ihre ganz eigene Jazz-Interpretation

Von Alexandra Leuthner

Da ist es wieder. Dieses Schnappen nach Luft, dieses hektische Gestikulieren bei der scheinbar verzweifelten Suche nach dem Ende des begonnen Satzes, diese unvergleichlich anstrengende Atemlosigkeit. Auf die Bühne kommen, sich hinsetzen, loslegen. Bei anderen Protagonisten, Kabarettisten, Musikern, beginnt nun erst die Show. Bei Piet Klocke geht dem Zuschauer bereits jetzt die angehaltene Puste aus, weil Klocke inzwischen mehrmals wieder aufgestanden ist, sein Redemanuskript zerknüllt, seine Jacke auf- und wieder zugeknöpft, eine Beschimpfung begonnen und abgebrochen hat. Keine Sekunde gönnt Klocke, Markenzeichen "zerstreuter Professor", seinen Zuhörern, um an etwas anderes zu denken als an - ja eben, daran, wie denn nun dieser Satz zu Ende geht.

Man darf gespannt sein, wie sich das Zusammenspiel mit der Saxofonistin Nicole Johänntgen und auch, wie sich der Jazz in Klockes Vortrag einfügen wird, wenn beide gemeinsam im Rahmen von Ebe-Jazz im Alten Speicher auftreten. "Er ist unglaublich schnell und auch auf der Bühne oft spontan", erzählt Johänntgen am Telefon. Die gebürtige Saarländerin lebt seit 15 Jahren in der Schweiz, ist weltweit als Saxofonistin unterwegs, für Auftritte mit verschiedenen Bands, Aufnahmen, Unterrichtsprojekte. Auf 15 CDs ist sie mit ihrem Saxofon vertreten - dem Instrument, das sie nie mit einem anderen vertauschen würde. Ihre musikalische Karriere hat sie als Kind am Klavier begonnen, "aber dann habe ich eine Saxofonistin im Fernsehen gesehen und mich in den Klang verliebt." Kurz darauf war das neue Instrument im Haus, die Eltern haben die Musikleidenschaft ihrer Tochter gerne unterstützt, der Vater hatte mit der Joe Fuchs Band eine eigene Formation.

Ohne ihr geliebtes Saxofon trifft man sie nur selten: Jazzerin Nicole Johänntgen. (Foto: Daniel Bernet/oh)

Inzwischen macht Johänntgen einen zweiten Master in Musikwissenschaft in der Schweiz - "weil ich wissen will, was Musik mit dem Gehirn anstellt", erklärt sie. Ihren Abschluss in Jazz- und Popularmusik an der Staatlichen Hochschule für Musik in Mannheim hat die heute 38-Jährige vor Jahren gemacht. Zuletzt hat sie ihre erste Solo-CD veröffentlicht. Mit ihrem älteren Bruder Stefan zusammen spielt sie seit 22 Jahren in der vierköpfigen Formation Nicole Jo. Das Musikfestival "La mozaique" in Le Havre, die "ARD Hörspieltage" oder das "Hamelner Jazz Festival" gehörten in den vergangenen Jahren zu den Konzertauftritten der Band. Andere Engagements führten Johänntgen etwa zum Jazz-Festival nach Malaga, für Aufnahmen nach New Orleans oder Frankreich. Einmal in der Woche unterrichtet sie Kinder zwischen sechs und 14 Jahren in ihrer schweizerischen Heimat, sie organisiert Workshops für Erwachsene - die Energie scheint ihr nie auszugehen. "Ich bin ja so Feuer und Flamme für mein Instrument." Besonders am Herzen liegt ihr das Projekt "Sofia", ein Programm speziell für Frauen, die im Musikbereich tätig sind. Da gibt es für eine ausgewählte Gruppe von Musikerinnen nicht nur viel gemeinsames Musizieren und abendliche Konzerte, sondern auch Workshops in Sachen Selbstvermarktung, Beratung und jede Menge Tipps für ein Leben zwischen Musik und Familie.

Und doch, neben all den Engagements ist die Arbeit mit Piet Klocke für Johänntgen etwas Besonderes, "eine große Ehre", sagt sie. Seit zwei Jahren steht sie immer wieder mit dem Kabarettisten auf der Bühne - den sie schon als Kind aus dem Fernsehen kannte. Irgendwann habe sie ihn mit seiner Partnerin Simone Sonnenschein gesehen, ebenfalls Saxofonistin. Als Klocke dann eines Tages in der Schweiz war, um eine Rede auf einen Künstler zu halten, habe sie die Gelegenheit genutzt und Klocke, der an der Bar stand, eine ihrer CDs überreicht. Ein paar Monate später kam eine SMS von ihm: Ob sie nicht jemand kenne, der Free Jazz spielen könne. "Wer hätte das gedacht?"

Ob es nun tatsächlich Free Jazz ist, der das Publikum in Ebersberg erwartet, verrät Johänntgen nicht. "Also, das ist aber jetzt auch nicht Jazz in dem Sinn, was wir da machen", erklärt die Saxofonistin. Klocke, selbst ursprünglich Musiker, ist als Gitarrist mit verschiedenen Funk-, Soul- und Jazzbands aufgetreten, hat Musik zu Filmproduktionen und unter anderem auch für das Prager Philharmonieorchester geschrieben. In Ebersberg wird er zwar nicht seine Gitarre, aber ein kleines Klavier dabei haben, das er womöglich als eine Art musikalischen Stichwortgeber für das Saxofon benutzt. Sicher wird er auch ein bisschen etwas über "Yatz" - erzählen, in ganzen oder eher in halben Sätzen. Da darf man gespannt sein. Ihr Job als Jazzerin sei es dann, darauf zu reagieren, so Johänntgen. "Das ist wahrscheinlich das, was Klocke am Jazz gefällt", vermutete sie - das Spontane. Für sie selbst seien diese Auftritte eine Möglichkeit, ein ganz neues Publikum zu erreichen, Leute, die niemals auf ein Jazzkonzert gehen würden - und ihnen dabei eines klar zu machen: "Jazz beißt nicht."

Piet Klocke und Nicole Johänntgen treten am Mittwoch, 16. Oktober, mit dem Programm "Musikhysterie und Wlandcholie" im Alten Speicher Ebersberg auf. Beginn ist um 20 Uhr.

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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