Baulärm:Vaterstetten: Wenn im Seniorenheim die Teller wackeln

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Mittagessen während die Presslufthammer dröhnen? Angehörige von Bewohnern des Vaterstettener Seniorenparks erheben schwere Vorwürfe gegen den Betreiber.

Von Viktoria Spinrad, Vaterstetten

Die Frau sitzt in ihrem Rollstuhl im Gang, im Hintergrund ist ein Rauschen zu hören, dann setzt ein Schlagbohrer ein. Ein ohrenbetäubendes Geräusch, es geht durch Mark und Bein. "Hallo", sagt ein Mann im Hintergrund, seine Worte gehen fast unter im Lärm. Wie die Frau im Rollstuhl den Geräuschpegel wahrnimmt? Unklar. Mit Hut, Decke und Kopfkissen als Stütze sitzt sie wie versteinert da.

Unruhige Zeiten liegen hinter dem Vaterstettener Seniorenpark. Das zeigen mehrere solcher Szenen, die Angehörige der Bewohner auf Video aufgenommen haben. Per Smartphone haben sie den Umbau der größten Senioreneinrichtung im Landkreis Ebersberg ausschnittsweise festgehalten. Die Aufnahmen sollen zeigen: Der 40-Millionen-Euro-Ausbau zur wohl größten Senioreneinrichtung Bayerns hat auch für die Bewohner einen Preis. Denn mit der Aufstockung zweier Gebäude mit 47 Mitarbeiterwohnungen kamen auch Kräne, Bohrer, Presslufthammer, der Betrieb lief derweil weiter. Nun geht es um die Frage, was man alten, teilweise sterbenden Menschen zumuten kann und wo die Grenze verläuft.

Ein Freitag in Vaterstetten, die Geschäftsführer haben zum Pressetermin geladen. Es ist der Tag der Einweihung des anliegenden Neubaus, durch welchen die Zahl der Pflegeplätze im Wohnpark fast verdoppelt wird. Das Gebäude ist ein Vorzeigeprojekt wie aus dem Katalog: Eine bepflanzte Wand im Eingangsbereich, lichtdurchflutete Aufenthaltsräume, großzügige Bäder in den 100 barrierefreien Einzelzimmern, ein verspielt gestalteter Garten, eine "Aktivitätenküche", ein Therapiezimmer Farbkonzepte, Panoramabilder von Bergen. Kurzum: "Der Traum eines jeden Pflegers", wie Geschäftsführerin Alexandra Tiefenböck-Kölbl zusammenfasst.

Albtraumartige Beschreibungen

Als vergleichsweisen Albtraum beschreiben Angehörige das, was während des Neubaus nebenan im Bestand los war. Dort, wo bestehende Wohnbereiche im laufenden Betrieb mit Personalwohnungen aufgestockt wurden. Die Vorwürfe: Man habe den Bewohnern mit Presslufthämmern "das Dach über dem Kopf weggerissen", sodass "die Salamibrote auf den Tellern tanzten". Weil die Stationen wochenlang kein richtiges Dach hatten, sei Wasser eingedrungen.

Eine zusätzliche Belastung sei das Dröhnen der Trocknungsgeräte gewesen. "Die Pfleger waren bemüht, aber wie sollen sie die Bewohner entlasten, wenn sie selber überlastet sind?", fragt ein Angehöriger. Ein anderer spricht gar von Körperverletzung seitens der Betreiber: "Meine Mutter wird aggressiv. Das Haus ist so nicht bewohnbar", sagt einer. Ein anderer berichtet, seine Mutter hätte in diesen Monaten Schlaganfälle erlitten, laut Ärzten hätte sich der Zustand mehrer Bewohner rapide verschlechtert. Sie seien davon ausgegangen, dass der Neubau schon vorher beziehbar sei, monieren Angehörige.

Ein Plan, der auch dem Landratsamt Ebersberg - der Aufsichtsbehörde des Wohnparks - vorschwebte: Damit die Bewohner für den Zeitraum der Arbeiten aus dem Bestand umziehen können, sei geplant gewesen, zunächst den Neubau fertigzustellen. Eine Absprache, die aber nicht bindend sein kann, weil das Landratsamt zwar Aufsichtsbehörde ist, aber nur unter Extrembedingungen eingreifen darf. Gleiches gilt für das Vaterstettener Bauamt, das den Umbau genehmigte: "Wir können dem Bauträger nicht vorschreiben, wie er vorzugehen hat. Aber natürlich braucht es eine gewisse Sensibilität" so Vaterstettens Bauamtsleiterin Brigitte Littke.

Ein Schritt-für-Schritt-Vorgang, um diese zu signalisieren, sei "faktisch nicht möglich gewesen", wie Geschäftsführer Oskar Conle sagt. Für ein sukzessives Vorgehen hätte das Personal gefehlt, "da haben wir lieber eine kurzfristige Belastung". Zudem gebe es "Druck von vielen Seiten", sagt Conle. So sei seitens vom Landratsamts ein gewisser Zeitrahmen vorgegeben, "da müssen wir schnell sein." Eine Begründung, die das Landratsamt wiederum nicht bestätigt: Die Fachstelle habe "dem Träger keine Zeitvorgaben gemacht", heißt es aus der Behörde; auch dem Vaterstettener Bauamt sind keine Deadlines bekannt.

Es soll am späten Abend und an Samstagen gearbeitet worden sein

Ein weiterer Kritikpunkt der Angehörigen: Offenbar wurde auch mittags, am späten Abend und an Samstagen gearbeitet. Im Juli ermahnte ein Architekt nach Auskunft des Landratsamts die Bauleitung, sich an die Zeiten zu halten. Angehörige berichten, dass die Arbeiter dennoch weiter außerhalb der gesetzlich geregelten Zeiten zu Werke gingen. Das Landratsamt kann das nicht bestätigen, da es keine Vertreterin zur Prüfung in den Seniorenwohnpark schickte: "Der damalige Beschwerdeführer war gebeten worden, sich zu melden, wenn weiter Probleme bestehen."

Das Landratsamt betont auch, dass es nur dann einen - wie von Angehörigen geforderten - Baustopp erzwingen kann, wenn "Gefahr für Leib und Leben" der Bewohner bestehe. Wo die Schwelle ist? "Man kann nie genau sagen, wann dieser Zustand erreicht ist", so Evelyn Schwaiger, Sprecherin des Landratsamts. Zur Prüfung besuchte die Heimaufsicht den Vaterstettener Wohnpark - und hörte auch gegenteilige Äußerungen zu denen der Beschwerdeführer. Die Haltung der Aufsichtsbehörde zu den Baumaßnahmen: "Die Sanierung während des laufenden Heimbetriebs wird von uns sehr kritisch gesehen", schreibt die Vertreterin - gesteht den Betreibern aber "akzeptable" Entlastungsmaßnahmen im Wohnpark zu.

Diese zählt die Sprecherin Conles im Neubau auf: Alle Mitarbeiter bekamen als Ausgleich für die Belastung durch die Baustelle drei Tage Zusatz-Urlaub. Für die Bewohner gab es Ausflüge zur Eisdiele, Angebote im Freien, einen Ausweichraum - und die Möglichkeit, in einen anderen Wohnbereich zu wechseln. Doch dieses Angebot wurde offenbar nur von einer Bewohnerin angenommen:

Für viele Bewohner sei der Lärm verglichen mit einem Umzug die erträglichere Vorstellung gewesen, sagt Conles Sprecherin. Dass man einen alten Baum schlecht verpflanzt, wie Conle sagt, bestätigen auch Angehörige. Andere sagen: Ein Umzug auf eine Station, wo sie die Mutter an neue Pfleger gewöhnen müsste, wäre "eine große Belastung" gewesen: "Unsere Mutter ist sehr menschenbezogen."

Die Bewohner sollen hier wie eine Familie leben", sagt die Geschäftsführerin

Um die Menschen und deren Wohlbefinden soll es nun auch auf den 5400 Quadratmetern Wohnfläche des schicken Neubaus gehen. "Wir pflegen auch die Seele. Die Bewohner sollen hier wie eine Familie leben", sagt Geschäftsführerin Tiefenböck-Kölbl. Die Krankenschwester leitet einen Wohnstift in Niederbayern, den Conle - privater Immobilienbestandshalter - vor mehreren Jahren gekauft hat. Ihre Pflege-Philosophie will Tiefenböck-Kölbl nun auch in den Alltag der 100 zukünftigen Bewohner im Vaterstettener Neubau tragen.

Konkret heißt das: Der Tagesablauf soll sich in den sechs gemischten Wohngruppen nach den Gewohnheiten der Bewohner richten. Sie sollen also essen und gepflegt werden können, wie es ihnen passt. Dazu gehört auch, dass zukünftige Bewohner bei Bedarf einen Teil ihrer alten Möbel mitbringen können. "Wir wollen hier keine Krankenhausatmosphäre. Die Biografie der Menschen soll mit einfließen", sagt Tiefenböck-Kölbl.

In ihrem Arbeitsbereich werden in Vaterstetten langfristig etwa 150 Arbeitsplätze entstehen, ein Großteil davon für Pfleger. Woher in Zeiten des Fachkräftemangels so viele Pfleger nehmen? "Wertschätzung und ein offenes Ohr sind wichtig. Ein guter Ruf spricht sich unter Pflegern rum", so Tiefenböck-Kölbl. Zudem soll hier eine eigene Pflegeschule mit 20 Plätzen entstehen.

Während sie noch eine Lehr-Fachkraft für die Schule sucht, ist ein Personalwechsel schon vollzogen: Von Sebastian Rokita, der das Haus 18 Jahre lang geleitet hat, haben sich Geschäftsführer und Betreiber getrennt. Über die Gründe möchte Conle, der den Wohnpark seit 2017 in eigener Trägerschaft betreibt, nicht sprechen; man wolle auch Rokitas Verdienste nicht kleinreden. Mittlerweile gibt es eine neue Hausleitung. Conles Sprecherin spricht von "neuer Ausrichtung" und "neuem Schwung".

Es sind nicht die ersten Unruhen im Seniorenwohnpark. Knapp zwei Jahre ist es her, dass sich Conle und der damalige Träger des Wohnparks vor Gericht trafen; letzterer hatte die Pacht nicht mehr gezahlt. Als Conle 2017 als langjähriger Besitzer des Wohnheims mit anderen auch die Trägerschaft übernahm, machte das wiederum die Bewohner nervös. Sie durften bleiben, die Anspannung legte sich. Ein Jahr später kamen die Kräne, die Bohrer, die Presslufthammer. Conle sagt: "Es wird Zeit, dass hier wieder Ruhe einkehrt."

© SZ vom 25.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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