Baldham:Eine Passion lässt aufhorchen

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Die Sänger und Musiker um Dirigent Matthias Gerstner bereichern die Reihe "Bach & more" um ein weiteres selten gespieltes Opus. (Foto: Christian Endt)

"Jubilate-Chor" macht mit Johann Sebastian Bach die zeitlose Botschaft von Leiden und Erlösung nachhaltig greifbar

Von Ulrich Pfaffenberger, Baldham

"Mir hat die Welt trüglich gericht', mit Lügen und mit falschem G'dicht, viel Netz und heimlich Stricken. Herr, nimm mein wahr in dieser G'fahr, b'hüt mich vor falschen Tücken."

Nicht einem Opfer von Fake News oder von Internet-Mobbing lauschen wir da, sondern den Worten von Christian Friedrich Henrici, alias Picander, aus dem Textbuch zu Johann Sebastian Bachs Markus-Passion. 288 Jahre alt sind diese Zeilen und doch noch heute von brennender Aktualität. Genauso wie die "Passion", sprich: Leiden, die der Menschensohn in uns allen dem zivilisatorischen und gesellschaftlichen Fortschritt zum Trotz bis heute nicht ablegen konnte, das im Gegenteil viel drängender und vielfältiger auf uns einzuströmen scheint als jemals in der Geschichte. Wobei dann auch vielen noch das Vertrauen auf göttlichen Beistand verloren gegangen ist, auf das sich frühere Generationen bittend stützten.

Es war die Aufführung des selten gespielten Opus (BWV 247) daher mehr als nur aus fastenzeitlichem Anlass eine gute Idee von Matthias Gerstner zur weiteren Bereicherung der an Schätzen sowieso schon gesegneten Reihe "Bach & More". Wobei ihm wohl weniger die Gesellschaftskritik auf den Nägeln brannte als die Zuwendung zu diesem verschollenen, oft eigenwillig oder gar egoistisch rekonstruierten Werk Bachs.

Die von Gerstner verwendete Neufassung Andreas Glöckners aus dem Jahr 2001, die auf einer Rekonstruktion Diethard Hellmanns von 1964 aufbaut, unterscheidet sich vor allem dort wohlwollend von anderen Varianten, wo sie auf die manirierten, vor allem aber frei erfundenen Rezitative verzichtet, die Zuhörer mehr ermüden als erbauen. Stattdessen ist diese Passion getragen vom gelesenen Text des Markus-Evangeliums, einem durchgängigen, lebensnahen Erzählstrang, an den die Chöre, Choräle und Arien wie Signalfahnen geknüpft sind. So erreicht eine alte, vermeintlich bis aufs Komma bekannte Geschichte ihre Zuhörer aufs Neue, macht aufhorchen und nachdenken, bettet das Sinnieren in die Musik und macht eben auch die Zeitlosigkeit der Passion begreifbar.

In Hans Kornbiegler steht ein Erzähler am Pult, dessen sonore Stimme vortrefflich mit seinem pointierten Vortrag harmoniert. Endlich einmal kommt solche Gabe am anderen Ende der Lebensgeschichte Jesu zum Tragen, nicht immer nur im kuscheligen Ambiente von Thomas "Weihnacht". Es gehört Mut dazu, in einem Chorwerk dem gesprochenen Wort so viel Gewicht zu geben, wie hier geschehen. Aber dieser Mut wird belohnt von einer Aufmerksamkeit, die an diesem Frühlingsabend wie eine energiegeladene Wolke über dem höchst präsenten Publikum in der sehr gut besuchten Kirche Maria Königin in Baldham liegt.

Die behutsam über den Konzertverlauf verteilen Arien erleben drei inspirierte Solisten, denen das Bewusstsein, der Respekt für ihre Rolle anzumerken ist. Franziska Gründert singt die Alt-Partien in einem warmen, glaubwürdigen Mezzosopran. Ihr "Mein Heiland, dich vergess' ich nicht" ist nicht nur schöne Rede, sondern wird zum Versprechen, auf das Verlass ist. Priska Eser präsentiert ihre beiden Partien wie gewohnt auf den Punkt, getragen von kristallklarer Artikulation und von eindringlicher Emotionalität, wenn sie "Welt und Himmel, nehmt zu Ohren, Jesus schreiet überlaut" vom Leiden des Gekreuzigten kündet. Tenor Christoph Rösel wiederum gelingt es mit achtsamer Interpretation seines Parts, die Modernität des Bachschen Tonsatzes hörbar zu machen, feinsinnig betonend, warum diese alte Musik noch im Heute bezwingend wirkt.

Für seinen respektvollen, wachen und von keinem Staubkörnchen getrübten Umgang mit der Sprache und den Melodien dieser Passion verdiente sich der Jubilate-Chor genauso den großen Applaus der Zuhörer wie das Barockensemble Vaterstetten, das klug und feinfühlig konzertierte. Hervorgehoben sei die berührende Violinbegleitung Bernd Herbers zum zweiten Sopran-Solo; so gegenwärtig ist das Himmlische an Bachs Musik in glücklichen Momenten.

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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