"Bach & more" in Zorneding:Freiheit für Vivaldi

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Angeregter Dialog: Cellist Klaus Kämper und Matthias Gerstner am Cembalo spielen Sonaten von Vivaldi im Rathaus Zorneding. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Klaus Kämper und Matthias Gerstner öffnen mit sechs Sonaten für Cello und Cembalo einen neuen Zugang zum Komponisten

Von Ulrich Pfaffenberger, Zorneding

Sechs Sonaten für Cello und Cembalo - da braucht es nicht nur schönes Vorfrühlingswetter wie am Sonntag, um die Zuhörerschaft für ein Konzert vorzufiltern. Selbst wenn ein Antonio Vivaldi als Urheber der Werke zeichnet, lässt das gepflegte Kammermusik-Vorurteil bei dieser Kombination viel Anspruch vermuten - aber wenig Vergnügen. Zum Glück gibt es Menschen, die nach vielen Jahren "Bach & More" nur zu genau wissen, dass einem Matthias Gerstner in seiner bemerkenswerten Reihe so etwas nicht passieren würde. Weshalb sich im Atrium des Zornedinger Rathauses dann doch knapp 30 Kunstfreunde einfanden, die sich auf Musik freuten, die den persönlichen Horizont erweitert. Und sie wurden nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Für wunderbar bescheidene 15 Euro erhielten sie Zugang zu einem Vivaldi, wie man ihn nicht von "Best of Classics"-CDs kennt und wie man ihn wenigstens einmal im Leben gehört haben sollte, um zu erkennen, dass das musikalische Weltklima mehr als vier Jahreszeiten kennt.

Das Verdienst, den Blick für diese Erkenntnis geöffnet zu haben, kommt in erster Linie dem Gast des Abends zu: dem Cellisten Klaus Kämper, der nun wahrlich über ein so großes Maß an Meriten und Glanzpunkten in seiner Vita verfügt, dass sich jeder Veranstalter glücklich schätzen darf, ihn für ein Konzert zu gewinnen. Er hatte, dem Komponisten und dem Werk entsprechend, ein Violoncello aus dem 18. Jahrhundert mitgebracht, bespannt mit Darm- statt mit Stahlsaiten, und zeitgemäß um einen Halbton tiefer gestimmt als heute. Daraus entsteht ein warmer, satter, leicht angerauter Klang, dessen Tiefenwirkung sich niemand zu entziehen vermag. Vor allem, weil Kämper mit der Bescheidenheit und Freiheit eines großen Könners darauf verzichtet, dem dunkel-sanften Mantel, den der Komponist gewebt hat, glitzernde Pailletten aufzunähen. Weil auch Gerstner sein Cembalo heruntergestimmt hatte und zudem mit der Sanftheit engelsgleicher Flügelschläge in die Tasten griff, wandelte sich das Metallische des Cembalos in feinen, glockenhellen Klang. Es schuf das Glitzern und Funkeln der Melodien, die dem Cello entströmten.

Die sechs Vivaldi-Sonaten, obwohl allesamt ins strenge Largo-Allegro-Largo-Allegro-Schema gepackt, erwiesen sich als ein Füllhorn an Ideen und Experimenten. Das mag zum Teil ihrer ursprünglichen Zielsetzung geschuldet sein, den Schülern Vivaldis Übungsmaterial in breiter Vielfalt anzubieten. Mehr aber noch spricht es dafür, wie viel Kreativität und Schaffenskraft diesem Komponisten innewohnte. Die meist nur gut zwei Minuten langen Sätze sind mal schwelgende Fantasie, mal lyrischer Vortrag. Mal kommen sie in majestätischer Pracht daher, mal in klösterlicher Nüchternheit. Mal winden sie sich wie Efeu um den Strang eines Gedankens, mal explodieren sie wie ein Obstbaum, bei dem über Nacht die Blüten hervorbrechen. Mal liefern die langsamen Passagen die eindringliche Interpretation des Themas, mal die schnellen. Mal entfaltet sich die Melodie schnörkellos, behutsam und suchend, mal bricht sie mit lustvoller Überzeugung und großer dramatischer Energie hervor. Vivaldi hat hier köstliche Miniaturen geschaffen, die voller Leben stecken und es Akkord für Akkord in die Welt verteilen sollen. Kämper und Gerstner entpacken sie in einem ebenso entspannten wie angeregten Dialog, wie gute Freunde, die sich gegenseitig von einer musikalischen Entdeckung berichten, und lassen ihr Publikum frei und offen daran teilhaben. Wüsste man es nicht besser, könnte man glauben, Anteil zu haben an einer großartigen Improvisation.

Über weite Strecken hinweg interpretiert Klaus Kämper seinen Part sehr "cantabile", als sänge ein beherzter Alt oder Bariton die Melodien. Das macht den instrumentalen Vivaldi nahbar und verleiht ihm eine Dimension jenseits der technischen Meisterschaft und des brillierenden Klangbilds. Selbst jene festlich-kühleren Passagen, in denen man sich statt des Cellos auch ein Blasinstrument vorstellen könnte, zeigen sich von unerwartet spielerischer Leichtigkeit. Beispielhaft sei hier die Sonate IV in B-Dur RV 45 angeführt, deren anfangs erhaben-sakraler Charakter sich zum Wiegenlied wandelt, und die am Ende in ihren Figuren und in ihrer Dynamik eine Modernität an den Tag legt, die ihrer Entstehungszeit ums Jahr 1725 weit voraus ist. Dies erkannt und kunstgerecht in die Freiheit eines Konzerts entlassen zu haben, kann man Gerstner und Kämper nicht hoch genug anrechnen. Dem Publikum in Zorneding war es jedenfalls langen und überzeugten Beifall wert.

© SZ vom 19.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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