Austausch von Fachleuten:Plädoyer für einen Perspektivenwechsel

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Unterstützung für Menschen mit Demenz: Helmut Platzer, Martina Watzlaw, Elfriede Melbert, Dagmar Kiefert, Hans Dieter Strack und Hans Gnahn (von links). (Foto: Berwanger/oh)

Im Landkreis leben etwa 2800 Menschen mit einer demenziellen Erkrankung. Ihre Betreuung stellt Angehörige vor große Herausforderungen. Doch es gibt Hilfsangebote, wie bei einem Treffen der Alzheimer-Gesellschaft deutlich wird

Von Ina Berwanger, Kirchseeon

Dass im Umgang mit an einer Demenz erkrankten Menschen oft ein Blickwechsel nötig ist, zeigte ein Erfahrungsaustausch auf dem jüngsten Treffen der Alzheimer-Gesellschaft im Landkreis Ebersberg. Über das Thema "Fürsorge für Menschen mit fortgeschrittener Demenz - eine Gratwanderung zwischen unterlassener Hilfeleistung und Freiheitsberaubung" diskutierten Angehörige und Vertreterinnen verschiedener Organisationen. Die Palette ihrer Ideen reichte von einer besseren Bezahlung der Pflege bis zum Hinterfragen des Umgangs miteinander in der Gesellschaft von heute.

Hans Gnahn, Vorsitzender der Alzheimer-Gesellschaft im Landkreis Ebersberg, machte zum Auftakt der gut besuchten Veranstaltung im Awo-Alten- und Pflegeheim "Gertrud-Breyer-Haus" deutlich, wie drängend das Problem bereits ist und in der Zukunft werden wird. Im Landkreis Ebersberg lebten etwa 2800 Menschen mit einer demenziellen Erkrankung, erklärte er. In ganz Bayern sind es 240 000 Menschen, deutschlandweit etwa 1,6 Millionen. Schätzungen zufolge wird sich die Zahl der erkrankten Menschen bis zum Jahr 2060 verdoppeln. Gleichzeitig, so Gnahn, seien die familiären Strukturen im Umbruch. Längst nicht immer stehe - durch beruflich bedingte Umzüge etwa - der Familienverbund vor Ort zum Helfen zur Verfügung. Wie belastend und bedrückend die Begleitung entfernt oder auch im selben Haus lebender hochbetagter, an einer Demenz erkrankter Verwandter sein kann, wurde an diesem Abend durch die Schilderungen betroffener Angehöriger deutlich. Ihre persönlichen Einblicke zeigten, wie groß oft die Hilflosigkeit im komplexen, herausfordernden Umgang mit den Menschen mit Demenz ist.

Dass deren immer wieder zu hörender Satz: "Bloß nicht ein Heim" viele Angehörige beschäftige, bestätigte Elfriede Melbert, Leiterin der Betreuungsstelle im Landratsamt. "Oft hat sich dieser Satz verfestigt, für den Erkrankten aber keine Bedeutung mehr", erklärte sie den Angehörigen. Für viele Menschen erweise sich der Wechsel in eine Einrichtung als positiv. Angebote zur Aktivierung der Bewohner durch die in den Pflegeheimen fest installierten Sozialen Betreuung und auch das soziale Miteinander würde die Menschen oft regelrecht wieder aufleben lassen. "Wenn jemand allein lebt, ist das für die Entwicklung der Demenz ungünstig", so Melbert. Um allen Beteiligten im Ernstfall anstehende Entscheidungen zu erleichtern, sollte jeder im Vorfeld seine Vorstellungen abklären, so Dagmar Kiefert vom Zentrum für Ambulante Hospiz- und Palliativversorgung München Land, Stadtrand und Landkreis Ebersberg der Caritas-Dienste im Landkreis München (ZAHPV). "Ich plädiere für eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht", sagte sie. Aufklärung zu Verfügung und Vollmacht leiste, auch bei Hausbesuchen, wenn nötig auch mehrmals, jederzeit gerne die Betreuungsstelle, erklärte dazu Elfriede Melbert.

Sie riet den Angehörigen auch eindringlich, sich Unterstützung im Kreis der Familie oder von außen zu suchen. Selbständige Demenzhelfer wie Irma Demmel, Schriftführerin der Alzheimer-Gesellschaft, seien jedoch Mangelware, bedauerte Dagmar Kiefert. "Hier gibt es eine große Lücke." Nicht verzichten sollten pflegende Angehörige auch auf den Rat und die Angebote von Organisationen wie der Caritas, so Melbert. Gute Kunde dazu hatte Martina Watzlaw vom Caritas-Zentrum Ebersberg in Grafing im Gepäck. Am Mittwoch, 21. November, startet dort die Auftaktveranstaltung für den neuen "Treffpunkt pflegende Angehörige".

Menschen, die sich beruflich oder privat in den Blick von Menschen mit Demenz hineinversetzen möchten und so auch am besten mit ihnen umgehen können, brauchen vor allem eines: Zeit. Auch das machten die Statements von Angehörigen und Fachkräften an diesem Abend immer wieder deutlich. "Man muss den Menschen mit Demenz Zeit geben, Veränderungen kennenzulernen", betonte ein Angehöriger.

"Persönliche Zuwendung ist viel wirksamer als Medikamente", bestätigte Mediziner Gnahn. "Freiheit, Zeit, Betreuung, das alles sind auch ethische Themen", zog Hans Dieter Strack Bilanz. Der ehemalige Ebersberger Pfarrer hat im Juli in Nürnberg die Fachtagung "Demenz - Blickwechsel erforderlich" des Landesverbandes Bayern der Deutschen Alzheimer Gesellschaft besucht. Er gab den Anwesenden zum Ende eines langen Abends mit: "Auch in unserer Gesellschaft ist ein Blickwechsel nötig, wir sollten uns fragen: Wie gehen wir miteinander um?"

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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