Ausstellung:Traueranzeigen für eine Tradition

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Das Museum Wasserburg lässt mit Fotografien von Andreas Bohnenstengel den einst international bekannten Taubenmarkt wieder aufleben - ein archaisches Festival des kleinen Mannes

Von Valentin Tischer

Anarchie und Chaos sind nicht unbedingt Begriffe, die man mit dem Metier der Taubenzucht assoziiert. Vielmehr wird es wohl eher im Spießbürgertum verortet. Der Wasserburger Taubenmarkt aber war genau das: wild und chaotisch. Zwar sind diese Zeiten mittlerweile vorbei, doch eine Ausstellung im Museum Wasserburg lässt sie nun nochmals aufleben: Es zeigt Aufnahmen des Münchner Fotografen Andreas Bohnenstengel, die in den 90-Jahren auf dem Taubenmarkt entstanden sind, zu einer Zeit, als es dort offenbar noch drunter und drüber ging.

(Foto: A. Bohnenstengel/oh)

Einst war der Taubenmarkt Wasserburg der größte seiner Art - weltweit. Züchter, Händler und Besucher aus der ganzen Welt kamen in die Stadt am Inn, um Vögel und andere kleine Tiere wie Kaninchen zu verkaufen, "neues Blut" für die eigene Zucht zu erwerben oder einfach Teil des bunten Markttreibens zu sein. Bereits 1878 fand der Wasserburger Taubenmarkt das erste Mal statt, auf dem Gelände einer Brauerei, und schon bald entwickelte er sich zu einer der ersten Adressen für Vogel- und Kleintierzüchter in Europa. Hier trafen amerikanische Soldaten auf Vogelzüchter aus Griechenland, australische Touristen sowie Einkäufer für Golfmonarchen, die Tauben für die eigene Zucht oder auch für die Falkenjagd benötigten. Nur zwei Mal wurde der Markt in seiner langen Geschichte abgesagt: 1964 wegen der Maul- und Klauenseuche und 2006 wegen der Vogelgrippe. Selbst die beiden Weltkriege taten dem regen Treiben keinen Abbruch. Schon in den frühen Morgenstunden begutachteten geschulte Augen die lebendige Ware.

(Foto: A. Bohnenstengel/oh)

Immer wieder erlebte der Taubenmarkt Blütezeiten, teils kamen Tausende Händler mit Zehntausenden Tieren und bis zu 25 000 Besucher. Erst vor etwa fünf Jahren ging es rapide bergab: Vor allem Auseinandersetzungen mit Tierschützern, die Vogelgrippe und EU-Vorschriften setzten dem Markt schwer zu. Heute gibt es die Veranstaltung zwar immer noch, doch sie ist ein Schatten ihrer selbst. Es kommen meist nur noch Züchter aus der Region, 2014 waren es gerade mal 50, und auch die Besucherzahlen erreichen frühere Höhen bei weitem nicht mehr.

Mit der Kamera mittendrin: Der Münchner Fotograf Andreas Bohnenstengel porträtierte den Wasserburger Taubenmarkt in den 90ern mit viel Gespür für die Situation. (Foto: A. Bohnenstengel/oh)

Eine Zeitreise mitten hinein in diesen traditionsreichen Taubenmarkt ermöglichen nun die Bilder des Münchener Fotografen Andreas Bohnenstengel, die im Wasserburger Heimatmuseum zu sehen sind. In den 1990er Jahren arbeitete der Fotograf an einer Serie über Märkte, und besuchte unter anderem zwei Mal jenen in Wasserburg. Ihm ging es darum, die traditionelle, haptische Form des Handels festzuhalten - in einer Zeit, in der immer mehr davon gesprochen wurde, dass das Internet den Handel bald komplett übernehmen würde. Für die Ausstellung wurden alle Bilder vom Taubenmarkt zu einer mehrräumigen Installation arrangiert. Außerdem gibt es einen Fotoband mit Begleittexten, der im Museum erhältlich ist.

(Foto: A. Bohnenstengel/oh)

Dem Betrachter bieten Bohnenstengels Bilder ein spannendes Fenster in die Vergangenheit. In klassischem Schwarz-Weiß gehalten zeigen sie teils wilde Szenen: gestapelte Kisten mit Tieren, rudimentäre Verkaufsstände aus Wäscheständern, Händler, die neben ihrem Stand ungeniert Brotzeit machen. "Die anarchische Selbstorganisation, die teils chaotischen Zustände und die tolle Stimmung auf dem Markt haben mich fasziniert", sagt der Fotograf. Diese Begeisterung drückt sich auf vielen seiner Fotografien aus, etwa wenn Bohnenstengel einen Irrgarten aus Vogelkäfigen und Transportkisten ablichtet. Eines seiner Lieblingsbilder zeigt im Vordergrund einige Käfige mit weißen Tauben, im Hintergrund blickt ein älterer Herr in die Kamera: Die "urige Stimmung" und das Durcheinander spiegelten das Wesen und die Essenz des Marktes wunderbar wieder, so Bohnenstengel.

Das Besondere an seinen Aufnahmen ist, dass sie nicht inszeniert, sondern mitten im Gewusel entstanden sind. Oft laufen unbeteiligte Personen im Hintergrund vorbei, viele Bilder zeigen ganze Menschengruppen. Umso mehr beweist der Fotograf hier ein Auge für den richtigen Moment, findet trotz Chaos immer ein zentrales Motiv. So entstehen Schnappschüsse, die mehr sagen als tausend Worte, wertvolle Zeitdokumente.

Tierschutzaktivisten vom "Bundesverband für fachgerechten Natur- und Artenschutz" kritisierten den Wasserburger Taubenmarkt als ein: "mittelalterlich anmutendes Spektakel". Dass diese Einschätzung nicht völlig falsch war, zeigen auch einige Bilder Bohnenstengels. Etwas makaber mutet zum Beispiel der Anblick eines Käufers an, der mit einem Greifvögel unter dem Arm lächelnd auf die Kamera zukommt. Oder ein Bild von zwei anscheinend bereits erfolgreichen Käufern, die ihre Vögel in Flechtkäfigen auf dem Rücken tragen.

Gerade vor dem Hintergrund des langsamen "Sterbens" des Taubenmarktes wirken die Schwarz/Weiß-Fotografien noch eindrucksvoller. Wie Traueranzeigen für eine überholte Tradition, für ein archaisches Festival des kleinen Mannes, beleuchten sie eine vergangene Welt.

"Der Wasserburger Taubenmarkt", Fotografien von Andreas Bohnenstengel, im Museum Wasserburg, zu sehen vom 2. Februar bis 5. Mai, dienstags bis sonntags, von 13 Uhr bis 16 Uhr. Führungen mit dem Künstler am 17. Februar und 28. April jeweils um 14.30 Uhr.

© SZ vom 01.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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