Ausstellung in Markt Schwaben:Mit dem Zug in die Vergangenheit

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Vor 150 Jahren kam die Eisenbahn nach Poing und Markt Schwaben. Eine neue Ausstellung im Heimatmuseum widmet sich der Geschichte des Schienenverkehrs in der Region

Von Merlin Wassermann

An kaum einem anderen Artefakt lässt sich die turbulente und ambivalente Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts so gut nachvollziehen wie an der Eisenbahn. Die Dampflokomotive steht sinnbildlich für die Moderne und Industrialisierung, mit ihren technischen Neuerung, dem Beginn der Ausbeutung riesiger Kohle- und Menschenmassen, der Beschleunigung des Lebens überhaupt. Das zwanzigste Jahrhundert sah zunächst die Ausweitung des Schienenverkehrs und dessen Verwendung sowohl für Reisen und Güterverkehr, aber auch für Mobilmachung und Massenvernichtung, bevor er immer mehr durch das Auto zurückgedrängt wurde. Vor 150 Jahren kam die Eisenbahn nach (damals noch ohne "Markt") Schwaben und Poing - und eine neue Ausstellung im Heimatmuseum Markt Schwaben, die an diesem Samstag eröffnet, widmet sich der wechselhaften Geschichte dieses Verkehrsmittels. Grund genug, sich die Geschichte der Eisenbahn in der Region einmal genauer anzuschauen.

Karl Bürger, Jahrgang 1956 und seit Kindesbeinen an leidenschaftlicher Eisenbahnconnoisseur und -historiker, wird dort einen Vortrag halten. Er hat sich mit der Geschichte der Strecke "München - Mühldorf - Simbach" beschäftigt, auf der auch Markt Schwaben und Poing liegen und die 1871 in Betrieb genommen wurde. "Fast wäre es, aus verschiedenen Gründen, nicht dazu gekommen", sagt er. So waren beispielsweise verschiedene andere Strecken Richtung Österreich geplant, an das man mit dem Schienennetz Anschluss finden wollte. So beispielsweise über Anzing und durch den Ebersberger Forst. "Da hat die königliche Forstverwaltung sich aber gewehrt." Die Strecke über Mühldorf zur Grenzstadt Simbach wurde dann aufgrund relativ niedriger Kosten (geplant waren 15,4 Millionen Gulden) und Aufwand ausgewählt. Die Betonung liegt hier auf "relativ", denn die gesamte Strecke wurde per Handarbeit gebaut und das nur in vier Jahren.

Einst fuhr sogar der sagenumwobene Orient-Express durchdie Region.1953 passierten Dampfloks und Akku-Triebwagen den Bahnhof Markt Schwaben. (Foto: Heimatmuseum Markt Schwaben/oh)

Per Gesetz wurde 1863 beschlossen, eine Strecke zu errichten, 1867 wurde ein Vertrag mit Österreich darüber geschlossen, Baubeginn war 1868. "Um die Strecke fertigzustellen war ein riesiges Heer billiger Wanderarbeiter nötig." Die Arbeit war schwer und gefährlich und musste oft mit einfachsten Mitteln durchgeführt werden, mit Spaten, Lore, Spitzhacke.

Doch es gab auch weitere Hindernisse. 1866 führten Bayern und Österreich den sogenannten "Bruderkrieg" gegen Preußen - und verloren. Wie damals üblich wurden satte Reparationen fällig, unter denen die jeweiligen Staatskassen, die eh schon klamm waren, gewaltig ächzten. Allerdings, der Krieg hatte auch gezeigt, dass eine gut ausgebaute Eisenbahn einen entscheidenden strategischen Vorteil bedeutete, insofern wollte man nicht auf die Strecke verzichten. Die Eisenbahn als Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln, sozusagen. Nach der Inbetriebnahme wurden teilweise Stationen und damit im Endeffekt ganze Ortschaften wie etwa Hörlkofen komplett neu geschaffen, erweitert, ausgebaut und neue Strecken angelegt.

Das Schienennetz verdichtete sich in der Region immer mehr. Die Menschen nutzten es dementsprechend ausgiebig, trotz der hohen Preise, wie Bürger beschreibt. Gegenüber Kutschen und anderen Fortbewegungsmitteln der Zeit besaßen die Bahnen einen "unvergleichlichen Reisekomfort", selbst in der dritten Klasse, die gemeinsam mit Post- und Güterzügen fuhren. Proletariat, Post und Produkte fuhren also unter einem Dach, während sich die "Herrschaften" die teureren Tickets der zweiten und ersten Klasse leisteten.

Die Reisegründe waren schon damals sehr verschiedentlich. Man konnte nun schneller und weiter reisen, das wurde dann aber auch für den Beruf verlangt - das Pendeln war erfunden. Manch andere fuhren sicherlich schlicht zum Vergnügen, viele zog es zu Wallfahrtsorten oder man reiste zu "Märkten, Behörden und Gerichtsterminen". Doch auch außergewöhnlicheres fand auf dieser Strecke statt. So führte beispielsweise die Strecke des sagenumwobenen Orient-Expresses, auch "Lux" genannt, durch die Region. Bürger schildert weiter, dass auch "Kaiserin Elisabeth von Österreich (die "Sissi") häufig von der Strecke Gebrauch machte, wenn sie über Simbach in ihr Heimatdorf Possenhofen und wieder zurückreiste".

Der Beginn des 20. Jahrhunderts war weiterhin von Ambivalenzen geprägt. Zum einen wurde das Schienennetz ausgebaut, bis 1911 wurde zum Beispiel die Strecke nach Markt Schwaben zweigleisig. Nach dem Ersten Weltkrieg jedoch, als die Bahn wieder für die Mobilmachung verwendet worden war, herrschte sowohl Kohlemangel als auch große Not in der Bevölkerung, so dass von 1918 bis 1928 eine vierte Klasse eingeführt wurde. Die Reisebedingungen dort möchte man sich lieber nicht vorstellen.

Karl Bürgers Leidenschaft gilt der Eisenbahn. (Foto: Privat)

Mit der Machtübernahme der NSDAP wurde die Eisenbahn wieder wichtiger, Bürger spricht dennoch von einer "Scheinblüte". "Der Ausbau und der Verkehr nahmen wieder zu, aber es war jetzt schon alles auf Krieg programmiert." Besonders wichtig für die Nazis war Güterverkehr zu und von dem sogenannten "Chemiedreieck", das ungefähr zwischen Ampfing, Simbach und Traunreut lag. Hier waren besonders viele Unternehmend der chemischen Industrie ansässig, die für die Kriegsführung unabdingbar waren.

Ebenso unabdingbar für die Funktionsweise des Naziregimes waren die Konzentrations- und Vernichtungslager, die über ganz Deutschland verteilt waren, so auch im Südosten Bayerns. Das KZ Dachau ist in der Region München wohl das bekannteste, doch fast noch gefürchteter bei den Verfolgten war dessen Außenlagerkomplex um Mühldorf. Statt des "Lux" fuhren nun die finsteren "DA"-Züge durch den Landkreis. "DA steht für Durchgangszug für Aussiedler", erklärt Bürger. "Aber eigentlich gemeint waren damit die Todeszüge." Sie transportierten Häftlinge (unter ihnen auch der Schriftsteller und Maler Max Mannheimer, der den Holocaust überlebt hat) geflissentlich und reibungslos zum Beispiel nach Mettenheim, wo sie unter unmenschlichsten Bedingungen eine Flugzeugfabrik bauen und dabei durch die Arbeit vernichtet werden sollten. "Ohne die Anbiederung der Reichsbahn wäre die Massenvernichtung der Nazis nicht möglich gewesen."

Im Nachkriegsdeutschland büßte die Bahn zunehmend an Bedeutung ein. Daran konnten auch innovative Entwicklungen, wie zum Beispiel neue Dieselzüge oder akkubetriebene "Schienenbusse", also Mini-Züge mit nur einem Waggon, die auf der Strecke München-Erding verkehrten, nichts ändern. "Ab den 1960er Jahren setzte die Politik voll aufs Auto. Die Bundesbahn war aus betriebswirtschaftlicher Sicht defizitär, in den 1970er und 1980er Jahren versuchte man, das mit Sparmaßnahmen zu beheben." Die Folge: Ein Kahlschlag im Schienennetz, viele Strecken wurden stillgelegt oder nicht erneuert. So auch eine Strecke von Grafing nach Glonn im Jahr 1971. Auch die Bahnverbindung nach Wasserburg sollte verschwinden, wogegen sich der "Fahrgastverband Pro Bahn" jedoch erfolgreich zur Wehr gesetzt habe, berichtet Bürger.

Dennoch, trotz einzelner Erfolge kranke die jetzt häufig beschworene Verkehrswende sowohl an den Fehlern der vergangenen Jahrzehnte als auch am mangelnden politischen Willen der Zeit, klagt der Historiker. Ein gutes Beispiel dafür sei die "Ausbaustrecke (ABS) 38", die München über Mühldorf und Freilassing mit Salzburg verbinden soll. Seit 1985 ist sie Teil des Bundesverkehrswegeplans, getan hat sich seitdem nicht viel.

Seit 150 Jahren ist die Eisenbahn nun also Teil des Landkreises, brachte Gutes und Schlechtes, verband viele Menschen und grenzte andere aus. Jetzt wird im Rahmen der Jahrhundertaufgabe von Umwelt- und Klimaschutz um die Rolle der Bahn gerungen. Verkehrsmittel der Wahl oder nur unbeliebte Alternative zum E-Auto: Wohin die Reise wohl gehen mag?

© SZ vom 13.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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