Aus für Elterninitiative:Vom Zeitgeist überholt

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Bettina Ismair hat die Initiative "Offenes Haus - Offenes Herz" in Markt Schwaben gegründet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Offene Haus in Markt Schwaben beendet sein Engagement. Staatliche Betreuungseinrichtungen haben dem privaten Projekt den Rang abgelaufen. Das Angebot am Gymnasium bleibt bestehen

Von jonas wengert, Markt Schwaben

"Uns wurde von verschiedenen Seiten das Wasser abgegraben", sagt Bettina Ismair. Vor 17 Jahren gründete sie, als Antwort auf die Frage, wie sich ein aktives Miteinander von Familien mit und ohne Migrationshintergrund vor Ort ausgestalten lasse, die Elterninitiative "Offenes Haus - Offenes Herz" in Markt Schwaben. Seither betreuten heimische Familien einen Nachmittag pro Woche fremdsprachige Kinder privat bei sich nach Hause. Neben Hausaufgabenhilfe und Sprachpraxis auf Deutsch ging es auch um ein gegenseitiges Kennenzulernen und darum eine schöne Zeit miteinander zu verbringen. Seit diesem Schuljahr gibt es dieses Engagement von Elternseite nun nicht mehr.

Viele Punkte hätten zu diesem Schritt geführt, sagt Carola Steiner. Zusammen mit Wolfgang Flury war sie in den vergangenen zwei Jahren für die Organisation der Elternarbeit verantwortlich. Nun sei die Arbeit der Familien einfach nicht mehr gefragt. "Über die vergangenen Jahre ist die Kinderbetreuung mit Kitas und Ganztagessschulen immer weiter institutionalisiert worden", erklärt Steiner. An sich sei eine ganzwöchige Betreuung selbstverständlich eine gute und sinnvolle Entwicklung. Und dennoch werde das Offene Haus als "Sahnehäubchen" fehlen. "Der Charme, die Kinder bei uns zu Hause zu betreuen, war einzigartig in Deutschland", erklärt Gründerin Ismair.

Für das Projekt zur gelebten Integration wurde die Initiative 2014 mit dem Deutschen Bürgerpreis ausgezeichnet. Vor zwei Jahren sei die Jubiläumsfeier zum 15-jährigen Bestehen ganz bewusst gesetzt worden. "Das ist ja normal kein Jahrestag, den man besonders feiert", räumt Ismair ein, es sei allerdings schon damals abzusehen gewesen, dass es künftig schwierig werden würde. "Der Zeitgeist ist einfach ein anderer." Steiner pflichtet bei. Heute arbeiteten alle mehr. So sei man einerseits schwerer an die ausländischen Eltern ran gekommen, fairerweise müsse man aber auch einräumen, dass auch die Bereitschaft der Ortsansässigen, fremde Kinder zu betreuen, nachgelassen hätte.

Als es noch keine flächendeckenden staatlichen Angebote gegeben hatte, sei das Offene Haus laut Ismair vor allem eine Alternative für Familien gewesen, die sich eine kostenpflichtige Betreuung nicht leisten konnten. Sie bezweifelt, dass eine Institution immer und in jedem Fall die bessere Alternative sei. "Manche Kinder lernen an ein paar Nachmittagen in einer unserer Familien mehr, als in einem ganzen Jahr in einer staatlichen Unterbringung", so die 56-Jährige. Diese These treffe vielleicht nicht auf reinen Sprachunterricht zu. Jedoch seien Kinder auch ohne perfektes Deutsch "wie ein Schwamm" und würden nonverbal wahnsinnig viel aufnehmen. Was den Spracherwerb angehe, sei intensiver Deutschunterricht selbstverständlich sinnvoll, so Ismair. Gleichzeitig kritisiert sie jedoch eine ausufernde separate Beschulung und die hohe Zahl an Wochenstunden: "Da werden Kinder auf der Strecke bleiben. Soziale Kontakte und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vor Ort sind viel wichtiger."

Vorurteile gebe es auf beiden Seiten. Durch den Einblick in den häuslichen Familienalltag und den privaten Austausch seien diese abgebaut worden. Die Kinder hätten erlebt, was sie sonst nur zu hören bekamen und glauben mussten. Von der Betreuung ausgehend seien im Laufe der Zeit Freundschaften sowohl zwischen Kindern als auch zwischen ganzen Familien entstanden. "Damit hat das Offene Haus etwas geleitet, was eine Schule einfach nicht leisten kann", argumentiert Ismair und fügt hinzu: "Wenn alles was wir gemacht haben Quatsch gewesen wäre, hätte das alles nicht so lange funktioniert."

Die geringere Nachfrage habe auch mit fehlender Unterstützung zu tun. Früher habe die Grundschule Markt Schwaben zu Beginn eines jeden Schuljahrs die Daten von fremdsprachlichen Schülerinnen und Schülern an das Offene Haus weitergegeben, so dass man mit den Familien in Kontakt treten konnte. "Seit die Schulleitung im September 2013 gewechselt hat, sieht man dort offenbar nicht mehr die Notwendigkeit zu vermitteln", bemerkt Ismair. Es gebe seit diesem Zeitpunkt keine Zusammenarbeit mehr zwischen Schule und Offenem Haus. Das habe wohl datenschutzrechtlichen Gründe, wobei Steiner anmerkt: "Mit etwas gutem Willen hätte man da sicher eine Lösung finden können." Sie betont aber, dass nicht allein die Schule Schuld trage, vielmehr seien es viele Aspekte, die zur jetzigen Situation beigetragen hätten.

Immerhin bedeutet das Ende des elterlichen Engagements nicht das Aus für das gesamte "Offene Haus" in Markt Schwaben. Bereits seit über zehn Jahren ist die Initiative auch am örtlichen Franz-Marc-Gymnasium angesiedelt. Dort werde die Arbeit weiterlaufen, so die Organisatoren. Im Rahmen eines Wahlfaches helfen Jugendliche der Oberstufe bei der Hausaufgabenbetreuung der fünften und sechsten Klassen an der Grafen-von-Sempt Mittelschule. Außerdem organisiert ein P-Seminar gemeinsame Aktivitäten wie Museumsausflüge oder Sport- und Spielenachmittage. Lehrerin Susanne Meedt beschreibt die Mentorenarbeit ihrer insgesamt 78 Schützlinge als wertvoll für beide Seiten. "Es entstehen herzliche persönliche Bindungen. Die wildesten Schüler aus unserem Haus nehmen die Aufgabe verantwortungsvoll war und wachsen daran", so Meedt. Außerdem trage das Programm ganz grundsätzlich zum besseren Verständnis zwischen Gymnasium und Mittelschule bei. Besonders freut die Lehrerin, dass sich manche Schüler mit Migrationshintergrund, die früher Unterstützung bekommen haben, heute ihrerseits als Mentoren engagieren. "Die gelten bei den Kindern ganz besonders als Vorbilder."

© SZ vom 05.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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