Auftritt in Glonn:Vom Verlieren und Wiederfinden

Lesezeit: 3 min

Zwei Stimmen, zwei Sprachen: August Zirner (links) und Sven Faller erzählen und musizieren gemeinsam. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schauspieler August Zirner und Musiker Sven Faller öffnen auf Gut Sonnenhausen eine Schatzkammer mit "Transatlantischen Geschichten" und Blues vom Feinsten

Von Ulrich Pfaffenberger, Glonn

Wien und Chicago, die Naab und der Mississippi, Bayern und Kalifornien, Frieden, Krieg und wieder Frieden: Es war eine weite Reise, auf die August Zirner und Sven Faller ihre Zuhörer im "Farmer's Club" von Gut Sonnenhausen am Sonntagabend mitnahmen. "Transatlantische Geschichten" ist das Programm überschrieben, in dem der Schauspieler auch als Musiker zu hören ist und der Musiker als Erzähler. Tief in den Erinnerungen und Bildern ihrer Vorfahren und Angehörigen haben die beiden gegraben und dabei zutage gefördert, was das Leben vieler Familien des 20. Jahrhunderts geprägt hat, schöpferische Kraft neben zerstörerischer Macht.

Das verbindende Motiv, das "Transatlantische", was steckt dahinter? Es sind mehrere Fäden, die sich durch den Abend ziehen, manchmal lose verknüpft, manchmal untrennbar miteinander verknotet. Das Exil in Amerika, für jüdische Familien die größtmögliche Distanz zum Schutz vor Verfolgung und Tod. Das schmerzhafte Suchen nach den verlorenen Wurzeln, das Zweifeln und Wünschen im Umgang mit einer "Heimat", die ihre Geborgenheit verloren hatte. Die Musik.

Wie die beiden davon erzählen, ist spannend und berührend. Bisher vollkommen unbekannte Großmütter und Liebhaber, Klavierlehrer und Anzugsverkäufer, Väter und Mütter treten da in bunter Reihenfolge in unser Leben, um von gleich auf jetzt vertraut zu werden, als habe man sie ein Leben lang gekannt. Die Entspanntheit in Stimme und Sprache der Erzähler überwindet jede Fremdheit, jede Distanz. Weil sie nicht nur mitteilen, sondern teilnehmen lassen am Geschehen, lösen sich die Zuhörenden aus ihrer Passivität und hören sich hinein in die lebenden Bilder - etwas, was manchem zuletzt vor vielen Jahren als Kind geglückt sein mag.

Nun haben die beiden Erzähler zwei Stimmen und damit auch zwei Sprachen: ihre Worte und ihre Musik. Wie unterhaltsam Sven Faller seinen Kontrabass einsetzt, macht für regelmäßige Besucher seiner Konzerte einen besonderen Reiz aus; da gewinnt der Dialog über die Berieselung. Dass August Zirner jedoch mit seiner Querflöte eine dramaturgische Vielfalt an den Tag legt, die Neugier weckt und lebendige Spannung erzeugt, das mag den meisten Zuhörern neu sein. Wie das Duo dann seine Instrumente spielt (und gleichsam als zusätzliche Akteure spielen lässt), macht erkennbar, dass sich da nicht nur Zwei gefunden haben, sondern finden mussten. Genauso, wie sich in der Großelterngeneration Ella und Franz finden mussten, kommen hier Bach und Brubeck zusammen.

Es ist Blues vom Feinsten, der den "Farmer's Club" einfärbt, während ein Hauch von sehnsuchtsvoll suchender Wehmut durch den Raum weht, ein markant melancholischer Unterton, wie er schon Schlöndorffs "Blechtrommel" und Reitz' "Heimat" Glaubwürdigkeit verlieh. Eine Musik, die wir vermuten, wenn sich Wege gekreuzt haben, nur um sich später in der Ferne zu verlieren. So geschieht es dann auch, dass die Menschen auf der Bühne mit denen im Publikum so nah zusammenrücken, wie das nur innere Bewegungen vermögen. So eng verschmelzen die Erzählungen und die Melodien miteinander, dass sie sich nicht mehr addieren, sondern multiplizieren in ihrer Wirkung. Am Ende der zwei Stunden ist es, als hätte man das alles selbst miterlebt und jede der Figuren erscheint einem vertrauter als mancher lebende Zeitgenosse.

Es wäre der bunten Vielfalt der Geschichten nicht gerecht, sie an dieser Stelle nachzuerzählen oder besonders originelle oder prägnante Episoden herauszupicken. Die "Transatlantischen Geschichten" leben von der Unmittelbarkeit, in der sie uns im Auftritt begegnen. Sie entfalten ihre Wirkung in der Freiheit und Improvisation des Vortrags, im wechselnden Licht und Schatten der Orte und Menschen, auf die sie wirken dürfen. Dieses Format, darauf lassen die Reaktionen der aufmerksam lauschenden Zuhörer zweifelsfrei schließen, das würde man sich gern häufiger gönnen. So lebendig, so unvorhersehbar in seinem Verlauf, so nahbar und so freundschaftlich war das Erzählen von Faller und Zirner, dass man süchtig danach werden möchte. Denn, die Vermutung liegt nahe, in jener Schatzkammer, die Ella, Gert, Franz und die anderen gefüllt haben, lagert noch viel, viel mehr. Zunächst mögen sich die einen oder anderen damit begnügen, auf der CD der beiden nachzuhören, worüber sie an diesem Abend gelacht und nachgedacht haben, was sie zum Staunen und zum Mitfiebern gebracht hat. Den anderen aber wird eine neue Begegnung mit den "Transatlantischen Geschichten" und ihren Überbringern einen weiteren Besuch bei einem Live-Auftritt auch eine längere Anreise wert sein - oder die Wartezeit, bis sie in diesem Herbst nach Vaterstetten kommen.

© SZ vom 04.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: