Aßling:Wo die Ziach daheim ist

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Quirin Kaiser hat sich einen Namen als Harmonikabauer gemacht. Jede Steirische aus seiner Werkstatt ist ein Unikat

Von Alexandra Leuthner, Aßling

Da setzt er sich mal eben hin, der Ziachkaiser, auf einen Holzstuhl, in seinen Werkstatthosen, er ist ja mitten im Arbeiten, hebt sein Instrument auf den Schoß, einen Träger locker über die Schulter gelegt, und spielt einen auf. Im Zweivierteltakt vibriert der Bass der Steirischen, mächtig und tief wie der Inn nach der Schneeschmelze kommen die Töne aus dem dunkelbraunen Holzkorpus. In wunderbarer Harmonie perlen dazu die Melodietöne des Diskant, wie am Schnürchen gezogen. Da weiß einer umzugehen mit dem Instrument - und er versteht es auch noch, es selbst zu bauen.

Die steirische Harmonika, die Quirin Kaiser jetzt liebevoll wieder von der Schulter nimmt, ist eines seiner feinsten Werkstücke. Er stellt sie zurück zu den anderen ins beleuchtete Regal, das sich an zwei Seiten um sein Büro zieht, im ersten Stock seines Wohnhauses, gelegen mitten im schönsten Niclasreuther Voralpenhügelgrün. Alles hier hat mit Musik zu tun. Auf dem Boden stehen Instrumentenkoffer, Muster aus Dirndlstoffen für die Bälge der Harmonikas liegen im Regal neben einem Kästchen mit Holzplättchen von hellstem Ahorn, über Nussbaum und Kirsche, südamerikanischem Cocobolo bis hin zu fast schwarzer Räuchereiche. Wer hier ein Instrument bestellt, bekommt es auf den Leib gefertigt, kann sich alles aussuchen, bis hin zum Holz der Knöpfe, dem Metall der Basstrompeten und natürlich dem individuellen Klang. Die Härte des Holzes habe nur wenig Einfluss darauf, wie sich eine Ziehharmonika anhört, erklärt der Instrumentenbauer. "Nicht wie bei den Streichern, wo der Ton einen Resonanzkörper braucht." Das Holz ist hier nur eine Sache des Geschmacks - oder des Gefühls. "Da kommt schon mal einer zu mir, der hat den alten Apfelbaum in seinem Garten umgeschnitten und fragt, ob ich ihm eine Ziach draus mache." Geht alles, wenn das Holz trocken genug ist - und wenn Kaiser mit den Wünschen seiner Kunden leben kann. "Innen soll es so modern wie möglich sein, außen traditionell", erklärt er.

Aus dunkelbraunem Rosenholz ist das Instrument gefertigt, auf dem er gespielt hat, die Ecken mit polierten Holzbeschlägen versehen, die so exakt verarbeitet sind, dass man den Übergang zum Korpus kaum bemerkt, wenn man mit dem Finger darüber fährt. Auch die Abdeckung über der Diskantmechanik ist aus Holz, besteht aus verspielten Ornamenten. Das Muster hat der Handwerker selbst entworfen, der Wiedererkennungswert ist hoch, "da brauch' ich keinen großen Namenszug auf der Ziach." Wenn die Abdeckung aus Holz ist, wird der Klang wärmer und weicher, wie er erklärt. Metall mache dagegen den Klang heller, aggressiver. Er demonstriert das an einem anderen Instrument. Das Holz hell, die Ecken nicht ganz so fein - ein Einsteigermodell.

Um die achteinhalbtausend Euro kostet die dunkelbraune Ausführung, etwa 200 Arbeitsstunden stecken in dem edlen Spielgerät. Quirin Kaiser überlässt nichts dem Zufall, jede Kaiser-Ziach ist ein Einzelstück. "Zu schauen, wie man mit möglichst wenig Handarbeit auskimmt, des mach' ma net", sagt er. Im Gegenteil. So wenig Kunststoff wie möglich, möglichst alles, die Holz- ebenso wie die Metallbearbeitung im eigenen Haus zu machen, das sei sein Ziel. Abgesehen von den Stimmzungen, die aus dem Herzen des Akkordeonbaus, dem italienischen Castelfidardo kommen, steckt schon jetzt nicht mehr viel in den Kaiser-Steirischen, das er nicht zumindest noch verbessert hat. Auch die Feinjustierung der Stimmzungen übernehmen der Chef und seine Mitarbeiter. Beim Akkordeon entsteht der Ton durch den Luftstrom aus dem Balg, der die meist drei Aluminiumzungen pro Taste zum Vibrieren bringt. Wenn die Stimmzungen aber nicht ganz exakt auf der metallenen Rahmenöffnung liegen, erklärt Kaiser später in der holzgeschwängerten Werkstattluft, zwischen Bassmechaniken, Gehäusen fast fertiger Quetschen, Zubehörschubladen und Werkzeugschränken, geraten sie allzu schwer in die Vibration. "Dann braucht die Ziach zu viel Luft, und dann wird's schwerer zum Spuin." Und wenn er mit dem Einrichten der Mechanik nach stundenlanger Arbeit endlich zufrieden ist, dann geht es an die Stimmung. Auf jede einzelne Stimmzunge kommt es an, winzige Nuancen im Abstand zwischen Ober-, Unter- und Grundton bestimmen den Klangcharakter des Instruments. "Je weiter der Abstand ist, desto größer das Tremolo." Da gibt dann ein einziges Akkordeon allein ein ganzes Orchester, so breit und voluminös klingt sie. "Wenn ich aber mit Saiteninstrumenten zusammen spielen will, kann ich das nicht brauchen, dass die Ziach alles andere übertönt." Hier kommt es auf einen klaren Ton an. Das Stimmen ist gewissermaßen das Tüpfelchen auf dem "i" der Ziachbauerei - auch das in der Kaiser-Werkstatt alles andere als ein Routineeingriff. "In der Massenherstellung stimmt der Stimmer fünf Harmonikas an einem Tag, bei uns braucht er fünf Tage für Eine", erklärt er. Schon bevor der Scheiner vor vier Jahren umgesattelt hat auf den Instrumentenbau, hat er getüftelt, überlegt und ausprobiert; seit er weiß, welche Knöpfe er drücken muss, damit die Polka nach Polka klingt, und der Walzer im rechten Dreivierteltakt daher kommt, hat er nach dem idealen Instrument gesucht.

Vier Jahre war der kleine Quirin, als sein Opa ihm eine Quetschen in die Hand gedrückt, dem Buben die ersten Griffe erklärt hat - dem Opa hat er zum achtzigsten Geburtstag genau dieses Instrument noch einmal nachgebaut. Nur ein bisschen besser als die alte, "und aus einem Kirschbaum aus Niclasreuth." Mit acht Jahren begann er, Unterricht zu nehmen, als er 16 war, hat er selbst die ersten Seminare geleitet. "Wenn da ein 60- oder 70-Jähriger rein kam, und da hat so ein Bua gesessen, da ham die scho g'schaut", erzählt er und grinst bei der Erinnerung. " Aber dann hat ma halt a Liadl g'spielt, und alles war klar."

Ohne seine Musik könnte er nicht leben, sagt der jetzt 26-Jährige, der dem Schild, das an der Werkstatttür hängt mit der Aufschrift, "Mia red'n boarisch", alle Ehre macht. Was das angeht, die Musik, die Sprache und seinen Beruf, da ist er Traditionalist und Idealist in Einem. Dass er die Niclasreuther Schreinerei, die sein Urgroßvater gegründet, an den Großvater und dann an Quirins Vater weitergegeben hat, übernehmen kann, macht ihn glücklich. Ebenso wie die Tatsache, dass er sein Hobby zum Beruf machen konnte. Nach der Schreinerausbildung arbeitete er fünf Jahre für eine österreichische Akkordeonfirma, machte 2011 die Meisterprüfung im Schreinerhandwerk und wagte dann vor vier Jahren den Schritt in die Selbständigkeit.

Und bisher ist sein Plan aufgegangen. Neben der Arbeit ist er unterwegs mit der Tanzlmusi, steht als Mitorganisator beim Ziachtreffen am 13. Mai in der Schlossbrauerei Maxlrain selbst auf der Bühne. Im März hat er mit einigen Gleichgesinnten den Verein zur Förderung alpenländischer Volksmusik gegründet, der jetzt eigene Seminare im Harmonikaspiel anbietet, um das weiterzugeben, was ihm selbst zum Lebensmittelpunkt geworden ist.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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