Aßling:Was Heimat bedeutet

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Einheimische und Flüchtlinge produzieren in Aßling gemeinsam vier sehenswerte Kurzfilme

Von Anselm Schindler, Aßling

Für die einen ist Heimat der Presssack in der Metzgerei. Für den anderen die eigene Eisdiele, die seine Eltern aufgebaut haben, als sie von Italien nach Deutschland kamen. Beides schließt sich aber keineswegs aus, wie Interview-Sequenzen zeigen, die Jugendliche der Mittelschule Aßling gemeinsam mit geflüchteten Jugendlichen von Schloss Zinneberg gedreht haben. Drehort: Aßling. Protagonisten: International. Arbeitstitel: "(Neue) Heimat". Die zusammengeschnittenen Interviews sind ein Teil des Projektes, gemeinsam haben die Jugendlichen im Sommer dieses Jahres Material für vier Kurzfilme geliefert. Geschnitten und bearbeitet wurden sie von Studenten der Freien Universität Berlin, unterstützt wurde das Projekt von Grass 21 und dem Aßlinger Verein Horizonte.

Freitagabend im Aßlinger Gemeindesaal: Hier stellen die beteiligten Schüler und Studenten das Projekt vor, der Saal ist voll. Die Filme dauern jeweils nur wenige Minuten, wenig Zeit für die filmische Darstellung eines Begriffs, der derzeit gesellschaftspolitisch aufgeladen ist wie schon lange nicht mehr: Heimat. Den jungen Protagonisten ist diese Darstellung aber gelungen - ohne dass der Humor dabei verloren ginge. Er schwingt zwischen den Sequenzen mit. In einem der Kurzfilme sprechen ein Aßlinger und ein Zinneberger Schüler über Essen. Und während ersterer am liebsten Pizza auf dem Teller liegen hat, bevorzugt der Zweite die Breze - im Ramadan natürlich erst nach Sonnenuntergang, wie er grinsend hinzufügt.

Mit zufriedenem Gesichtsausdruck mustert Lisa Herzog die Schüler, die dem Publikum gerade das Equipment für den Videodreh erklären. "Die Schüler sehen die Filme heute selbst zum ersten Mal", erklärt die Studentin, die gemeinsam mit einigen Kommilitonen an diesem Abend aus Berlin nach Aßling gekommen ist, um bei der Präsentation der Filme dabei zu sein. Die Studenten waren bereits im Sommer in Aßling, um den Schülern ein Gefühl für das Filmen und für die verschiedenen journalistischen Formate zu vermitteln. Und natürlich, um die Dreharbeiten zu begleiten. Herzog und die anderen Studierenden haben das Videomaterial dann ausgewertet und zusammengeschnitten.

Identität, Weggehen, Ankommen, das Projekt versuche aufzugreifen, was diese Wörter für Menschen bedeuten, erklärt Dagmar Boeck-Siebenhaar. Sie leitet das Institut für Kultur und Medienmanagement an der Berliner FU. Das Projekt zeigt, dass Identität und Heimat nichts Starres sind - vermutlich unbeabsichtigt liefert das Projekt damit auch einen Beitrag zur Debatte um die Leitkultur. Die Jugendlichen in Aßling kommen offenbar auch ohne sie zurecht. "Oft sprechen diese Gruppen übereinander, hier agieren sie miteinander", sagt Boeck-Siebenhaar mit Blick auf Geflüchtete und Einheimische. Die verschiedenen Perspektiven, die sich daraus ergeben, machen die Kurzfilme erst interessant. Für die Jugendlichen, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, geht der Blick, was Heimat betrifft, in zwei Richtungen. Nach hinten und nach vorne: Musa Khan spricht von "neue Heimat", er kommt aus Afghanistan, jetzt lebt er auf Schloss Zinneberg. Auch Fatma lebt hier, auch sie spricht in einem der Kurzfilme über Heimat. Der Kontakt zu ihren Eltern ist abgebrochen, als Jugendliche floh sie aus Äthiopien. Der längste der Filme gibt Einblicke in das Leben der jugendlichen Asylbewerber. Befragt werden auch Passanten in Aßling, die oft erstaunlich wenig über die Lebensrealität von Asylsuchenden wissen. Ähnliche Projekte seien für den Landkreis bereits in Planung, erklärt Felix Aschauer, der sich für den Verein Horizonte um die Finanzierung der Produktion gekümmert hat.

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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