Aßling:"Es sind oft harte Schicksale"

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Jeder in Aßling kennt die örtliche Tafel, doch nur wenige wissen, wie die Ehrenamtlichen dort arbeiten. Ein Tag unter Hilfsbedürftigen, die auf Menschen wie Sabine Küpferling angewiesen sind - und auch ein Neunjähriger packt mit an

Von René Becker, Aßling

Warenausgabe in Aßling, und eine Kundin berichtet, warum sie hier ist. "Nach jahrelanger Selbstständigkeit bin ich hier regelmäßig. Leute, die es wie mich getroffen hat, wären ohne die Tafel aufgeschmissen." Ihren Namen verschweigt sie, wie bei vielen hier ist die Scham auch bei ihr ein Thema. Die Tafel hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen wie sie aufzufangen. Viele der Kunden gehen schon lange zur Tafel. Die Corona-Krise aber hat deutlich gemacht, wie schnell Menschen in finanzielle Probleme und existenzielle Krise geraten können. Das macht die Arbeit der Tafel umso wichtiger.

Freitagfrüh in Aßling, acht Uhr. Die Räume sind noch leer, genau wie die Regale. Die Ruhe vor dem Sturm. Vier Stunden, dann soll der Betrieb der Aßlinger Tafel auf Hochtouren laufen. Dann soll die Ladung an Lebensmittelspenden im Vereinshaus eintreffen und unter Zeitdruck ausgeladen, aussortiert und eingeräumt werden. Alles muss fertig sein, bevor die Kunden kommen. Jeder hier im Ort kennt die Tafel. Doch wie sie arbeitet, wissen nur wenige.

Der Verein ist ständig auf der Suche nach weiteren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. (Foto: Privat)

Sabine Küpferling engagiert sich seit15 Jahren und damit seit Bestehen für die Tafel Aßling. Die Mitbegründerin ist seit 2005 die erste Vorsitzende. Deswegen hat sie einen guten Überblick über die Arbeit und Logistik der Tafel. "Man lebt für die Tafel", sagt sie. Die Arbeit ist zeitintensiv. So hat sie einmal für eine kranke Kundin eine Suppe gekocht. Küpferling und die Tafel kennen ihre Kunden gut und sehen sich in einer sozialen Verantwortung, denn "Kunden sind uns wichtig", bekräftigt sie. Es geht ihr aber auch darum, dem verschwenderischen Umgang der Supermarktketten mit Lebensmitteln entgegenzuwirken. Denn das Essen ist oft noch gut und zu schade, um weggeworfen zu werden.

Supermärkte, Bäckereien und sonstige Läden aus der Region spenden der Tafel ihre Waren, die übrig geblieben sind und sonst im Müll landen würden. Die Spenden sind unterschiedlich, es kommen auch Drogerieprodukte oder Blumen. Jeden Donnerstag holt die Tafel in Aßling auf einer eineinhalbstündigen Tour Spenden im Umland ab. Freitags ist die große Tour angesagt. Diese dauert drei Stunden und schließt den Metromarkt in München-Ottobrunn mit ein.

Die Einrichtung lebt von Spenden, aktuell werden Winterreifen für das Vereinsauto gesucht. (Foto: Rene Becker/oh)

Es ist wieder Freitag, Wielfried Dilling, einer der 14 Fahrer, steht schon in den Startlöchern. Heute ist die große Tour angesagt. Das heißt für ihn schwere Sachen tragen. Unzählige Kisten an Lebensmitteln und sonstigem müssen in den Transporter ein- und ausgeladen werden. "Es ist schwere körperliche Arbeit", sagt er. Dilling ist eigentlich pensionierter Elektroingenieur und muss gestehen: "Der Bereich der Lebensmittellogistik war mir völlig neu." Er ist seit fast zwei Jahren bei der Tafel.

Seit 2005 gibt es die Einrichtung in Aßling und beschäftigt 35 ehrenamtliche Helfer. Diese reichen jedoch nicht. "Es gibt immer Helfermangel", beklagt Küpferling. Die Herausforderungen hören damit nicht auf. Die Einrichtung lebt von Spenden. "Aktuell brauchen wir Winterreifen für unser Vereinsauto". Spenden sind diesbezüglich immer sehr willkommen, besonders finanzieller Natur. Die Tafel bekommt das Gebäude von der Gemeinde Aßlingmietfrei zur Verfügung gestellt. Es ist nur einmal im Jahr ein Pauschalbetrag für die Nebenkosten fällig. Schirmherr der Tafel ist Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß.

Mittlerweile ist Dilling mit den Waren angekommen. Die Lebensmittel werden unter Zeitdruck in die Regale geräumt: Kartoffeln, Joghurt, Blumen, Deodorants. Abgelaufene Lebensmittel sind eine Grauzone, erklärt Dilling. "In der Theorie sind sie nicht mehr essbar. Die Praxis sagt etwas anderes. Dinge wie Fisch, Krabben oder Mayonnaise werden sofort weggeschmissen, wenn sie über dem Verfallsdatum sind. Bei anderen Produkten kommt es drauf an."

Unter den Ehrenamtlichen gibt es einen besonders jungen Helfer: Sabine Küpferlings Sohn Maxi geht zur Grundschule und packt ebenfalls mit an. "Ich helfe hier regelmäßig, es macht mir Spaß", sagt der Neunjährige. Auch er hat seinen Teil beigetragen, dass nun alles eingeräumt ist. Das heißt für Küpferling und die weiteren Helfer erst einmal Pause. Für die Warenausgabe sind andere zuständig. Eine Stunde noch, dann kommen die Kunden.

Dabei handelt es sich um 25 bis 35 Familien mit jeweils zwei bis fünf Mitgliedern aus der Verwaltungsgemeinschaft Aßling. Jeder hat eine Karte, mit der das Essen abgeholt werden kann. Auf dieser steht unter anderem die Information, wie viele Personen im Haushalt des Kunden leben. Daran gemessen darf die Person einen gewissen Umfang abholen. Ausgestellt werden die Karten von der Gemeinde. Die Kunden müssen sich jedes Jahr einer Berechtigungsprüfung unterziehen.

35 ehrenamtliche Helfer engagieren sich bei der Aßlinger Tafel. (Foto: Rene Becker/oh)

14 Uhr, die Tafel öffnet. Wie jeden Freitag wird jetzt eineinhalb Stunden verteilt. Die Besucher bekommen eine Nummer zugelost und warten draußen bis sie dran sind. Sie werden einzeln aufgerufen und dürfen sich an bestimmten Kühlschränken selbst bedienen. Die Selbstbedienungskühlschränke und Hinweis- sowie Warnschilder sind auf deutsch und arabisch beschriftet. Es dürfen sich maximal zwei Kunden in den Räumen aufhalten. Die üblichen Corona-Regeln gelten ebenfalls.

"Oft wollen einige das Gleiche, was andere auch haben, wie zum Beispiel Lachs. Doch das geht natürlich nicht immer. Manchmal haben wir nur eine Packung da. Wir sind kein Supermarkt", erzählt Küpferling. Wenn man die Kunden lange kennt, erfährt man zudem vieles über ihre Lebenssituationen. "Es sind oft harte Schicksale. Die lassen einen nicht kalt. Man nimmt definitiv Geschichten mit nach Hause." Einige leben im Asyl, andere sind beruflich gescheitert. Die Scham ist oft sehr groß.

Die Resonanz ist dennoch gut. So lobt eine Kundin, die ihren Namen ebenfalls nicht nennen möchte: "Die Leute hier arbeiten super. Die Sachen, die wir kriegen, sind von hoher Qualität. Von mir gibt es fünf Sterne!" Kunde Amadeus sieht es ähnlich: "Das Sortiment ist sehr gut. Man findet hier viel und wenn man sparsam lebt, kommt man damit lange aus." Er habe schon Einblicke in andere Tafeln bekommen und weiß wie es dort abläuft. "Hier in Aßling ist es echt stark."

Die Warenausgabe ist vorbei. Küpferling ist nun wieder mit ihrem Sohn und den anderen Helfern im Vereinshaus. Es sind noch viele Reste, vor allem Joghurt und Salat, übrig geblieben. Diese werden jetzt sortiert. Küpferling erklärt, dass Lebensmittel, die noch bis zur nächsten Woche haltbar sind, aufbewahrt werden. Ansonsten kriegen es andere Tafeln - schließlich sind die Aßlinger eine sogenannte Verteilertafel - und die Überreste davon gehen an die Ebersberger Food Sharer. Die Aufräumarbeiten gehen vergleichsweise schnell im eingespielten Team. Kurz vor 16 Uhr, fünf Stunden Arbeit haben Sabine und Maxi Küpferling seit acht Uhr morgens investiert. Jetzt können sie Feierabend machen.

© SZ vom 16.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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