Aßling:Die Krankheit erfordert Mut

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Themenwoche Demenz: Was die Diagnose für Angehörige bedeutet

Von JOHANNA FECKL, Aßling

Nach einer Demenz-Diagnose ist ein "Netzwerk aus Unterstützung", so nennt es Christine Deyle, das wichtigste Werkzeug im Umgang mit der Krankheit - das gilt sowohl für die Betroffenen als auch für deren Angehörige. Deyle weiß das aus ihrer Erfahrung. Die Sozialpädagogin arbeitet für die Caritas unter anderem in der Beratung, leitet einen Gesprächskreis für pflegende Angehörige und eine Betreuungsgruppe für demenzkranke Menschen in Markt Schwaben. Am Dienstagabend informierte Deyle im katholischen Pfarrheim in Aßling über die Auswirkungen von Demenz auf Betroffene und deren Angehörige.

Demenz wird aus medizinischer Sicht in drei Phasen unterteilt: leicht, mittelgradig und schwer. In den ersten beiden Entwicklungsstufen merke der Betroffene durchaus, dass mit ihm etwas nicht stimmt, sagte Deyle. Vor allem für das erste Stadium sei typisch, dass Demenzkranke Gesprächen nur noch schwer folgen können. Fähigkeiten, die bislang selbstverständlich waren, sind es auf einmal nicht mehr. "So etwas ist irritierend und kommt einem Kontrollverlust gleich. Das macht Angst", sagte Deyle. Viele reagierten darauf mit Verleugnungsstrategien; am häufigsten zögen sich die Erkrankten zurück, um heiklen Situationen mit Freunden und Bekannten zu entgehen. Eine konkrete Diagnose, ein neutraler Ansprechpartner und Informationen darüber, was auf ihn zukommen wird, könnten dem Betroffenen aus dieser Isolation helfen.

Für die Angehörigen ist es wichtig, sich darauf einzustellen, dass sich die Beziehung zum Demenzkranken verändern wird. "Das muss gar nicht heißen, dass sie schlechter wird", betonte Deyle. "Sie wird nur eben anders." So funktioniert die Kommunikation in einem fortgeschrittenen Demenzstadium nicht mehr über Faktenwissen, sondern über Emotionen. Deyle erklärte, dass es nicht darum geht, den Betroffenen auf sein fehlendes Wissen hinzuweisen, "das verunsichert ihn nur noch mehr." Stattdessen solle man sich überlegen, weshalb der Erkrankte beispielsweise immer wieder klagt, dass die eigene Mutter nie anrufe - obwohl diese in Wahrheit schon vor mehreren Jahrzehnten verstorben ist. Daraus könnte dann eine emotionale Frage entstehen: "Fühlst du dich einsam?" Im Idealfall münde das dann in ein Gespräch, so Deyle.

Daneben ist für die pflegenden Familienmitglieder oder Freunde vor allem aber eine Frage entscheidend: Wie viel Pflege traut man sich selbst zu? Deyle sagte, dass viele ihrer Klienten keine klare Grenze zwischen dem eigenen Können und dem Wollen zögen. Und gerade das sei enorm wichtig. "Man muss die eigenen Bedürfnisse immer mit berücksichtigen, ansonsten ist es überhaupt nicht möglich, den Betroffenen über einen vielleicht langen Zeitraum zu pflegen." Dazu zählt auch, dass man möglichst viele Menschen aus dem Umfeld in die Situation einweiht. Nur so könnten die Nachbarn helfen, indem sie die richtigen Schlüsse ziehen und Angehörige informieren, wenn sie den Erkrankten alleine im Ort sehen. Laut Deyle erfordere das allerdings Mut. Denn "viele beurteilen Demenz leider immer noch nicht als Krankheit, sondern als Unfähigkeit."

© SZ vom 10.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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