Anzing:Piraten wollen den Landkreis erobern

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Frischer Wind für die Lokalpolitik: Die aufstrebende Piraten-Partei gründet in Anzing einen Kreisverband - und hat ehrgeizige Ziele.

Christian Hufnagel

Wer will, mag in der Dekorierung des Veranstaltungsortes sinnbildhaft Charakter und Situation dieser neuen politischen Gruppierung ausmachen. Im holzvertäfelten Nebenraum der Anzinger Sportgaststätte leuchtet eine orange Fahne hervor, die sich an der braunen Wand tapfer gegen das bajuwarische Interieur wehrt und in ihrer Leuchtkraft erfolgreich abhebt.

Führen die Piratenpartei im Landkreis an: Sebastian Hietl (von links), Andreas Kriesmer und Peter Martischka. (Foto: CHRISTIAN ENDT)

Weiter kann das Emblem eines aufgeblähten Segels auf dem knalligen Farbgrund der Flagge durchaus als Symbol dafür angesehen werden, was die Mitglieder an diesem Mittag vorhaben: Frischen Wind will man in die kommunalen Gremien des Landkreises tragen, unter vollem Segel wachsender Zustimmung in die unbekannte See lokalpolitischer Themen stechen. Noch mehr Assoziationen bietet der Name, den sich die Partei gegeben hat, natürlich an. Schließlich bezeichnen sich die 20 Menschen, die gekommen sind, allesamt als "Piraten". Wobei natürlich keiner Augenklappe oder Holzbein trägt und mit Degen oder Säbel ausgerüstet ist.

Im Gegenteil: Höchst modern und in jedem Fall friedlich sind die meisten mit einem Laptop "bewaffnet", ein Anblick, den sie aber nicht als jenes Klischeebild verstanden wissen wollen, das sich offenbar in der öffentlichen Wahrnehmung von den Mitgliedern gezeichnet hat. Jedenfalls versichert Michael Nausch, dass sie "keineswegs nur internet-affine Hacker" seien, " die das Tageslicht scheuen". Der 43-jährige Systemadministrator aus Pliening hatte als bisheriger Ansprechpartner im Landkreis seit vergangenem Jahr Stammtische organisiert und nun seine 28 anderen Parteimitglieder sowie auswärtige Gäste nach Anzing eingeladen, um "der Bewegung der Piraten einen neuen Spross" zu verleihen, nämlich den Kreisverband Ebersberg zu gründen.

Das Vorhaben glückt dann auch in weniger als einer Stunde, obgleich nur sechs Stimmberechtigte gefunden und akkreditiert werden konnten. Aber diese genügten, um einen dreiköpfigen Vorstand zu finden und zu wählen. Kreisvorsitzender der Piratenpartei kann sich nun Sebastian Hietl nennen, ein 23-jähriger Raumausstatter aus Vaterstetten. Sein Stellvertreter Peter Martischka ist gerade einmal 19 Jahre alt, kommt aus Anzing, befindet sich in der Ausbildung zum Fachinformatiker und hebt seine Mitarbeit beim Internetauftritt der Bundespartei hervor. Für das Amt des Schatzmeisters fand sich der 45-jährige IT-Spezialist Andreas Kriesmer aus Markt Schwaben, der der Runde versicherte, zählen zu können: "Ich weiß, dass eins und eins nicht vier ist."

Inhaltlich hielten sich alle Versammlungsteilnehmer sehr zurück. Der neue Vorsitzende versprach, den Kreisverband im Landkreis bekannt machen zu wollen. Er denkt daran, einen "Wanderstammtisch" einzurichten, schließlich sei es mit Infoständen in den vielen kleinen Orten schwierig. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Andreas Popp ermutigte die Mitglieder des neuen Kreisverbandes dazu, "auf die Straße zu gehen und Politik zu machen". Er fände es zudem "toll", wenn sich die Ebersberger "Themen schnappen und beackern" würden.

Damit erschöpfte sich dann auch schon Programmatisches, was aber durchaus als Programmatik der Partei zu verstehen ist, wie sich aus ausliegendem Informationsmaterial herauslesen ließ. Demnach fanden sich die Piraten vornehmlich im Internet zusammen, bundesweit zählen sie inzwischen mehr als 12.000 Mitglieder. Ihre politische Ausrichtung wird vornehmlich in diesem Medium diskutiert und erarbeitet. In der Abgrenzung zu den etablierten Parteien begrenzt man ganz bewusst die Themen: In vielen Bereiche habe man noch keine Position. Grund: "Wir möchten politisch nur vertreten, wovon wir auch etwas verstehen und keine Kompetenzen vorgeben, die wir noch nicht besitzen."

Als konkretes Ziel formulierte der Bezirksvorsitzende Alexander Philipp in Anzing "die Erhaltung der Bürgerrechte im realen wie digitalen Leben". Und in beiden Ebenen fordern die Piraten mehr Transparenz der Entscheidungsprozesse in Politik und Verwaltung. Ein Thema, dass die neue Partei sicherlich auch lokal "beackern" kann. Wenn es nicht schon von den Ebersberger Grünen besetzt worden ist. Diese fordern bekanntlich, dass jeder Bewohner des Landkreises freien Zugang zu Informationen des Landratsamtes erhalten soll. Müssen die Ebersberger Piraten wohl bald in Fahrt kommen, damit ihnen der politische Gegner mit ihrer ureigensten Thematik nicht davonsegelt.

© SZ vom 02.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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