Anzing:Konkurrenz ums Grün

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Am Sonntag müssen die Anzinger über ein Gewerbegebiet neben dem Friedhof abstimmen

Von Barbara Mooser, Anzing

Von der Autobahn rauscht der Verkehrslärm her, auf der Erdinger Straße reiht sich ein Auto ans andere, über all dem dröhnen an diesem trüben Herbstmorgen auch noch Flugzeuge fast im Fünf-Minuten-Takt. Wer dörfliche Idylle sucht, wird hier, am nördlichen Anzinger Ortsrand, ganz sicher nicht fündig. Tankstelle, Lidl-Markt, Lidl-Auslieferungslager, XXL-Auslieferungslager, dazu ein paar Autohändler - so sieht es seit ein paar Jahren hier aus. "Lidling", so nennen Spötter Anzing bisweilen, entschieden zu stark prägt der Discounter für ihren Geschmack den Ort, der an anderen Stellen durchaus noch den Charme des alten Bauerndorfes bewahrt hat, das er einmal war. Am Sonntag geht es nun erneut um Lidl, aber nicht nur. Es geht auch um drei örtliche Gewerbebetriebe - und die schwierige Abwägung zwischen Natur und Wirtschaft.

"Sind Sie dafür, dass die Gemeinde Anzing die Ansiedlung beziehungsweise Erweiterung örtlicher Betriebe östlich der Erdinger Straße in unmittelbarer Nähe zur Autobahn ermöglicht und notwendige planungsrechtliche Schritte einleitet?" So lautet die Frage, über die 3392 wahlberechtigte Anzinger beim Bürgerentscheid an diesem Sonntag abstimmen sollen. Über dem fraglichen Grundstück östlich der Erdinger Straße leuchtet noch das gelbe Lidl-Logo. Geht es nach den Verantwortlichen bei dem Discounter, soll es samt Markt bald auf die andere Straßenseite umziehen, und den Platz für drei Anzinger Unternehmen frei machen, die sonst nirgends im Ort für sich Entwicklungsmöglichkeiten sehen. Lidl macht das nicht aus uneigennützigen Motiven: Größer soll er werden, der Markt, komfortabler für Kunden wie Mitarbeiter, mehr Parkplätze bieten und möglichst keine fossilen Energien mehr verbrauchen. Natürlich soll es auch darum gehen, Kunden zu halten und möglichst noch mehr zu gewinnen, das hat Lidl-Vertreter Sebastian Theiling bei einer Info-Veranstaltung kürzlich klar gemacht.

Darüber, ob sich die Gewerbeflächen auch auf die andere Seite der Staatsstraße ausbreiten dürfen, wird aber in Anzing schon länger diskutiert, als es diese Lidl-Pläne überhaupt gibt. Ursprünglich wollten sich hier örtliche Unternehmer in einem neuen Gewerbegebiet ansiedeln, das stellte sich aber als schwierig heraus: Der Produktionslärm der Handwerksbetriebe, ständig an- und abfahrende Lkw direkt neben dem Friedhof ließen diese Idee kaum realisierbar erscheinen. Dann trat Lidl auf den Plan und bot einen Deal an: Wenn der Discounter statt der kleineren Gewerbebetriebe umzöge, würde für diese Platz auf dem bisherigen Lidl-Areal. Der neue Lidl-Markt würde ein gutes Stück vom Friedhof wegrücken, außerdem als ein Riegel gebaut und so sogar wie eine Lärmschutzwand für den Friedhof wirken, so beschrieb es Sebastian Theiling bei einer Informationsveranstaltung in Anzing. Überdies werde man den neuen Markt und seinen Parkplatz großzügig eingrünen und auch hohe Bäume pflanzen.

Doch alles Grün rund um den Markt herum kann die Gegner des Vorhabens nicht darüber hinwegtrösten, dass dafür anderes Grün verschwinden würde, dass erneut landwirtschaftliche Flächen unter Beton begraben und die Bebauung nah ans Quellgebiet der Anzinger Sempt rücken würde. Momentan wächst Mais auf dem Areal, daneben führt ein kleiner Spazierweg in die Natur - und wer Anzing von hier aus betrachtet, findet doch etwas von dem Dorf-Idyll, um das die Kritiker fürchten. Sie glauben auch, dass die Geschichte mit dem Lidl nicht zu Ende ist, dass es auch für die Grundstücke daneben Begehrlichkeiten gibt. Der Protest vieler Anzinger gegen die Pläne hat letztlich auch zum Ratsbegehrend geführt und zum nun anstehenden Bürgerentscheid parallel zur Bundestagswahl.

Wie er ausgeht, dazu wagt Bürgermeister und Gewerbegebietsbefürworter Franz Finauer (UBA) nur zögernd eine Prognose: "Das ist ganz, ganz schwierig." Aber letztlich glaubt er doch, dass es knapp für das Gewerbegebiet ausgehen wird. Das reicht auch, bei Bürgerentscheiden ist nur eine einfache Mehrheit notwendig. Spannend bleibt es allerdings auch am Sonntag noch lange, denn bevor es an die Auswertung des Bürgerentscheids geht, muss auch hier die Bundestagswahl fertig ausgezählt werden. Um 21 Uhr, so die Prognose Finauers, sollte aber auch klar sein, wie die Entscheidung der Anzinger ausgefallen ist. Sollten sie für das Gewerbegebiet stimmen, könnten die in die Wege geleiteten Planungen fortgesetzt werden, das betrifft vor allem auch den ebenfalls vorgesehenen neuen Kreisverkehr, dessen Kosten Lidl zu zwei Drittel übernehmen wird. Anzing zahlt ein Drittel, höchstens aber 150 000 Euro. Die Ausschreibung für dieses Projekt könnte schnell vorbereitet werden, so Finauer, auch die Änderung des vorhandenen Bebauungsplans für das alte Lidl-Areal und die Aufstellung des neuen für das Areal neben dem Friedhof würde dann durch den Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München in Angriff genommen. In etwa einem Jahr könnte es dann laut Finauer mit dem Bau des Kreisels losgehen. Sagen die Anzinger Nein zum Projekt, bleibt bei Lidl alles, wie es ist, der Discounter hat keine Pläne, in diesem Fall den Standort Anzing aufzugeben. Die drei anderen Gewerbebetriebe haben angekündigt, dann Standorte in anderen Gemeinden ins Auge zu fassen.

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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