Anzinger Diakonieverein:Kapitulation vor dem Gesetz

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Der Anzinger Diakonieverein gibt nach 20 Jahren die Verantwortung für die Kindertagesstätte Arche Noah an die Gemeinde zurück. Die zunehmend bürokratische Aufgabe sei ehrenamtlich nicht mehr zu leisten.

Von Anja Blum, Anzing

Der Diakonieverein Anzing gibt die Trägerschaft der Kindertagesstätte Arche Noah im Herbst 2016 an die Gemeinde zurück. Damit tritt in der Betreuungslandschaft des Landkreises immer mehr ein, wovor Fachleute seit geraumer Zeit warnen: ein Aussterben der ehrenamtlichen, kleinen Träger. Denn der Anzinger Diakonieverein ist bereits der dritte seiner Art, der aufgibt. Ihm vorausgegangen sind 2014 der Diakonieverein Poing sowie der Verein für Vorschulpädagogik auf dem Lande in Zorneding. Und die Diagnose lautet stets gleich: Die Ehrenamtlichen scheitern an der zunehmenden Bürokratie.

"Durch die Einführung des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes (BayKiBiG) und die damit verbundenen Vorgaben wird es den kleinen Trägern immer schwerer gemacht, die Auflagen zu erfüllen", schreibt der Anzinger Diakonieverein in seiner Presseerklärung. Und dessen Vorstände um Hella Tannhäuser müssen es wissen: Sie tragen die Verantwortung für den Kindergarten Arche Noah seit nunmehr 20 Jahren. "Wir haben das immer sehr gerne getan und sind stolz, diese Aufgabe bisher gewissenhaft und sorgfältig erfüllt zu haben", schreiben sie, doch mittlerweile übersteige diese Herausforderung jedes ehrenamtliche Engagement. Ständig gebe es neue Vorgaben, erklärt Schriftführerin Petra Müller, "zum Beispiel, dass man immer eine Springerkraft vorhalten soll, um personelle Engpässe ausgleichen zu können".

Ehrenamtliche haften mit Privatvermögen

Das sei ja an sich keine schlechte Idee, aber für einen kleinen Träger wie den Diakonieverein schlicht unmöglich. "Wir können doch nicht einfach jemanden einstellen, weil wir ihn vielleicht irgendwann einmal brauchen können", so Müller. Etwa zehn Mitarbeiter beschäftigt der Diakonieverein inklusive Putz- und Küchenkraft. Der Kindergarten besteht aus drei Gruppen. Von November an kommt noch eine Krippengruppe hinzu, im Laufe des nächsten Jahres noch eine zweite. "Allein an Personalkosten müssen wir im Monat 20 000 Euro verwalten", sagt Müller - eine große Verantwortung für Ehrenamtliche. "Schließlich haften wir mit unserem Privatvermögen für dieses Engagement."

Auf ihren Schultern ruhte die meiste Arbeit: Hella Tannhäuser, Vorsitzende des Diakonievereins Anzing. (Foto: Christian Endt)

In diesem Sinne war der Skandal rund um den Poinger Diakonieverein im vergangenen Jahr den Anzingern eine Warnung. Die Kollegen aus der Nachbargemeinde hatten bei der Aufsichtsbehörde mehrmals falsche Angaben gemacht, vor allem was die Qualifikation der Mitarbeiter anging - und die Folgen wirken bis heute nach: Der Verein ist insolvent, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ein ehemaliges Vorstandsmitglied wegen Betrugs und der Freistaat fordert seine Fördermittel zurück. "Die Arche Noah steht zwar personell und finanziell sehr gut da", betont Müller, doch "ein Schuss vor den Bug" sei der Poinger Fall durchaus gewesen.

Sehr gut verstehen kann dies Albert Hingerl. Der Poinger Bürgermeister hat sich aufgrund der Geschehnisse in seiner Gemeinde intensiv mit der Materie befasst und sagt: "Der Einsatz der kleinen Träger ist zwar lobenswert - aber überhaupt nicht zu empfehlen." Denn sobald in der Verwaltung einer Kindertagesstätte der kleinste Fehler passiere, verlange der Freistaat seine Fördermittel zurück. "Doch wer soll die dann bezahlen?" Im Falle Poings geht es dabei um mehr als eine Million Euro, dafür aufkommen soll die Gemeinde. Das aber sieht Hingerl absolut nicht ein: "Wir sind nämlich nicht für die Überprüfung der Kindertagesstätten zuständig, das macht das Landratsamt", sagt er. Also müsste dieses auch in der Pflicht stehen, findet der Poinger Bürgermeister. Oder die Zuständigkeit müsse ganz klar geändert werden.

"Wenn's hart auf hart kommt, machen wir das selber"

"Denn dass wir die Kitas auch noch kontrollieren, nur damit uns niemand belangen kann, das wäre ja grotesk." Genauso wie die Alternative, künftig von allen Trägern eine Bürgschaft zu verlangen, um als Gemeinde kein finanzielles Risiko einzugehen - denn eine solche Sicherheit könnten die meisten Träger wohl nicht leisten, mutmaßt der Rathauschef. "Für mich ist das Ganze ein grober Systemfehler", sagt Hingerl, den er nicht bereit ist, hinzunehmen. Die erste Klage gegen die Rückzahlung der Fördergelder vor dem Verwaltungsgericht in München hat die Gemeinde zwar verloren, doch sie wird in Berufung gehen. Das hat der Gemeinderat beschlossen. "Wir arbeiten gerade an der Begründung dafür."

Sein Anzinger Kollege Franz Finauer bedauert den Rückzug des Diakonievereins sehr. "Das hat immer super funktioniert", sagte er über 20 Jahre Arche Noah. Nun ist es am Bürgermeister, einen Nachfolger zu finden - doch er ist wenig optimistisch. Sowohl die evangelische Kirche als auch die Diakonie Rosenheim haben schon abgewunken: zu wenig freie Kapazitäten. Doch die Anzinger Eltern müssen sich keine Sorgen machen. "Wenn's hart auf hart kommt, machen wir das selber", sagt Finauer. Auch wenn das bedeute, dass er zusätzliches Personal einstellen müsse. "So eine Kita ist schließlich ein kleiner Betrieb, der Führung braucht."

© SZ vom 10.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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