Anderer Blick auf die Wiedervereinigung:Gulasch ohne Kommunismus

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Einen wichtigen Dienst für DDR-Geflüchtete haben der ehemalige ungarische Minister Zoltán Balog (links) und Jaqueline Huber geleistet. Die Grafingerin ist die Witwe des ehemaligen deutschen Botschafters in Prag und ebenso wie Balog vom CSU-Kreisverband eingeladen worden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Am Tag der deutschen Einheit erinnert der CSU-Kreisverband an die deutsch-ungarische Freundschaft und die Rolle des ehemaligen Ostblockstaates beim Fall des Eisernen Vorhangs

Von Amelie Hörger, Ebersberg

Als über 3000 DDR-Bürger das Lager in Csillebérc bei Budapest in Richtung Westen verließen, sei Zoltán Balog, der dort als Seelsorger tätig war, sogar ein wenig traurig gewesen. "Weil ich dachte: Wer wird dann die DDR aufbauen? Wer wird in der DDR die Demokratie erreichen?", beschreibt der Gastredner des CSU-Kreisverbandes seine Gefühle von damals. Getröstet hat sich der Ungar mit dem Gedanken, dass die Frauen und Männer nur von einem Viertel ihrer Heimat in das andere Dreiviertel ihres Landes ziehen. Von dem einen Zuhause praktisch in das andere.

Anlässlich des Tages der Deutschen Einheit am vergangenen Donnerstag hat der CSU-Kreisverband Ebersberg einen Redner mit einer anderen Perspektive auf die Wiedervereinigung eingeladen. Balog nahm im Auftrag des Ökumenischen Rates der Kirchen in Ungarn Flüchtlinge aus der DDR im Aufnahmelager auf, betreute sie und begleitete sie schlussendlich auch bis zur österreichischen Grenze, um sie wieder Ausreisen zu sehen.

Zoltán Balog, der bis 2018 ungarischer Minister unter Viktor Orbán war, ist inzwischen der neunundzwanzigste Redner bei der Veranstaltung "Tag der Einheit - Tag der Begegnung". Vor ihm waren schon Joachim Gauck oder Manfred Weber als Gäste zu Besuch. In diesem Jahr soll aber die deutsch-ungarische Freundschaft im Vordergrund stehen, die Balog, der hervorragend deutsch spricht, besonders wichtig findet und die es zu zelebrieren gilt.

Der CSU-Kreisverband hat außerdem noch einen weiteren Grund zu feiern. Denn dieses Jahr hat der Tag der Einheit eine doppelte Bedeutung. Es ist nämlich nicht nur der Tag der Einheit von Deutschland, sondern auch die Wiedervereinigung zwischen dem Kreisverband und seinem Vorsitzenden. Thomas Huber meldet sich nach fünf Monaten politischer Abwesenheit aufgrund zahlreicher Rückenoperationen wieder zurück. Ein "sanfter Einstieg ins öffentliche Leben" sei die Veranstaltung für ihn - und er wirkt dabei zwar noch etwas wacklig auf den Beinen, aber genauso energiegeladen und redefreudig wie eh und je.

Den Gast aus Ungarn habe man eingeladen, da ohne Freunde auf der anderen Seite der Eiserne Vorhang vielleicht nie gefallen wäre und somit auch Deutschland nicht wieder zueinander gefunden hätte, so Huber. Wer ebenso wie Balog für die aus der DDR Geflüchteten einen wichtigen Beitrag geleistet hat, war der vergangenes Jahr verstorbene deutsche Botschafter in Prag, Hermann Huber und dessen Frau Jaqueline. Die Grafingerin ist an diesem Abend ebenfalls anwesend. "Eine historische Verbindung", nennt Thomas Huber das Treffen von Balog und Jaqueline Huber, die sich freudig die Hand geben. Auch das Ehepaar Huber hatte sich um DDR-Flüchtlinge gekümmert und versorgte zeitweise einige 1000 Menschen in der Botschaft mit Essen.

Der Tag, an dem die Mauer fiel, sei wohl ein Moment, an den sich jeder erinnern könne, sagt Balog in seiner Rede. "Und ich darf das in der nötigen Bescheidenheit sagen: Ich war da!", so der Pfarrer nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme. Wenn er redet, dann klingt es romantisch, fast als würde er ein Märchen erzählen. Vielleicht liegt es daran, dass die Wiedervereinigung für Balog einem Wunder gleichkommt, also beinahe märchenhaft ist. Hier wurde Frieden ohne Gewalt geschaffen, Freiheit vertraglich geregelt und vor allem Menschen in Staunen versetzt. Denn "zum Wunder gehört auch immer Staunen. Dann denkt man, es ist etwas geschehen, das nicht selbstverständlich ist. Und wer hat damals gedacht, dass es selbstverständlich ist?"

Aber Balog ist nicht nur in Ebersberg, um von damals zu erzählen, sondern auch um mahnende Worte für die Gegenwart zu sprechen. 30 Jahre nach dem Mauerfall macht er deutlich, wie wichtig es ist, sich daran zu erinnern was einmal war. Auch Freiheit sei nicht selbstverständlich, sondern ein teures Gut. Ungarn wollte damals weg von dem sogenannten Gulasch-Kommunismus, raus in eine neue Freiheit. "Wir haben dafür gekämpft, dass Gulasch bleibt und Kommunismus geht", sagt Balog. Diese Freiheit müsse erhalten werden, auch die Europäische.

Damit reagiert er auf die Bitte der Vaterstettener Europaabgeordneten Angelika Niebler. Sie hatte den jetzigen Sonderbotschafter von Viktor Orbán kurz vor seiner Rede noch gebeten, vermittelnd zu wirken. Nicht nur bei der Sicherung der Grenzen, sondern auch bei dem "gemeinsamen Zusammenhalt bei der Aufnahme von Flüchtlingen" müsse man europäische Lösungen finden, ist Niebler überzeugt.

In diesem Punkt stößt die Politikerin jedoch eher auf eine negative Haltung. Obwohl man manchmal sehr verschiedener Meinung sei, solle man dennoch Verbündete in der Europäischen Gemeinschaft bleiben, so seine Antwort. Und um diese Gemeinschaft zu betonen, wird abschließend auch die Europahymne gesungen, natürlich ebenso wie die Deutsche und die Bayerische. Stellen sich an diesem Abend in der Ebersberger Alm nur noch zwei Fragen: Wie geht die ungarische Hymne - und warum isst hier eigentlich niemand Gulaschsuppe?

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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