Amtsgericht Ebersberg:Klebriges Relikt

Lesezeit: 2 min

74-Jähriger wegen Kleister-Attacke auf Auto des Nachbarn angeklagt

Von Daniela Gorgs, Ebersberg

"Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt", das wusste schon Friedrich Schillers Wilhelm Tell. Meist ist Lärm die Ursache, die Missachtung von Gemeinschaftspflichten, störender Zigarettenrauch oder stinkender Hundekot, der friedliche Menschen gegeneinander aufbringt. Nachbarn brüllen sich an, pöbeln, streiten. Und manchmal landet ihr Zwist vor Gericht - und dann müssen sich Justizbeamte mit den bizarren Kleinkriegen herumschlagen.

Zermürbend. Der Staatsanwalt wirkt nicht begeistert, als er beobachtet, dass der Angeklagte Publikum mitgebracht hat. Drei Rentner nehmen auf der Besucherbank Platz und kommentieren die Verhandlung mit teils höhnischem Raunen oder Kopfschütteln. Auch der Angeklagte, ein 74-jähriger Mann, wird während des Prozesses zurechtgewiesen, als er im Saal herumläuft und mit Besuchern spricht. Ein Zeuge erscheint mit anwaltlichem Beistand. Dem Gericht berichtet er von seinen Verfolgungsängsten. Der 74-jährige Nachbar würde ihn ständig provozieren, ihm und seiner Freundin auflauern, ihm hinterher spionieren. Darum sitze er, ein 38-Jähriger hier auch mit einem Zeugen als Beistand. Verhandelt wird eine Sachbeschädigung.

Laut Anklageschrift soll der 74-jährige Mann Klebstoff in das Türschloss des Autos einer Nachbarin gespritzt haben. An einem Sonntagmorgen kurz nach zehn Uhr. Der Rentner erhielt einen Strafbefehl über 750 Euro, gegen den er Einspruch erhob.

Das Auto gehört der Freundin des Zeugen. Vor dem Ebersberger Amtsgericht erzählt der 38-Jährige, dass er an besagtem Sonntagmorgen mit seinem Hund spazieren gegangen sei. Aus einiger Entfernung habe er den Nachbarn kurz am Auto der Freundin stehen gesehen, etwa fünf Zentimeter von der Fahrertür entfernt. Der Rentner sei auf der Straße gestanden. Als er hinging, um nachzusehen, habe sich der Nachbar entfernt. Der 38-Jährige bemerkte dann, wie er erklärte, den noch feuchten Klebstoff im Türschloss und rief die Polizei.

Vor Gericht streitet der 74-Jährige die Vorwürfe vehement ab, mokiert sich über die Anschuldigungen. Er sei auf dem Weg in die Kirche gewesen. Warum hätte er einen Kleber mit in den Gottesdienst nehmen sollen? Der Verteidiger hat eine Erklärung für die Anzeige. Seiner Ansicht nach war dies ein Racheakt. Zuvor habe sein Mandant nach einer Beschwerde bei der Gemeindeverwaltung erreicht, dass der 38-Jährige seinem Hund einen Beißkorb umlegen müsse.

Die Freundin des 38-Jährigen sagt vor Gericht, sie habe Angst vor dem 74-jährigen Nachbarn. Sie spricht von Mobbing. Ihr Auto sei nicht zum ersten Mal beschädigt worden. Doch habe sie nie einen Strafantrag gestellt. Ihr sei es peinlich gewesen, dass die Polizei an dem Sonntag vorbeikam. Sie erklärt zudem, dass sich ihr Wagen über die Zentralverriegelung noch aufschließen lässt. Das wiederum ist für den Verteidiger Grund genug zu hinterfragen, ob überhaupt eine Sachbeschädigung vorliege. Für den Staatsanwalt ist dies eine "groteske Argumentation". Eine dritte Zeugin wird gehört. Aber auch sie kann nichts zu dem Vorfall sagen. Das Gericht ist ratlos und stellt das Strafverfahren gegen die Auflage ein, dass der 74-Jährige 1200 Euro an die DRF Luftrettung bezahlt. Der Rentner stimmt zu. Und die Richterin spricht den Schlusssatz: "Ich hoffe, dass wir uns nicht mehr sehen müssen."

© SZ vom 25.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: