Am Samstag:Jazz ohne Artistik

Lesezeit: 3 min

Pianist Chris Gall aus Vaterstetten präsentiert sein neues Album "Room of Silence"

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Weniger ist mehr: Jazzpianist Chris Gall aus Vaterstetten setzt beim neuen Album auf reduzierten Klang. (Foto: Georgine Treybal)

Von Keith Jarrett, so erzählt Chris Gall, habe er vor einigen Jahren eine Aufnahme gehört, die ihn mit ihrer Ausstrahlung gefesselt habe. "Ich kannte damals die Geschichte nicht, die hinter ,You and the night and the music' steckt", erinnert sich der Jazz-Pianist. Nämlich dass Jarrett nur im heimischen Studio aufnehmen konnte, weil er an chronischen Erschöpfungszuständen litt. "Aber hätte ich sie gekannt, hätte die Wirkung nicht größer sein können", sagt Gall. "Das war von unwiderstehlicher Intensität."

Dass die Rede auf diese Geschichte kommt, hat mit Galls eigener neuer CD zu tun. "Room of Silence" heißt sie, "ein intimer Mix aus Impressionismus und Jazz" steht im Untertitel. Da liegt die Frage auf der Hand: Silence und Musik, wie passt das zusammen? Das sei kein Widerspruch, meint der Pianist aus Vaterstetten, schließlich stehe im Wörterbuch nicht nur "Stille" und "Schweigen" als Übersetzung, sondern auch "Ruhe". Dorthin wolle er seine Zuhörer führen, sie abholen in ihrem Alltag und ihnen einen Weg anbieten, auf dem sie zur Ruhe kommen. "Aber" - der Nachklapp kommt unmittelbar und mit Nachdruck - "es ist mit Sicherheit keine Meditationsmusik oder eine spirituelle Angelegenheit. Sie eignet sich auch nicht für eine Saunalandschaft."

Weniger ist mehr: Jazzpianist Chris Gall aus Vaterstetten setzt beim neuen Album auf reduzierten Klang. (Foto: Veranstalter)

Ohne Technik schöne Musik zu machen - das ist sein Ziel

Ach ja? Was denn dann? Gall wird grundsätzlich, ohne missionarisch zu wirken. Im Gegenteil. Jedes Wort, das er nun spricht, lässt erkennen, wie dankbar er dafür ist, sich selbst einen Wunsch erfüllt zu haben. "Ich wollte Musik machen ohne die ganze Jazz-Artistik." Da mag die Gemeinde im ersten Moment aufstöhnen, aer kompositorisch findet der Vaterstettener ein glaubwürdiges Argument: "Ich will ohne Technik schöne Musik machen. Nicht einfach ausreizen, was der Computer hergibt. Die kleinen Zwischentöne sollen wieder die Chance bekommen, sich zu entfalten."

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Er spricht den Konzertflügel an, auf dem er seine Kompositionen eingespielt hat: "Der hat ein so großes Spektrum, das es wert ist, ohne alle Überlagerungen wahrgenommen zu werden." Wenn er auf diese Weise Platz lasse, "hat der Zuhörer mehr Möglichkeiten, sich im Klang zu bewegen. Dadurch wird die Musik auch spannender."

Den Jazzer verleugnet Gall indes nicht, angemessene Komplexität darf auch die "Silence" vertragen. Außerdem: In der Ruhe könnten auch dramatische Dinge passieren, seien eruptive Momente durchaus möglich. Das spiegele sich in seiner Musik. Was jemand als "Lärm" empfinde, sei relativ, er selbst etwa fühle sich auch im größten Großstadttrubel gut aufgehoben. Die künstlich erzeugte Geräuschlosigkeit im Klanglabor dagegen sei "extrem unnatürlich" und beunruhigend.

Die Cover-Titel hat er auf einem alten Klavier eingespielt

Dass Musik wie "Room of silence" entsteht, ist aus Galls Sicht kein Zufall. "Das ist noch keine Hörgewohnheit. Aber es liegt in der Luft, dass man's ruhiger angehen lässt. Je mehr ich mich mit dem Thema befasse, desto mehr Anknüpfungspunkte entdecke ich." Der Film "Der Klang der Stille" kommt ihm da in den Sinn, ein Stück über Beethovens letzte Jahre in wachsender Taubheit. Oder Sten Nadolnys "Die Entdeckung der Langsamkeit", da gehe es auch nicht um Stillstand oder ums Nichtstun. Sondern um die Wahrnehmung. Die falle bei jedem Menschen anders aus. Besonders dann, wenn man beim Hören die Augen zumacht und sich darauf konzentriert, wie einen der Klang berührt. "Da ist das Klavier nicht anderes als das große Orchester, da ist ruhige Musik nicht anders als lebhafte - uns erreicht stets die gleiche Bandbreite an Tönen und Klängen."

Als kleines Geschenk für die Aufmerksamen hat Gall, fast unauffällig, eine Variation seines Instruments ins Album gepackt, die es in sich hat: Alle vier Cover-Titel, darunter John Lennons "Julia" und Oscar Petersons "Hymn to Freedom", hat er auf einem alten Klavier eingespielt, nicht rein gestimmt, mit jeder Menge Nebengeräuschen. "Ich wollte eine stilistische und formale Gegenüberstellung zu meinen eigenen Stücken", sagt Gall. Aber man hört heraus, dass dies auch eine besondere Form des Respekts gegenüber Stücken ist, "die mich beim Hören der Originalaufnahmen beruhigten, nach denen ich mich beseelt gefühlt habe".

Chris Gall: CD-Präsentation am Samstag, 24. November, um 19.30 Uhr in der Petrikirche Baldham, Eintritt frei(-willig).

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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