Am Kirchseeoner Gymnasium:Intime Peinlichkeiten

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Oberstufentheater überzeugt mit wahnwitzigem Loriot-Abend

Von Victor Sattler, Kirchseeon

"Der Herr ist nervös", lässt seine Frau die Anwesenden wissen. Und er hat allen Grund dazu. Denn Kellnerin, Köchin, Geschäftsführer und eine Blumenfrau stehen schon vor seinem Restaurant-Tisch versammelt und wollen nur das Eine von ihm hören: "Schmeckt's? Ja?" Die Szene beweist: Manche Angelegenheiten, wie diese vom deutschen Großhumoristen Loriot (bürgerlich Viktor von Bülow) geschilderte Mahlzeit, werden durch mehr Schaulustige nicht zwingend besser. Die Kirchseeoner Gymnasiasten brachten ihre Zusammenstellung von Loriot-Sketchen deshalb lieber im ganz kleinen Rahmen auf die Bühne. Am Ende einer Wegweiser-Route in ein Mehrzweckzimmer entfalteten sie vor überschaubarem Publikum "intime" Momente: Vom Ehesofa bis hin zum Bettenkauf gewährten die Oberstufenschüler als nervös-neurotische Charaktere Einblick in soziale Absurditäten - und die Zuschauer saßen dabei praktisch mit auf der Bettkante.

Zuerst, bevor der Abend in Fahrt kam, hemmte die Peinlichkeit und Steifheit der Figuren das Gelächter noch gewaltig: Mechanisch schiefes Lächeln, bewusst platzierte Versprecher und schräge Modeauswüchse machen diesen Kosmos so handschweißtreibend. Die zwischenmenschliche Kommunikation ist bei Loriot stets schon beim "Ach" und manchmal schon vorm Luftholen gescheitert. Hinzu kommt, dass seine Frauenfiguren allesamt garstige Biester sind - vielleicht höchstens mit Ausnahme der resignierten Frau Hoppenstedt (Ronja Rothfuß), die im gleichnamigen Sketch "Vertreterbesuch" bekommt: von drei schmierigen Herren von einer Wein-, einer Saugblaser- und einer Versicherungsfirma. Eben noch am Geschäftemachen, ist ihre Massenware schnell Nebensache, als sich die vier Figuren gemeinsam volllaufen lassen. Dieser Sketch, der Vertreterbesuch, ist auf der einen Seite beispielhaft für den Rest der Sammlung (denn eine Verkaufssituation kehrt an diesem Abend immer wieder, seien es Betten, Klamotten oder Kinderspiele, die verhökert werden), auf der anderen Seite aber auch ganz außer der Reihe. Denn normalerweise folgen die Geschichten von Loriot nicht dem Exzess, sondern den winzig kleinen Katastrophen des Alltags. Der wahre Psychoterror bleibt dabei knapp unter der Oberfläche. Ein "Wiedererkennungswert fürs Publikum" - vor allem die Eltern der Q11- und Q12-Schüler - ist trotzdem eher im Sinne einer Drohung denn als Versprechen zu verstehen.

Besonders geknechtet vom Leben sind hier die Männer. Der Höhepunkt der Impotenz ist der Firmendirektor Karl-Heinz Meltzer, ein kurzatmiger und romantisch unerfahrener Federfuchser, der Sekretärin Renate Dinkel nach 15 Jahren Anstellung schließlich seine "Liebe im Büro" gesteht, wie der klassische Sketch heißt. Ähnlich wie beim "Bettenkauf", wo von der Rück-, in die Seiten-, in die Bauchlage und ins nächste Bett gewechselt werden muss und eigentlich keine Liegeposition dem Mensch bequem ist, verstellen auch hier die beiden Bürokollegen ihre Schreibtischstühle, verlegen die Brille, verrenken ihre Hälse - und kommen doch nicht zum Kuss. Yasmin El Wakil als Dinkel und Leo Papendorff als Meltzer haben sich absolut jedes Lob dafür verdient, wie sie die zwei dinkelbrotdeutschen Liebesdeppen mit einer Sterbenspeinlichkeit aus dem Ärmel geschüttelt haben. Spätestens da war das Publikum aufgetaut, wenn nicht schon am schmelzen, und gleichermaßen neugierig herauszufinden, auf wie viele Arten man sich noch blöd anstellen könne.

Dass Sketche mal einen ganzen Abend füllen dürfen, dachte sich Regisseurin Angelika Giglinger schon, als sie für mündliche Klausuren im Profilfach "Dramatisches Gestalten" aus ihrem kleinen Loriot-Büchlein schöpfte. Wie immer mussten die Proben sehr schnell gehen, denn ein Großteil der Schauspieler soll im Frühjahr Abitur schreiben und wollte davor fertig sein. Aber das heißt nicht, dass die Darsteller den Stoff nicht ganz durchdrungen hätten: Im Gegenteil, der Gatte, der nach dem Hosenkauf von seiner Gemahlin zum Nach-Hause-Kriechen verdonnert wurde (Daniel Dogo), war beim Applaus an den Hosenknieen bis auf die Haut blankgewetzt. Stefan Mühlfenzl, ein Mitglied der Schulleitung, das Besuch aus Vaterstetten hatte, lobte Ensemble und Regisseurin überschwänglich und behauptete stolz: "Nirgends im Landkreis wird so gutes Theater gezeigt wie hier!"

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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