Altes Kino feiert 19. Geburtstag:Berserker - zart besaitet

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Alexander Liegl liest, begleitet von der Band Coconami, aus seinem Erstlingsroman "Das gefälschte Ei"

Rita Baedeker

EbersbergKindergeburtstag feiern, wenn man 19 wird? Das geht durchaus - und sei es, um zu demonstrieren, dass der (nie) erwachsen werdende Mensch ewig ein homo ludens bleibt, ein Wesen mit verrückten Ideen, absurden Träumen und unglaublichen Abenteuerphantasien. Dass diese meist nur im Kopf stattfinden, spielt dabei keine Rolle. Und so war eine Lesung aus dem noch unveröffentlichen Text von Alexander Liegl, Gründungsmitglied des Alten Kinos und Mitglied der ehemaligen Kabarettgruppe Valtorta, ein überaus passendes Geschenk zum 19. Geburtstag der Kleinkunstbühne. Der an komischen und kindlichen Allmachts-Phantasien reiche Schelmenroman wurde vergangenen Sonntag erstmals vorgestellt. In der Ich-Form erzählt Liegl sprachmächtig und gestenreich die episodenhafte Lebensgeschichte eines großen Kindes, das Taugenichts und Einfaltspinsel zugleich ist, zart besaitet - wofür mehr die Musik zuständig ist - und Berserker. "Das gefälschte Ei" heißt die Biografie eines erfolgreichen Losers. Teilweise, so Liegl, sei der Text autobiografisch. "Aber wo, sage ich nicht." Wie bei einem Geburtstagsfest üblich, kennt Gastgeber Markus Bachmeier an diesem Abend seine Gäste, zum Beispiel sind die Schauspieler Johanna Bittenbinder und Heinz-Josef Braun gekommen. Mit einem "Happy Birthday", gespielt und gesungen von der japanischen Formation Coconami, wird das Fest eröffnet. Die Japanerin Nami singt es ein wenig so, wie damals Marilyn Monroe das Lied für John F. Kennedy ins Mikrofon gehaucht hat. Ihr Landsmann Miyaji bildet die zweite Hälfte von Coconami, deren Instrumente - Ukulele, Karimba, Nasenklemme - noch exotischer sind als das Repertoire. Vom Ländler bis zu Bally Prells "Isarmärchen", von der Kaiserbirn-Ballade, die Ferdl Schuster, Wirt des bayrisch-japanischen Wirtshauses Nomiya in München, mit heiserem Timbre vorträgt, bis zu dem Hit "Sukiyaki", 1963 gesungen von den Blue Diamonds, reicht das ungewöhnliche Programm. Tröten und Blasinstrumente aus der Spielzeugkiste ergänzen den "minimal sound", dem sich die Gruppe verschrieben hat. Gemeinsamer Nenner ist die anarchische Lust am Spiel, seien es Klänge, seien es Worte. "In unserer Eigenwilligkeit passen wir gut zusammen", sagt Liegl. Das fand auch das Publikum. Sein Roman beginnt mit den ganz großen Fragen: Tod und Zeugung. Der Tod kommt zuerst, weil Max, so der Name des Helden, die Trauerrede, die einstmals für ihn gehalten werden wird, jetzt schon peinlich ist, zumal er sich im Gedenken an das Begräbnis einer Tante eine makabre Episode zusammenphantasiert, die damit beginnt, dass eine Schindel vom Dach fällt und mit der Enthauptung des Pfarrers endet. Dagegen passiert bei seiner Zeugung, die sich unter dem Einfluss von Kroatzbeere und halbtrockenem Zinfandel ereignet hat, fast nichts. Jede der Episoden, die von Max, seiner großen Liebe Melanie und Widersacher Karl handeln, endet im - lustvoll ausgeschmückten - Desaster. Ob Kindergeburtstag, Vorstellungsgespräch oder Wiedersehen mit Melanie: Max treibt nicht nur alles auf die Spitze und an jene Grenze, hinter der sich Naturgesetze verflüchtigen und Dinge ein kafkaeskes Eigenleben gewinnen; er ist auch Abbild des modernen Narren, der alles unter Kontrolle zu haben glaubt. Dass das ein grandioser Irrtum ist, wissen nur - die Kinder.

© SZ vom 04.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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