Altes Kino Ebersberg:Wenn Farben erzählen

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Joachim Torbahn von den "Thalias Kompagnons" zeigt sein beeindruckendes Maltheater

Von Anja Blum

Dass Theater für Kinder viel, viel mehr sein kann als Kasperl und Seppl, die irgendeinen Räuber fangen und die Prinzessin befreien - das beweisen die Kindertheatertage im Ebersberger Alten Kino jedes Jahr aufs Neue. Ensembles aus ganz Deutschland kommen dorthin, um ihre Inszenierungen zu zeigen, Kleinkunst im allerbesten Sinne. Mit der Sprache wird dort munter gespielt, mit Puppen und allerhand Requisiten, wobei ein dramaturgischer Einfall stets den nächsten jagt. Aber ein "Maltheater"? Hat man so etwas schon einmal gesehen? Wie soll das denn funktionieren?

Man kann nur sagen: Bestens! Denn auch das war nun im Alten Kino zu erleben. Thalias Kompagnons aus Nürnberg standen am Dienstag auf dem Spielplan, eigentlich ein Puppentheater, das aber auch ein Stück nur mit Pinsel und Farbe im Programm hat. Joachim Torbahn hat diese ganz eigene Art, Geschichten zu erzählen, erfunden - ein Künstler durch und durch. Ursprünglich hat er Malerei in Wien studiert und als Bühnenbildner unter anderem an der Oper Heidelberg und am Staatstheater Wiesbaden gearbeitet. Doch sein Glück fand er woanders: 1990 landete Torbahn bei Thalias Kompagnons, erst als Regisseur, Figuren- und Bühnenbildner, seit 1998 tritt er auch als Spieler auf. Das Maltheater ist also eine Zusammenführung seiner beiden Leidenschaften, eine international bestaunte, neuartige Synthese aus Bildender Kunst und Theater. Wie sie entstanden ist? "Viele Zufälle", sagt Torbahn und lacht schelmisch.

Die schöne Welt eines Kinderzimmers verwandelt sich in heilloses Chaos. (Foto: Christian Endt)

Erzählt wird eine alte Geschichte: "Der standhafte Zinnsoldat", ein Kunstmärchen des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen, das 1838 erstmals publiziert wurde. Doch Torbahn braucht dafür wenige Worte, er lässt viel lieber Farben und Formen sprechen. Eine riesige, milchige, straff gespannte Plastikfolie dient ihm als Leinwand, darauf können die Zuschauer - "Kunstfreunde ab fünf Jahren" - das Geschehen verfolgen. Unter der überdimensionalen Staffelei liegen jede Menge Malutensilien bereit, Farbtöpfe, Pinsel in allen Größen, Schwämme, Rollen mit Mustern, Schaber und Stempel. Ansonsten ist die Bühne leer. Auch der Künstler selbst ist nicht ständig zu sehen. Immer wieder verschwindet er hinter seinem wandelbaren Werk, sei es, weil die Folie derart voller Farbe ist, dass man nicht mehr hindurchsehen kann, oder weil starkes Gegenlicht ein Schattenspiel auf die Malfläche wirft. "Ich mag es gerne, in den Hintergrund zu treten, so dass nichts mehr zwischen den Zuschauern und dem Bild steht."

Das Bild ist das Zentrum, denn darauf entspinnt sich die Geschichte des kleinen, etwas lädierten Zinnsoldaten, der unglücklich verliebt ist in eine schöne Ballerina aus feinstem Seidenpapier, plötzlich aus dem Fenster fällt und eine Abenteuerreise erlebt - mit dem Papierschiffchen vom Rinnstein bis ins Meer - nur um am Ende wieder im Kinderzimmer zu landen, wo ihn schließlich ein Feuer für immer mit seiner Tänzerin vereint. Eine Liebesgeschichte aber ist diese Märchenversion nur am Rande, vielmehr geht es um Verlust und Veränderung sowie die daraus resultierende Verunsicherung - ein Gefühl, das sicher viele Kinder bewegt. Dieser Zinnsoldat indes will Trost spenden: "Er ist plötzlich ganz allein, alles befindet sich im Wandel, aber die Figur bewährt sich und es gibt ein gutes Ende", fasst Torbahn die Moral seiner Geschichte zusammen.

Joachim Torbahn erzählt bei den Ebersberger Kindertheatertagen mit Pinsel und Farbe vom "Standhaften Zinnsoldaten". (Foto: Christian Endt)

Mit wildem grauem Haarschopf und weitem Malerkittel steht er da auf der Bühne und bearbeitet praktisch unentwegt seine Leinwandfolie. Erweckt mit dem Pinsel Spielzeuge und Kinder zum Leben, lässt ein ganzes Dorf entstehen und das Meer. Durch Übermalen und reichlich Wasser hält der Wandel immer wieder Einzug. Für den Künstler ist das Maltheater freilich eine große Herausforderung, schließlich lässt es ihm wenig Zeit. "Natürlich ist nicht alles perfekt", sagt er denn auch, "aber das muss es auch nicht sein." Was zählt, sind der Prozess und die Fantasie, die den Rest ohnehin erledigt. Ganz besonders ist zudem, wie Torbahn hier mit den Mitteln der Malerei die Prinzipien des Lebens darstellt: Nur der Zinnsoldat wird gestempelt, er steht für feste, repetitive Strukturen, die grazile Ballerina ist ein Sinnbild für die Schönheit, und mit dem Kobold, dem Helfer des kleinen Soldaten, bricht die Anarchie ins Geschehen ein: ein dicker, pinker Pinselstrich, dessen Motto lautet "Frechheit siegt!"

In diesem Moment bildet sich - sehr zur Freude der kleinen Zuschauer - ein wilder Farbstrudel, doch große Teile des Stücks sind eher kontemplativ. Gekonnt setzt Torbahn dann Strich um Strich, untermalt von passender Musik - mal à la Zirkus, mal sphärische Gitarre, mal perlendes Klavier. Im Zuschauerraum wird es dann stets etwas unruhig, was aber mitnichten bedeutet, dass die Kinder das Interesse verlieren würden, nein, sie interpretieren nur, was sie sehen. Sobald sie glauben, ein neues Motiv erkannt zu haben, platzt das jeweilige Stichwort aus ihnen heraus. "Bäume", "Schafe", aber auch "Zuhause!", als Torbahn erneut das Kinderzimmer malt. Den Künstler allerdings stört die Unruhe nicht, sie sei nur ein Zeichen dafür, dass die Kinder tief eingetaucht seien in die Geschichte. "Mich würde es eher verunsichern, wenn Stille wäre", sagt er und lacht.

© SZ vom 13.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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