Ärger im Museum:Historikerstreit in Grafing

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Eine Ausstellung über das Revolutionsjahr 1919 führt zu einer heftigen Debatte

Von Thorsten Rienth, Grafing

Wie revolutionär oder konterrevolutionär war der Landkreis und besonders Grafing im Jahr 1919? Zu dieser Frage lässt sich - ganz grob gesagt - der Kern einer Debatte zusammenfassen, die im Januar in Grafing beginnt und schnell Furore macht. Zuerst das Bündnis für Grafing (BfG) und später auch der Ebersberger Gewerkschaftsbund (DGB) finden: Das städtische Museum zeige eine rechtsnational-glorifizierende Freikorps-Ausstellung.

Der Vorwurf lautet: Kurator und Stadtarchivar Bernhard Schäfer stütze sich in seiner Ausstellung vor allem auf "rechte" Quellen. Die roten Revolutionäre stelle er zu kritisch dar, die weißen Konterrevolutionäre zu unkritisch. Obendrein bediene die Ausstellung reichlich antikommunistische Vorurteile. Es heißt, der Linken-Kreisvorstand hätte Anzeige wegen Volksverhetzung getätigt. Schäfer bestreitet die Schieflage der Quellen nicht. "Es gibt in Grafing aus dieser Zeit fast nur Quellen aus dem rechten politischen Spektrum", erklärt der Historiker. "Darüber kann man sich ärgern oder schämen oder wie auch immer. Aber das müssen wir nun einmal akzeptieren." Weil manche der Grafinger Erlebnisberichte so hasserfüllt und antisemitisch sind, sieht Schäfer sich sogar zu einem Hinweis genötigt: Die Quellen würden nicht die Meinung des Kurators widergeben - sondern die Weltsicht der Verfasser.

Schäfers Kritiker kontern seine Rechtfertigung mit einem weiteren Verweis: Er klammere die Errungenschaften der vor der Räterepublik herrschenden Eisner-Regierung aus - also etwa das parlamentarisch-demokratische System, das Frauenwahlrecht, das Streikrecht, den Acht-Stunden-Tag.

Auch das ficht Schäfer nicht an. Er erinnert an den Titel der Ausstellung, der in all dem aufgebrachten Hin und Her bis dahin ziemlich untergegangen ist: "Das Alte stürzt, es ändern sich die Zeiten - die Revolution von 1918/19 in ihren Auswirkungen auf den Ebersberger/Grafinger Raum". Will heißen: Mit dem Anspruch, ein vollständiges Bild der damaligen Jahre zu zeichnen, sei er gar nicht angetreten.

Tatsächlich gelingt es Schäfer, zahlreiche Vorwürfe zu entkräften. Offen bleibt allerdings die Frage, warum die Ausstellung zum Beispiel keine Aufzeichnungen des Grafinger SPD-Gründers Martin Pletzer berücksichtigt? "Es ist ja nicht so, dass es da nichts gibt", ordnet etwa der Grafinger Lokalhistoriker Günter Baumgartner ein. "Dadurch wird ein Teil der damaligen Welt ausgeblendet."

Ob das aber genügt, wie auf einer DGB-Veranstaltung zu hören war, Schäfer "Unwissenheit gepaart mit grenzenloser Naivität" zu unterstellen, findet dann selbst im "linken" Grafinger Lager nur noch wenig Zustimmung. Als sich wenig später herausstellt, dass es sich bei den Meldungen über die Anzeige wegen Volksverhetzung tatsächlich nur um ein Gerücht gehandelt hatte, ist die Aufregung so schnell wieder weg, wie sie gekommen war.

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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