40 Jahre Gemeindegebietsreform:Besser zusammen

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Als Pöring mit Zorneding fusionieren sollte, war der Widerstand immens. In einem Geschichtsvortrag erklärt Altbürgermeister Franz Pfluger, was die Pöringer alles versuchten, um ihre Eigenständigkeit zu wahren - und warum das Ergebnis doch nicht das Schlechteste ist

Von Viktoria Spinrad, Zorneding

Nach einem langen Kampf um die Autonomie seiner Gemeinde blieb dem letzten Bürgermeister von Pöring nur die Resignation. "Wir haben alles getan. Man muss sich halt mit dem Unabwendbaren abfinden", sagte Georg Wimmer im Dezember 1977. Dabei hatte man in Pöring wirklich alles gegeben, um das Unabwendbare - die Zwangsheirat mit Zorneding - doch noch abzuwenden: eine Schule und einen Kindergarten gebaut sowie Straßen, ein Feuerwehrhaus, ein Gewerbegebiet ausgewiesen. Doch die Zeit lief der kleinen Gemeinde davon, das Ergebnis ist bekannt.

Wer früher von Zorneding nach Pöring wollte, musste warten. (Foto: Archiv Zorneding/oh)

Denn ein Problem blieb: "Es gab einfach zu wenige Pöringer", sagte Franz Pfluger bei seinem Vortrag über die Fusion der beiden Gemeinden am Mittwochabend im Zornedinger Gasthaus Neuwirt. Aus Zeitungsartikeln und Informationen des Innenministeriums, dem historischen Lexikon und Vertragsaufzeichnungen hatte der Altbürgermeister von Zorneding und Zeitzeuge die Zeit um die ungeliebte Gebietsreform des Freistaats vor 40 Jahren rekonstruiert - und knapp 60 gebannte Zuhörer ins vollgepackte Wirtshaus gelockt. Die Resonanz dürfte niemanden überrascht haben: Schließlich wirkt die Vermengung der Gemeinden noch bis heute nach. Wer mit Pöringern spricht, bekommt vor allem bei Bauthemen das Gefühl, dass sich so mancher irgendwie im Hintertreffen fühlt.

Abhilfe zumindest für Fußgänger schaffte eine Unterführung. (Foto: Archiv Zorneding/oh)

Umso interessanter war die Frage: Wieso das Ganze? Die Antwort liegt in der Gebietsreform der Siebzigerjahre, die das Gesicht des Freistaats nachhaltig veränderte. Das Ziel: Größere und damit leistungsfähigere Gemeinden, welche die ihnen übertragenen Pflichtaufgaben wie Kindergärten, Schulen oder Straßen besser wuppen sollten. Das Mittel: Landkreise aufbrechen, Gemeinden fusionieren. "Der ganze Ebersberger Landkreis sollte aufgeteilt werden", sagte Pfluger unter dem Erstaunen mancher Zuhörer, doch der Landkreis wehrte sich erfolgreich.

In Pöring bemühte man sich um eigenes Gewerbe: So gab es ein Sägewerk und eine Ziegelei. (Foto: Archiv Zorneding/oh)

Wehren wollte man sich auch im kleinen Pöring. Als hier 1973 die Nachricht eintrudelte, dass die Waldkolonie Baldham an Vaterstetten und der Rest an Zorneding wandern sollte, hielt sich die Begeisterung im Grenzen. "Die Pöringer hatten Angst, weil Zorneding hohe Schulden hatte", erklärte Pfluger; zudem hätten sie die Sorge umgetrieben, wegen der Überzahl der Zornedinger mehr schlecht als recht im Gemeinderat vertreten zu sein. Eine Sorge, die nicht ganz unbegründet war: Heute sind zwar ein Drittel der Zornedinger Bürger aus Pöring, Ingelsberg oder Wolfesing; allerdings wohnt dort nur ein Zehntel der Gemeinderäte.

Georg Wimmer, der letzte Bürgermeister von Pöring. (Foto: Archiv Zorneding/oh)

Die Gegenwehr nach der Ankündigung folgte prompt. Eine Bürgerinitiative protestierte heftigst; auf ihrer letzten eigenen Bürgerversammlung stimmten gleich 95 Prozent der Pöringer bei 80 Prozent Wahlbeteiligung für ihre Selbstständigkeit - Ergebnisse, die man heutzutage nur noch in Diktaturen findet.

Aus einer solchen dürften die Pöringer auch das Selbstbewusstsein zur Gegenwehr geschöpft haben. Bereits in der NS-Zeit hatte der damalige Bürgermeister Zornedings, ein SA-Sturmführer, eine Eingemeindung in die Wege geleitet. Um das zu vermeiden, wurden die Pöringer kurzerhand kreativ: "Sie traten einfach geschlossen in die NSDAP ein", sagte Pfluger unter dem Lachen der Zuhörer. Das fruchtete: Mit dem Parteiwesen über allem fehlte der Anlass, die Pöringer zu Zornedingern zu machen, sie konnten Pöringer bleiben und sich nach dem Krieg wieder selber verwalten.

Vorerst zumindest. Denn mit der Gebietsreform standen nur 2 200 Pöringer dem Soll von mindestens 5 000 Einwohnern pro Gemeinde gegenüber. Die damaligen Schlagzeilen der Ebersberger Neuesten Nachrichten veranschaulichen die Dramatik der Zeit. 14. April 1973: "Gemeinde Pöring will eigenständig bleiben." 2. April 1975: "Nicht freiwillig mit Zorneding." 26. Juli 1976: "Pöring schöpft Hoffnung." Und am November 1975 dann: "Pöring gibt den Kampf auf." "Es hat einfach nicht gereicht", sagte Pfluger. Er saß ab 1978 fortan im Zornedinger Gemeinderat und erlebte mit, wie man Immobilien und Straßen, Vermögen und Verbindlichkeiten übertrug, die Steuerhebesätze nach und nach an die Zornedinger Verhältnisse anpasste und die Bebauungspläne zu einer Einheit zusammenführte.

40 Jahre später zeigt er sich versöhnt mit der radikalen Neuordnung der bayerischen Verwaltungsdistrike. "Wenn heute auf kleinere Gemeinden schaue: Da tun wir uns als Großgemeinde deutlich leichter", sagt Pfluger am Donnerstag am Telefon. Vielleicht aber werde es noch ein, zwei Generationen dauern, bis auch der letzte Pöringer sagen wird: "Ich bin ein Zornedinger."

© SZ vom 18.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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