15. Wasserburger Theatertage:Ergreifende Zumutung

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Würdige Eröffnung durch eine Lesung von Udo Samel und Klarinettist Jure Robek

Von Michaela Pelz, Wasserburg

"Ein Tisch, ein Stuhl, ein offenes Buch und ein Glas Wasser - jetzt weiß man, Udo Samel kommt!", sagt Bürgermeister Michael Kölbl, bevor er ganz offiziell die 15. Wasserburger Theatertage eröffnet. Dass dem vielfach preisgekrönten Theater- und Filmschauspieler Samel am ersten Abend der Veranstaltungsreihe die Bühne gehört, hat Tradition, ist er doch seit der allerersten Auflage fester Bestandteil des Programms, wofür zu seinen Zeiten am Wiener Burgtheater auch schon einmal die dortigen Probentermine geändert wurden. Begründet ist dies in der seit einer gemeinsamen Zeit am Münchner Residenztheater engen persönlichen Freundschaft zum künstlerischen Leiter des Wasserburger Theaters, Uwe Bertram.

Dieser ist es auch, der an diesem Abend als erster vor dem vollbesetzten Haus spricht und dabei Mitarbeitern, Publikum sowie der Stadt Wasserburg für die kontinuierliche Unterstützung des Theaters dankt. Nach dem Verweis auf die Erweiterung des gastronomischen Angebots gibt Bertram das Wort weiter an den Vorsitzenden des Fördervereins Pit Dörr, der kurzfristig einspringen muss, weil der eigentlich geplante Redner leider noch im Stau steht. Zum Glück, möchte man fast sagen, lässt doch der sichtlich bewegte Dörr in einem ebenso launigen wie emotionalen Rückblick die turbulente Geschichte des Hauses und seine Entwicklung hin zu einer nicht nur in Bayern renommier- ten Spielstätte ausgesprochen lebendig werden.

Udo Samel, der die Theatertage auch diesmal eröffnet, war mit dem verstorbenen Theaterleiter Uwe Bertram befreundet. (Foto: Christian Flamm/oh)

Und dann - nach der Zusicherung des Bürgermeisters, dass auch 2020 der dann neue Stadtrat der Kulturstadt Wasserburg das Theater unterstützen wird - also der Auftritt von Udo Samel.

Im schwarzen Dreiteiler, den Bart sorgfältig gestutzt, nimmt der Schauspieler hinter dem Tisch Platz und erklärt, was er an diesem Eröffnungsabend lesen wird. Der Mittsechziger, der nach Aussage von Uwe Bertram "immer das aussucht, was ihm unter den Nägeln brennt", hat sich diesmal für Primo Levis "Atempause" entschieden, einen Text von - wie Bertram betont - leider aktueller Relevanz.

Kurz ruft der Mime dem Publikum das Schicksal des italienischen Chemikers und Schriftstellers in Erinnerung, der in seinem 1963 verfassten, zweiten Buch (nach "Se questo è un uomo - Ist das ein Mensch?") seine odysseehafte Rückkehr aus dem KZ verarbeitete, dann erfüllen die Töne von Igor Strawinskys "Drei Stücke für Klarinette" den Raum, während sich Musiker Jure Robek mit gemessenen Schritten aus der Dunkelheit in den Lichtkegel der Bühne begibt.

Die fragende und klagende Musik ist ein passendes Bett für die darauffolgende Schilderung der letzten Tage in Auschwitz, geprägt von Krankheit und Tod. Die erste Begegnung mit den russischen Befreiern mündet in eine bildgewaltige Beschreibung, wie Körper und Seele zerbrechen durch die von all den Ungeheuerlichkeiten ausgelösten Gefühle, vor allem der Scham all jener, die ohnmächtig zuschauen müssen, wie Unrecht geschieht.

An dieser Stelle ist die Konzentration des Publikums förmlich greifbar. Kein Rascheln, kein Räuspern, in der Stille könnte man eine Stecknadel fallen hören - was sich während der gesamten Dauer des gut achtzigminütigen Vortrags nicht ändern wird. Samel weiß, dass er seinen Zuschauern einiges zumuten kann und tut es auch, wenn er etwa Levis letzten Blick auf den Appellplatz zitiert, wo Galgen und Weihnachtsbaum Seite an Seite vereint stehen.

Doch der langjährige Burgschauspieler hat nicht nur schwere Kost ausgewählt - ganz im Gegenteil. So beweist Samel seine Wandlungsfähigkeit etwa bei der Schilderung einer Marktszene, in der er auf köstliche Weise den schlitzohrigen Lagergenossen Cesare zum Leben erweckt, der alles, selbst ein Hemd mit Loch, an den Mann bringen kann.

Nachgerade genial ist das Zusammenspiel mit dem begabten Klarinettisten Jure Robek. Der 28-jährige Slowene umrahmt die Textpassagen nicht nur mit der bereits genannten Stücken von Strawinsky sondern auch mit Musik von Denissow, Bach und Gander.

"Am 31. Juli wäre Primo Levi hundert Jahre alt geworden." Nach diesen Worten geht Samel ab und kehrt auch nicht mehr zurück, ungeachtet des anhaltenden Klatschens seines ob der grandiosen Darbietung ebenso begeisterten wie ergriffenen Publikums. Dieser Verzicht auf den Applausvorhang ist nicht nur eine Verneigung vor dem Text, sondern lässt auch erahnen, welche Auswirkung dieser auf den herausragenden Künstler selbst ausübt. Das Wasser hat er übrigens nicht angerührt.

© SZ vom 31.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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