"Drei Farben"-Triologie:Film wird nicht Fleisch

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Johan Simons hat an den Kammerspielen Kieslowskis "Drei Farben"-Triologie für die Bühne adaptiert - das Stück bringt jedoch keine Erlösung.

Christine Dössel

Die Krise der Automobilindustrie, Ausdruck der derzeitigen Gesamtkrise des Kapitalismus, scheint im Theater angekommen zu sein. Der Volvo, der auf der Bühne der Münchner Kammerspiele mit der Schnauze nach unten in der Luft hängt, ist jedenfalls ein prekäres Bild dafür.

Thomas Schmauser (r.) in der Rolle des Karol und Stephan Bissmeier in der Rolle des Mikolaj in einer Szene des Stücks "Drei Farben: Blau, Weiss, Rot". (Foto: Foto: ddp)

Wenn der Wagen dann in den Boden kracht und dort wie ein Fanal stecken bleibt, ist das auch ein hämischer Kommentar zur Abwrackprämie - ein Seitenhieb, den sich der niederländische Regisseur Johan Simons, der designierte Intendant des Hauses, nicht nehmen lässt. Auch wenn der Crash in erster Linie die effektvolle szenische Umsetzung jenes Autounfalls ist, bei dem die Französin Julie Mann und Tochter verliert.

Julie ist die Protagonistin in "Blau", dem ersten Teil der Filmtrilogie "Drei Farben: Blau, Weiß, Rot", in der der polnische Regisseur Krzysztof Kieslowski Anfang der neunziger Jahre, als die Euphorie noch groß war und der Kapitalismus am Blühen, die Werte des modernen Europas anhand von persönlichen Schicksalen untersuchte.

Ausgehend von den Farben der Trikolore fragte er nach den großen Idealen der Französischen Revolution: liberté, égalité, fraternité. Dabei ging es Kieslowski nicht um Politik, sondern um die Frage, "wie diese abstrakten Ideale im täglichen Leben funktionieren, und was sie heutzutage bedeuten. Wollen Menschen überhaupt Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?"

Julie erlebt nach dem Verlust ihrer Tochter und ihres Mannes, der ein berühmter Komponist war, die Freiheit der totalen Einsamkeit. Der polnische Friseurmeister Karol verliert in "Weiß" mit der Scheidung von seiner französischen Frau Dominique alles, was er hat, woraufhin er auf abenteuerliche Weise nach Polen zurückkehrt und sich eine neue Existenz aufbaut, motiviert von einem Gedanken: sich an seiner Frau zu rächen, es ihr mit gleicher Münze zurückzuzahlen.

In "Rot" schließlich trifft die philantropische Studentin Valentine auf einen pensionierten Richter, der sich verbittert aus der Welt zurückgezogen hat. Am Leben nimmt er nur noch teil, indem er die Telefonate seiner Nachbarn abhört, diese zynisch kommentierend. Erst durch Valentine erwachen wieder Gefühle von Freundschaft und Fürsorge in ihm - Kieslowskis Lesart von "Brüderlichkeit".

Mit der "Drei Farben"-Trilogie gibt Johan Simons, der Leiter des NT Gent, einen Vorgeschmack auf seine Arbeit als regieführender Intendant der Kammerspiele, die er im Herbst 2010 übernehmen wird. Schon einmal, 2005, brachte er hier mit den "Zehn Geboten" einen Filmstoff des 1996 verstorbenen Kieslowski auf die Bühne. Das Drehbuch von Krzysztof Piesiewicz hat auch diesmal wieder Koen Tachelet adaptiert, und wieder herrscht die Kargheit eines Erzähltheaters, das sich ganz und gar aus den Menschen, den Schauspielern, speist.

Johan Simons ist als Regisseur ein Purist. Er verweigert die prallen Bilder, die optische Fülle, die (ein)gängigen Wirkungs- und Einfühlungsmechanismen des Theaters. Du sollst Dir selber ein Bild machen, heißt sein Gebot für den mündigen Zuschauer, dem es damit nicht immer ganz leicht gemacht wird, sucht er doch ständig nach einer großen, tieferen Bedeutung, wo am Ende vielleicht nur eine banale Einsicht ist. Das geht so weit, dass man am ausgestreckten Arm der Schauspieler - und es sind weiß Gott nicht die schlechtesten - schon mal zu verhungern droht und sich sehnt: nach mehr Fleisch und Theaterblut.

Simple Fragen, karge Bilder

Der erste Teil des mehr als dreistündigen Abends zeichnet sich jedenfalls durch große Sprödigkeit aus. Gut, da gibt es zwar ein heiteres Vorspiel vor dem Eisernen Vorhang, in dem sich Hildegard Schmahl mit Faschingshütchen auf dem Kopf als Julies komisch-demente Mutter einführt, und auch der Auto-Crash auf der großen, leeren Bühne (mit einem Neonbalken und Streifenparkett versehen von Jens Kilian) macht mords was her.

Doch was sich dann, kaum je dramatisch akzentuiert, im epischen Fluss der nahtlos ineinander übergehenden Spielszenen dahinzieht, ist der Weg von Julie in die selbstgewählte Einsamkeit, dem zu folgen hier eine kühle, zähe, mehr rationale als emotionale Angelegenheit bleibt.

Auch, weil einen Sylvana Krappatsch auf Distanz zu ihrer Rolle hält. An ihrem königsblauen Mantel nestelnd, Blick, Körper und die pampige Stimme ganz auf Abwehrhaltung getrimmt, verweigert sie - zugeknöpft im buchstäblichen Sinne - jeden Einblick in ihre Figur. Ihre Art, Verkrampftheit zu spielen, wirkt selber krampfig, und Stephan Bissmeier als Olivier, der Mann, der Julie liebt, bleibt im Dialog mit ihr so steif und trübe, dass er auch nicht gerade zum Mitfühlen einlädt.

Atmosphärische Bilder, die der Film für Julies innere Verhärtung, für ihre Unfähigkeit, laut zu weinen, für ihr radikales Abtauchen aus dem Leben findet - etwa das nachtblaue Schwimmbecken, durch das Juliette Binoche einsam ihre Bahnen zieht -, fehlen in Simons" Entschlackungstheater.

Er verzichtet sogar weitestgehend auf die Musik, die in Kieslowskis "Blau" eine so tragende Rolle spielt und deren plötzlicher, bombastischer Einsatz Juliette Binoches Julie immer wieder einen Schlag versetzt, bis sie schließlich, nachdem sie auf die schwangere Geliebte ihres Mannes gestoßen ist, dessen letzte Komposition, einen Hymnus auf die Vereinigung Europas, zur Vollendung führt. Das einzige, was bei Simons laut erklingt, ist gelegentlicher Verkehrslärm, der Nervensound der Straße.

Mit Thomas Schmauser kommt dagegen im zweiten Teil regelrecht Stimmung auf. Er spielt den Polen Karol, der bei seiner Dominique (Wiebke Puls als Schnalle mit Blondinenperücke) keinen mehr hochkriegt und beim Scheidungstermin vor Gericht hochnotkomisch zur Schnecke gemacht wird. Zurück im frisch kapitalisierten Polen, baut er eine dubiose Export-Import-Firma auf, inszeniert mit einer gekauften Leiche seinen eigenen Tod und bringt damit seine Frau als vermeintliche Mörderin hinter Gitter.

Schmauser ist hier als findiger, windiger Wuselfritze ganz in seinem hysterisch-komödiantischen Element, und auch seine Helfershelfer - Sandra Hüller als ergebene Sekretärin, Edmund Telgenkämper und Steven Scharf als polnisches Schnauzbart-Zwillingsduo im Geiste von Lolek und Bolek - tragen zur Ausgelassenheit dieser Liebes- und Wirtschaftswunderfarce bei, die noch spöttischer, aber auch viel chaotischer und ungereimter daherkommt als im filmischen Original.

Im dritten Teil, wenn sich der Text in simplen Fragen nach Recht und Gerechtigkeit erschöpft, offenbart sich endgültig das Manko dieser Theateradaption: dass das Stück, das hinter den Filmen hervorgekehrt und so bedeutungsvoll ausgestellt wird, ein reichlich schwaches ist. Zwar spielt Jeroen Willems den an seinem einstigen Beruf verzweifelten Richter mit großartiger, eisiger Resignation, und Sandra Hüllers Valentine macht mit ihrer leuchtenden Art viele der symbolhaften Verschlingungen, die gerade hier durch die Übertragung des Films verloren gehen, wett.

Die Erkenntnis aber, dass der Mensch den Menschen braucht, ist nach so viel Anstrengung ein wenig mau. Auch der pathetische Schluss, der von der wundersamen Errettung sämtlicher Hauptfiguren bei einem Fährunglück kündet, bringt in diesem Theater keine Erlösung.

© SZ vom 30.3.2009/son - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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