Dragqueen:Sex, Sex, Sex

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Gut gehalten: Der junge Mann, der La Queen auf der Bühne darstellt, will nicht verraten, wie alt er ist. (Foto: www.verenagremmer.com)

Ein junger Mann führt tagsüber ein bürgerliches Leben, an manchen Abenden schlüpft er in Frauenkleider und tritt als La Queen in Münchner Kneipen auf. Dann geht es nur um ein Thema - aber das angenehm ironisch

Von Gerhard Fischer

Im Café Edelweiß in Giesing, an einem Samstagabend im Mai: La Queen tritt auf. Sie trägt eine blonde Perücke, Strumpfhosen in Pink, giftgrüne Stulpen und eine verdammt kurze Jeans. "Größe 34", sagt La Queen und schaut stolz in die Runde. Knapp 50 Leute sind da, einige sind Bekannte, die ihr "seit Jahren treu die Stange halten". Es ist ein schlüpfriger Witz, er passt zu diesem mit Sex aufgeladenen Abend, aber neu ist er nicht. Es lachen trotzdem ein paar Leute. Vielleicht liegt es daran, dass diese Dragqueen sofort sympathisch wirkt. Das Überkandidelte ist lustig, nicht aufdringlich. Und dass es fast den ganzen Abend um Sex geht: geschenkt. Hier schlägt das Ironisieren der Polygamie die Monothematik.

Ein paar Tage später, diesmal vor dem Café Edelweiß: Ein junger Mann stellt sein Fahrrad ab, grüßt freundlich. Man setzt sich in die Sonne, der junge Mann isst ein Croissant. Er ist sehr schlank, die Haare sind dunkel und verwuschelt, ein leichter Bartschatten ist zu sehen. Es ist La Queen, ungeschminkt. An die frivole La Queen von der Bühne erinnert wenig. Vielleicht die Augen, sie haben etwas Katzenhaftes. Und die hohe, etwas heisere Stimme. Aber sonst: Eine Dragqueen, also ein Mann, der in Frauenkleidern auftritt, sitzt hier nicht einmal ansatzweise. Hier sitzt ein junger Mann, der noch etwas jünger aussieht als er ist.

Der junge Mann nennt seinen Vornamen, aber er will nicht, dass er in der Zeitung steht. "Ich will das getrennt halten", sagt er - und meint das Bühnenleben als Dragqueen und das bürgerliche Leben als junger Mann. Es geht nicht darum, dass er sich nicht traut, sich sozusagen zu outen. Aber er macht gerade ein Ausbildung und will sich später vielleicht selbständig machen. Und da will er nicht, dass es heißt, La Queen habe eine Praxis oder ein Geschäft. Er will nicht, dass La Queen im Vordergrund steht.

Der junge Mann wurde am Tegernsee geboren. Er ist etwa sechs Jahre alt, als er bei Besuchen bei der Oma deren Lippenstift benutzt und deren Frauenzeugs anzieht: die Perlenkette, den Kunstpelz. Und er erzählt Geschichten. "Eine richtige Show habe ich gemacht", sagt er. La Queen in klein.

Aber dann gibt es eine lange Pause, was das Anziehen von Frauenkleidern angeht. Der junge Mann muss sich um etwas anderes kümmern, als er ein Teenager ist: Er ist schwul und verliebt sich zum ersten Mal in einen Mann. Na ja, es ist ein Junge, ein Mitschüler am Gymnasium.

La Queen erzählt diese wahre Geschichte auch auf der Bühne, an diesem Samstagabend im Café Edelweiß: In St. Tropez, nein im St. Tropez, einem Club in Bad Tölz, habe sich La Queen verliebt in - Bertl. La Queen und Bertl, das klingt wie Chanel und Kirschgeist, wie Paris und Partenkirchen. Es wurde nichts daraus. Bertl wollte nicht. Es war genauso wie im Leben des jungen Mannes, bloß dass Bertl anders hieß.

Aber weiter mit La Queen. Sie fragt das Publikum, wie man mit der Bertl-Ablehnung umgehen soll. Sie tut das ständig: mit dem Publikum reden. Das schafft Nähe. Also, was tun, wenn die erste Liebe nicht erwidert wird? Erst hört man nichts von den Zuschauern. Dann: saufen! Und schließlich: andere Männer ausprobieren! Das tut die junge La Queen, ob es der junge Mann im wirklichen Leben tat, weiß man nicht. La Queen jedenfalls trifft Peterle im Fitnessstudio, aber dessen Dings ist sehr kurz; sie schläft mit Enrico in Leipzig, aber der ist Verbalerotiker - und das ist kein Spaß bei diesem Dialekt. Und sie hat einen Franzosen, der beim Oralsex "C'est si bon" ("Das ist gut") stöhnt. Blöd nur, wenn man, wie La Queen, an einen Werbespot denkt und in Gedanken ein "Geramont, Geramont" ergänzt. Da ist die Lust schnell weg.

Das ist sehr witzig. Auch das mit dem sächsischen Verbalerotiker haut hin. Ja, La Queen hat Wortwitz und Witz, meistens jedenfalls. Nur manchmal erzählt sie von ihrer spätpubertären Liebessuche nicht originell, sondern bloß spätpubertär. Am besten ist La Queen, wenn sie singt, begleitet von Simon Mack als Ricardo Fedorento am Klavier. Ihre Stimme ist gut, sie verliert das Überdrehte, das sie hat, wenn sie spricht.

Der junge Mann hat das Croissant mittlerweile gegessen. Er denkt nach - über die Frage, warum es bei Dragqueens offenbar immer um Sex gehen muss, meistens um ungezügelten. Warum tritt eine Dragqueen nicht auf und redet über Merkel oder den FC Bayern? Der junge Mann sagt schließlich, dass La Queen gerne mit diesem Klischee spiele, es aber auch hinterfrage. "Ich will Homosexuellen, die auf schnellen Sex fixiert sind, vor Augen halten, ob das gesund für die Psyche ist", sagt er. La Queen will aber nur fragen, nicht provozieren. Sie will auch nicht schrill, hysterisch und laut sein; vor allem will La Queen unterhalten. Lustig sein. Geschichten erzählen. Leicht soll es sein und leicht verdaulich für acht- bis 90-Jährige, für Homosexuelle und Heterosexuelle, für fast alle. "Es ist doch schön, wenn sich diese unterschiedlichen Menschengruppen bei mir mischen", sagt er. Dann schweigt er für einen Moment. Leute zu unterhalten sei ihm wichtig, wiederholt er noch einmal. "Ich bin zwar eine Dragqueen, aber tief im Innern bin ich wohl ein Clown."

Und wie ging die Geschichte im richtigen Leben weiter? Wie wurde aus dem schwulen Teenager die Bühnenfigur La Queen? Der junge Mann sagt, es habe vor etwa fünf Jahren damit begonnen. Ein Freund und Nachbar sei Münchner Maikönigin gewesen; Maikönigin ist ein Titel, der jedes Jahr bei einem Straßenfest im Glockenbachviertel an einen Mann verliehen wird, der als Frau auftritt - manche tun das mit klassischer Robe, einer auch mit Weißwurstkette und Dirndl. Der Nachbar war Maikönigin 2010, bekam ein Diadem dafür und sagte zu dem jungen Mann, das Diadem müsse im Haus bleiben; also müsse er 2011 ran, um Maikönigin zu werden. Der junge Mann wehrte erst ab: Frauenfummel habe er vielleicht mal im Fasching getragen, aber doch nicht vor 300 oder 400 Leuten bei diesem Straßenfest.

Aber die Worte des Nachbarn arbeiten in ihm. Als er in dieser Zeit in New York ist, kauft er in einer Straße, die voll ist mit Perückenläden, eine knallpinke Perücke. Bald packt ihn der Ehrgeiz, er sagt sich: Ich mache bei der Wahl mit und ich will gewinnen. Und es sollte eine große Show werden. Er trägt dick auf, kleidungsmäßig in Schwarz und in Pink, er legt sich eine Geschichte und eine Kunstfigur zurecht, er nennt sich La Queen und mietet sich für den Auftritt eine pinke Stretchlimousine. Natürlich gewinnt er den Titel. Und 2012 noch einmal.

Später bittet eine Freundin, die Burlesque-Tänzerin Stormy Heather, den jungen Mann, bei einer Show im Rationaltheater mitzumachen: als La Queen. Es folgt das erste und bisher einzige Soloprogramm, und es ist gut, dass der junge Mann "von der Schauspielerei" kommt; er ist kein Anfänger mehr. Wo er früher auf der Bühne stand, wo er ausgebildet wurde - er will es nicht verraten.

In diesem Soloprogramm geht es nicht immer nur um Sex. Es geht auch um romantische Liebe. La Queen sucht sie, diese einzig wahre Liebe. Und die Bühnenfigur La Queen findet sie: Als sie im Münchner Fasching einen Astronauten trifft, brennt sie mit ihm und seinem Raumschiff durch. Und als sie dann im Himmel sind, verlassen sie das Raumschiff, ohne Anzug - und verglühen, "so wie es Liebende tun". Das ist ein sehr schöner Gedanke.

Der junge Mann lässt offen, was wahr und was erfunden ist in seinem La-Queen-Soloprogramm. Er trinkt jetzt einen Kaffee, mehr als zwei Stunden sind vergangen. Er hat in dieser Zeit gesagt, wie wichtig ihm Kreativität und Leidenschaft seien; dass er die Frauenkleider, die er trägt, selber nähe, oft nachts; dass er seiner Mutter kurz vor seinem 18. Geburtstag gesagt habe, er sei schwul, und dass sie erwidert habe, sie sei stolz auf ihn und froh, dass er seinen Weg gefunden habe. Er sagt, dass er wegen seiner Homosexualität nie angefeindet worden sei, es aber vielleicht auch daran liege, dass er ein "offener Mensch" sei und auf die Leute zugehe. Außerdem müsse man sich die Freiheit nicht nur in der Gesellschaft erarbeiten, sondern vor allem in sich selbst. Der junge Mann hat klare Gedanken formuliert, und er wirkte bodenständiger als man es von Dragqueens erwarten würde.

Und La Queen, seine Figur? Wurde sie angefeindet? Wurde er, der junge Mann, häufig gefragt, warum er so rumlaufe? Wurde er gefragt, was er denn sei: Mann, Frau, was jetzt? Ja, sagt La Queen auf der Bühne an diesem Samstagabend im Café Edelweiß: Viele würden das fragen und nur wenige meinten das anerkennend, die meisten meinten es abschätzig. La Queen beantwortet die Frage auf der Bühne mit dem Lied "Ich bin, was ich bin."

© SZ vom 30.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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