Doppelter Abi-Jahrgang:Improvisieren, aber gründlich geplant

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Hörsäle aus Holz, Video-Vorlesungen, 1800 Turbo-Studenten: Wie sich die TU München für den doppelten Abi-Jahrgang rüstet.

Sebastian Krass

Eine Vorlesung am Mittwochnachmittag? Absolut unmöglich, sagte der Professor, da habe er doch immer seinen Termin bei Audi in Ingolstadt. Als Christian Kredler das zu hören bekam, war er froh, dass es den Uni-Präsidenten gibt. "Herr Herrmann hat dann bei dem Professor angerufen, und, na ja, die Vorlesung findet künftig am Mittwochnachmittag statt", erzählt Kredler.

Leere Gänge an den Hochschulen wir hier in der LMU München? Mit dem doppelten Abiturjahrgang wird das wohl zur Seltenheit. (Foto: Robert Haas)

Der anfangs renitente Lehrstuhlinhaber ist ein gutes Symbol für die Widerstände, auf die Kredler traf, als er viele alte Besitzstände und Gewissheiten über Bord warf. Der Mathematiker ist seit September 2007 dafür abgestellt, die Technische Universität (TU) München auf das Jahr 2011 vorzubereiten, dieses historisch einmalige Jahr, in dem zwei bayerische Abiturjahrgänge an die Hochschulen des Freistaats strömen.

Um den letzten Absolventen des neunjährigen Gymnasiums (G9) und den ersten des achtjährigen (G8) einen möglichst glatten Start ins Studentenleben zu ermöglichen, hat der Freistaat 38.000 zusätzliche Studienplätze bis 2013 zugesagt - eine Milliarde Euro soll das kosten. Die Hauptbelastung steht zum Wintersemester an, wenn traditionell die meisten Studiengänge starten und die G-8-Schüler an die Unis kommen. Um den Ansturm zu entzerren, wurde der Beginn des Sommersemesters auf den 2.Mai nach hinten verlegt, so können die G-9-Absolventen direkt anfangen zu studieren.

Normalerweise kommen in dieser Zeit bayernweit etwa 4000 junge Menschen an die Hochschulen, diesmal erwartet das Ministerium 10.000 Erstsemester - es ist eine Schätzung, denn wie viele tatsächlich den Studienplatz einnehmen, den sie bekommen haben, wird sich erst im Mai herausstellen. Allein die TU München rechnet mit 1800 Leuten, der Rest verteilt sich auf die acht übrigen staatlichen Universitäten und 17 Fachhochschulen. Mit 2200 hat auch die Uni Erlangen-Nürnberg besonders viele Anfänger im Sommer, 2010 waren es dort nur 320.

Für die TU war es auch eine Frage des Prestiges, den Sonderfall 2011 mit möglichst großem Aufwand anzugehen. "Es war aber von Anfang an klar, dass wir für 50 Prozent mehr Studienanfänger nicht 50 Prozent mehr Platz und Personal bekommen, dass wir also zusammenrücken müssen", sagt Kredler. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Um die Studenten unterzubringen, strukturierte Kredler die Hörsaalbelegung und damit den Vorlesungsplan komplett um. Doch das reicht nicht. "Wir haben gerade in Garching ein massives Platzproblem", sagt Kredler. Deshalb mietet die TU bis Herbst zusätzlich 8200 Quadratmeter an Räumen an.

Zudem entstehen auf dem Campus in Garching für 3,5 Millionen Euro zwei Interimshörsäle in Holzbauweise, die 450 und 300 Plätze bieten. Die werden allerdings erst zum Wintersemester fertig. Zu eng ist es auch in Weihenstephan: "Da setzen wir darauf, dass Studenten sich Vorlesungen als Videokonserve im Netz anschauen", sagt Kredler.

Für die Lehre hat er sich ein besonderes Programm ausgedacht : "Two-in-One". Damit versucht die TU zu beweisen, dass die Studenten noch mehr leisten können als bisher. Wer im Mai mit einem der angebotenen 14 Studiengänge anfängt, muss bis Ende September im Wesentlichen den Stoff der ersten zwei Semester absolvieren, um dann direkt ins dritte Semester zu springen. Auch hier brauchte es teilweise sanften Druck des Präsidenten. Die Elektrotechniker etwa wollten keinen außerplanmäßigen Studienbeginn anbieten. Doch weil die Kollegen in Erlangen das machen, mussten die Münchner mitziehen.

Kredlers Kalkül ist, durch das Programm das Gedränge zum regulären Studienbeginn im Wintersemester zu verringern. Außerdem, betont er, "verlieren wir keinen Jahrgang von Anfängern wie andere Unis, die in Fächern wie Medizin einfach nicht mehr aufnehmen können". Was wegen des Fachkräftemangels auf dem Arbeitsmarkt schmerzhaft wäre.

Aus Studentensicht bietet das Programm Vorteile, weil es den Charakter eines "Freischusses" hat: Sie zahlen für das erste Semester keine Studiengebühren. Und selbst wenn sie keine einzige Prüfung schaffen, können sie im Wintersemester noch einmal von vorn anfangen oder das Fach wechseln. Sie haben dann eine Art Orientierungssemester hinter sich - allerdings auch einen Sommer komplett drangegeben. Doch diese Gefahr schreckt viele Studenten offenbar nicht. 2700 junge Menschen haben sich für Two-in-One beworben, viel mehr als erwartet und mehr als angenommen werden konnten. Möglicherweise ist das auch ein Erfolg der TU-Werbekampagne. Schon Ende 2008 waren die Broschüren fertig und die Internetseiten online. "Und ich habe in den vergangenen zwei Jahren 60 Gymnasien besucht", erzählt Kredler.

In der Theorie klingt das alles gut. Doch es gibt auch Zweifel. "Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass das zu schaffen ist", sagt Johannes Windmiller vom TU-Fachschaftenrat. Auch für Christian Kredler ist es "die Preisfrage, wie viele das schaffen. Ich hoffe, dass es 50 Prozent werden - auch weil die Studenten eine bessere Betreuung haben als andere. Dann hätten wir immerhin 900 Studenten weitergeschoben." Kredler hat aber auch Kollegen, die von 30 Prozent ausgehen - dafür wäre das Sonderprogramm vielleicht ein bisschen viel Aufwand gewesen.

Auch was die Platzfrage angeht, macht sich niemand Illusionen: Es wird eng und manchmal chaotisch werden in den nächsten Jahren, auch für höhere Semester. "Man muss improvisieren", sagt TU-Präsident Wolfgang Herrmann, "aber man kann versuchen, die Improvisation so gut wie möglich zu planen."

© SZ vom 14.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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