Dieter Dorn:"Er hat eine ganz bestimmte Sicht auf die Welt"

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Regisseur Dieter Dorn spricht über seinen zehnten Botho Strauß und die Uraufführung von "Leichtes Spiel" am Residenztheater.

Egbert Tholl

Im Februar 1979 hatte Dieter Dorns erste Inszenierung eines Stückes von Botho Strauß Premiere, "Groß und klein", damals an den Münchner Kammerspielen. Cornelia Froboess spielte die Lotte. "Leichtes Spiel" wird am Donnerstag um 19 Uhr im Residenztheater in seiner Regie uraufgeführt, wiederum mit Froboess als eine von neun Frauenfiguren. Es ist der zehnte Botho Strauß, den der Intendant des Staatsschauspiels selbst inszeniert, fünf davon als Uraufführungen. Bei neun dieser zehn Produktionen stammt das Bühnenbild von Jürgen Rose, weshalb Dieter Dorn in schalkhaften Momenten das Bonmot vom "Dornröschen" bemüht.

Wieder Botho Strauß: Dieter Dorn inszeniert "Leichtes Spiel" am Residenztheater. (Foto: Foto: Hess)

SZ: Ursprünglich war die Uraufführung von "Leichtes Spiel" nicht in München geplant.

Dieter Dorn: Luc Bondy sollte es in Kooperation des Zürcher Schauspielhauses mit den Wiener Festwochen und dem Burgtheater machen. Wir wollten es eigentlich erst danach herausbringen. Aber dann wurde Bondy krank, wir griffen in unseren Spielplan ein, verschoben einiges, fuhren nach Berlin zu Botho Strauß und sprachen mit ihm über das Stück.

SZ: Änderte Strauß den Text nach Ihren Wünschen?

Dorn: Nein, nein. Wir hatten eher Fragen, keine Wünsche. Ich habe Botho Strauß in Berlin, was sehr lustig und anstrengend war, zusammen mit Hans-Joachim Ruckhäberle sein ganzes Stück vorgelesen. Strauß hörte zu und sagte zu bestimmten Punkten etwas, wenn etwas nicht ganz klar war.

SZ: Das Stück trägt den Untertitel "Neun Personen einer Frau". Welche Frau lag Ihnen am nächsten, als Sie das Stück vorlasen?

Dorn: Das kann man so nicht sagen. Es gibt in dem Stück so ungeheuer viele spannende Aspekte. Ich half mir von Anfang an mit der Vorstellung, dass das Ganze ein Kaleidoskop sei. Aus dem Ensemble bekam ich dann eines geschenkt - offenbar hatte ich den Begriff auf den Proben häufiger verwendet. Also: Es geht darum, dass sich eine Konstellation durch geringe Bewegungen ständig verändert. Es ist ein Spiel mit dem immergleichen Material. Ein leichtes Spiel - das wäre zumindest meine Aufgabe.

SZ: Ergeben die neun Frauen zusammen eine?

Dorn: Das sind verschiedene Aspekte und Biographien, die nicht weiter verfolgt werden. Strauß zeigt einfach verschiedene Möglichkeiten.

SZ: Aber dennoch schreitet das Alter der Frau von Szene zu Szene fort; am Ende sitzt das späte Mädchen in einem Archiv, einer Bibliothek. Die Leben der anderen scheinen Literatur geworden zu sein.

Dorn: Das Alter schreitet fort, das stimmt schon. Ich versuche eine Art Stabübergabe mit den Frauen, keine biographische Fortführung. Und die letzte Szene, die Cornelia Froboess spielt, ist nicht die Zusammenfassung des Stückes, sondern die Zusammenfassung eines Lebens. Eines vielleicht ganz anderen Lebens als das der anderen Frauen. Literatur ist es bei Botho ja ohnehin immer, durch die dicken und dünnen, versteckten und offenen Bezüge. Die dritte Szene zum Beispiel ist ohne die Zwischentöne, die zum Klingen gebracht werden müssen, gar nicht zu kapieren. Diese Töne muss man kriegen, auch wegen der Komik. Aber das war bei "Die eine und die andere" (Dorns Strauß-Uraufführung von 2005) auch nicht anders. Es geht immer zur Literatur, dort an Grenzen und wieder zurück aufs Theater. Das leichte Assoziationsspiel, der komödienhafte Umgang, ist das Ziel.

SZ: Gehört zu dieser Leichtigkeit das uneindeutige Verhältnis zwischen Sprache und Situation?

Dorn: Die Sprache steht über den Situationen und ist zu bedienen. SZ: Passt das Bild des Kaleidoskops, das sich minimal verändert, nicht zum gesamten Werk von Botho Strauß?

Dorn: Der Gedanke ist gar nicht so dumm. Man sollte an die einzelnen Stücke denken und die Assoziationen, die man mit diesen verbindet und die diese miteinander verbinden. Schon in "Groß und klein" sind diese surrealen, sich verschiebenden Momente.

SZ: Vielleicht ist das einfach nur eine Hommage an Gerhard Richter.

Dorn: Vielleicht. Die bildende Kunst spielt bei Botho Strauß eine ganz große Rolle. Zur Vorbereitung auf diese Inszenierung bin ich in New York - dort war ich gerade wegen der Wiederaufnahme von "Tristan" - mit Jürgen Rose durch die ungeheure Galerienlandschaft dort gewandert. Da sieht man viele Bezüge, auch wieder die leichten Verschiebungen, durch die sich Welt öffnet.

SZ: Beim Lesen des Stückes geht es einem ein bisschen so wie mit der Inhaltsangabe einer Barockoper: Man versteht nichts, steigt irgendwann aus, und wenn man es auf der Bühne sieht, ist alles vollkommen klar. Oder nicht? Dorn: Ein bisschen muss man sich schon noch bemühen, es so klar zu kriegen. Aber es ist ein sehr gutes Beispiel. Es geht mir auch so. Es braucht den Glauben an die Schauspieler, an den Text und nicht an den Kommentar, Zeit und Geduld. Und Glück, dass man es zusammen kriegt, ohne es zusammen zu zwingen.

SZ: Kommt man von diesem Surrealen von Strauß nicht schnell zu dem Dräuenden, mit dem sich der Essayist Strauß kurzzeitig selbst ins politische Rechtsaußen drängte oder gedrängt fühlte?

Dorn: Er hat natürlich eine ganz bestimmte Sicht auf die Welt, wie jeder von uns. Ich würde sagen, man kriegt das gar nicht so genau raus. Schlecht ist, wenn die Hintergründe sich nicht öffnen. Furchtbar ist es, wenn sie sich so öffnen, dass sie plötzlich eine derart fatale Bedeutung ansaugen, die gar nicht in der Absicht des Autors liegt. Wenn es nicht gelingt, bestimmte Dinge offen zu halten, wird die Sache sehr schnell unangenehm.

SZ: Es gibt bei Strauß schon immer wieder eine Raunen, das, wenn man es bedienen würde, ein großes Unwohlsein auslösen könnte.

Dorn: Man darf es eben nicht bedienen. Aber so explizit, so eng darf man das nie nehmen. Strauß ist ein großer Autor, weil ihn Menschen, weil ihn Figuren interessieren, die in Teile zerfallen, die noch gar nicht alle untersucht sind. Wenn ihn ein ganz bestimmtes Detail interessiert, braucht es keine realistische Begründung.

SZ: Warum zehn Sträuße in dreißigJahren?

Dorn: Weil er der wichtigste Autor für mich war in all der Zeit. Das merkt man vielleicht erst, wenn man darüber nachdenkt. Ganz viel von dem, was in mir herumschwebt und -schwebte, finde ich bei ihm szenisch formuliert. Und er kommt meiner Theaterhaltung entgegen: Sprache, der Versuch von Leichtigkeit, Eleganz, in Klammern: Boulevard.

© SZ vom 01.04.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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