Die Wirklichkeit als Konstrukt:Häutungen

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Jutta Burkhardt und Adidal Abou-Chamat spielen in der Galerie Bezirk Oberbayern mit Rollenbildern, brüchigen Realitäten und kulturellen Projektionen

Von Jutta Czeguhn

Ein Guckkasten gewährt Einblicke, bei denen man besser nicht ertappt werden möchte. Kaum ein Ausstellungsbesucher in der Galerie Bezirk Oberbayern verharrt allzu lange über der Linse im Kastenloch, das in dieses optische Separee führt. Die meisten beugen sich nur kurz über die dunkle Peep-Box, um dann mit einem peinlich berührten Lächeln, Unbehagen, manche sogar einem Anflug von Ekel zügig das Weite zu suchen. Die Künstlerin Jutta Burkhardt treibt hier ihr Spiel mit dem Normativen und Abnormen, zitiert den Jahrmarktsbudenzauberschauder früherer Zeiten, denn zu sehen gibt es eine Barbusige - mit Brusthaar.

"Rea_y" lautet der Titel der Schau. Die Buchstaben-Zahnlücke ist rasch ergänzt: "Real, really, reality". Burkhardt und ihre Ausstellungspartnerin Adidal Abou-Chamat verbindet die unwiderlegbare Erkenntnis, dass der Wirklichkeit nicht zu trauen ist. Sie ist als Konstrukt Handlanger von Diskriminierungsmechanismen. Identitäten sind so brüchig wie variabel und leicht erschütterbar.

Brüche, Ritzen, Spalten, Abgründe, das ist es, was Jutta Burkhardt interessiert. Dass die gebürtige Schweizerin, Jahrgang 1969, vom Theater kommt, sie hat am Salzburger Mozarteum Bühnen- und Kostümgestaltung studiert, ist in ihren Arbeiten allgegenwärtig. Spannungsbögen bauen sich auf zum Drama oder zu sprachloser Stille. Zur Guckkasten-Installation, Titel "La Toison d'or", gehört auch die Abbildung einer koketten Frauenwade, weißbestrumpft im roten High Heel. An der Strumpfnaht, von der es heißt, sie sei "die Strickleiter männlicher Fantasie", reißen Abgründe auf, ist sie doch nichts anderes als ins Fleisch gepinntes Haar. Wieder so ein Kippmoment, wo sich der Frauenkörper der Kontrolle entzieht. Mit dem Haar kommt etwas Tierhaftes ins Spiel, das Geschlechterrollen unkalkulierbar macht.

Jutta Burkhardts Arbeiten kennt man auch von den Projekten der internationalen Gruppe "Desperate Housewives? - Künstlerinnen räumen auf", die mit radikalen, tiefsinnigen oder aberwitzigen ("Putz"-)Mitteln gesellschaftliche Rollenklischees hinterfragen. Mittlerweile, sagt sie, habe sie sich in ihren Arbeiten von den Genderthemen wegbewegt und beschäftige sich zunehmend mit dem Zusammenhang von physischer Wirklichkeit und innerer Realität. "Inside Out" heißt eine Installation, die sie für die Ausstellung in der Bezirks-Galerie geschaffen hat: Eine Sprühschaumdose "entäußert" sich zu einem Tornado-Wolkenturm, das ist raumdominant und doch von poetischer Zartheit.

Den Reiz dieser Ausstellung machen nicht zuletzt die Schnittmengen zwischen Werken der beiden Künstlerinnen aus. Auch Adidal Abou-Chamats Arbeiten haben einen narrativen Charakter. Die Tochter eines Syrers, die in München Ethnologie und in den USA und Großbritannien Bildende Kunst studiert hat, findet die Themen für ihre Videos oder Fotografien oft in kleinen Nachrichtenartikeln. "Ich brauche immer Fleisch, um das ich herumzirkuliere", sagt die 59-Jährige. Aus der phobisch besetzten Diskussion um muslimische Identitäten wolle und könne sie sich mit ihrer Biografie nicht heraushalten. So findet sich das Burka-Thema wieder in einer Foto-Serie, die Abou-Chamat in einem Tanzstudio in Dubai inszeniert hat. Eine Ballerina trainiert im schwarzen Ganzkörperschleier. Der rigide Kanon des klassischen Balletts und ein kulturelles Kleidungsgebot werden im Tanz gespiegelt und vereint. Zum Burka-Verbot sagt die Künstlerin: "Es ist viel von Entscheidungsfreiheit die Rede. Ich denke, wenn sich Frauen dazu entscheiden, die Burka zu tragen, sollten wir das respektieren."

Um Körperpolitik, Fleischlichkeit kreist im wörtlichen Sinn auch Abou-Chamats Video "Fleshdance": Eine Bauchtänzerin wiegt sich zu arabischen Liebesliedern, ihr Körper steckt in einem militärischen Camouflage-Kostüm, ihre Füße treten auf einem Teppich aus rohem Fleisch. Im Film "Ver-wicklung" starrt eine junge Frau in die Kamera und führt mit ernster Routine immer absurdere Variationen vor, sich ein Kopftuch zu binden.

Adidal Abou-Chamat beschäftigt sich mit Zeichen und Gezeichneten. Auf einem Foto sieht man einen jungen Mann, der sich eine gestrichelte Linie um den Hals hat tätowieren lassen, "cut here" heißt es an einer Stelle. Bei US-Soldaten in Afghanistan soll dieses Tattoo beliebt sein, hat die Künstlerin gelesen. Daneben hängt die Mikroaufnahme einer Hautpartie, in die, gleich den Fress-Spuren von Würmern, die Grenzlinien von Israel eingebrannt sind. Berührend ist ihre Videoarbeit, in der sie die Mutter einer palästinensischen Selbstmordattentäterin mit der Mutter ihres israelischen Opfers in Dialog treten lässt. Eine fiktive Begegnung, denn in Wirklichkeit ist es nie dazu gekommen. Aber ist das, was man im Film sieht, deshalb weniger wahr?

Wirklichkeit. Fiktion. Wer bin ich? Ich, du, wir, die anderen. Adidal Abou-Chamat und Jutta Burkhardt häuten diese Festschreibungen konsequent. Und so geht ihre sinnliche, feinsinnige und schonungslose Schau unter die Haut.

"Rea_y", von Jutta Burkhardt und Adidal Abou-Chamat, bis 21. April, Galerie Bezirk Oberbayern, Prinzregentenstraße 14, Montag bis Donnerstag, 7 bis 17 Uhr, Freitag, 7 bis 13 Uhr, feiertags geschlossen. Eintritt frei. 14. März, 18.30 Uhr, Führung in leichter Sprache; 4. April, 18 Uhr, Künstlergespräch.

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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