"Der zerbrochene Krug":Zur Sache, Mätzchen!

Lesezeit: 4 min

Tosen für den Staatsanwalt: Tina Lanik zerdeppert am Münchner Residenztheater Kleists "Zerbrochnen Krug".

Christine Dössel

Adam steht im Schneesturm, alleine wie der erste oder der letzte Mensch. Mit diesem hochdramatischen, durchaus auch poetischen Bild beginnt Tina Lanik ihre Inszenierung von Kleists Lustspiel "Der zerbrochne Krug" im Münchner Residenztheater. Der Mensch, ausgeliefert der Natur, gefallen aus dem Paradies, für das er einstmals von seinem Schöpfer vorgesehen war.

Barbara Melzl und der zerbrochene Krug. (Foto: Foto: Thomas Dashuber/oh)

Nicht leise und sanft rieselt Laniks Bühnenschnee, sondern mit bedrohlichen Prasselgeräuschen, und die Musik, die Helmut Neugebauer dazu einspielt, ist ein verzerrter Elektrosound mit stampfendem Grundrhythmus. Adam fällt, und sodann sieht man im diffusen Gegenlicht schwarze Scherenschnitt-Gestalten wirbeln.

Ein atemloses Keuchen mischt sich nun in den Sound, das Schnaufen eines gehetzten Menschen -und das war's dann auch schon mit den erhellenden, vielleicht auch ein bisschen effekthaschenden Suggestivbildern dieser grundstürzend fehlgeschlagenen Kleist-Inszenierung, die sich hilflos darum bemüht, ein Drama aus dem Fall zu machen: ein Grundsatz-, ja ein Menschheitsdrama.

Schon das nächste Bild, in dem sich ein schwarzes Segel wie ein Wellblechdach über der frostig-aseptischen Szenerie erhebt, entzaubert das Vorangegangene, weil es das Gefühl des Verlorenseins nun übergroß ausstellt in einem hohen, leeren, mit Plastikplanen ausgeschlagenen Symbolraum im Hier und Nichts (Bühne: Bernhard Hammer).

An den Rändern links und rechts, wo ein paar Stühle aufgestellt sind, liegt noch der Styroporschnee. Ansonsten prangt auf dieser seltsam zeit- und ortlosen Bühne nur Adams Richterstuhl, zeichenhaft übermächtig: eine Art Thron aus gelblichem Kunststoff und eine Nummer zu groß für jeden, der darauf Platz nimmt, so dass man den Boden unter den Füßen verliert.

Nichts deutet mehr auf das niederländische Kaff Huisum hin, in dem bei Kleist die Handlung spielt, auf das Provinzielle und Hühnerstallchaotische des Originals - oder gar auf jenen Kupferstich von Le Veau, von dem sich Kleist 1802 zu seinem Gerichtsstück hat inspirieren lassen und das in der aktuellen Inszenierung von Peter Stein am Berliner Ensemble detailgetreu nachgebildet wurde. Doch was hier modern und existentialistisch kühl sein soll, ist immer nur modisch und heißkalt aufgesetzt. Man sieht die Absicht und ist verstimmt, da von Regiemätzchen bevormundet und bestimmt. Fräulein Laniks Gespür für Schnee tut mitunter einfach nur weh.

In Kleists "Der zerbrochne Krug" sitzt ein Richter über sich selbst zu Gericht. Die Tat, die er aufklären soll, hat Adam selbst begangen, das ist für die Zuschauer von vornherein klar, somit beziehen sich Spannung, Komik und Tragweite des Stücks nicht aus dem Ausgang, sondern aus dem Gang der Handlung. Man kennt zwar den Täter, will aber wissen, auf welche Weise er sich verraten wird und erfreut sich am intellektuellen Scharfsinn, mit dem der Kommissar ihn überführen wird. Der Kommissar ist in diesem Fall der Gerichtsrat Walter, ein städtischer Beamte von höherer Instanz, der Adams Gerichtsverhandlung lenkt und vorantreibt.

Bei Rainer Bock ist dieser Walter ein mit gepflegtem Schnauzer und Brille als smarter Ermittler gekennzeichneter Staatsanwalt mit bandagierter linker Hand, der sich auf die Kunst des geduldigen Zuhörens ebenso versteht wie am Ende auf die des resignierten Gnade-vor-Recht-ergehen-Lassens. Die Kapuze seines Anoraks tief ins Gesicht gezogen wie Kenny aus der Serie "Southpark", hat er einen ersten dummen Auftritt als Witzfigur, posiert später, in einer der von Lanik verordneten Stillstands-Zäsuren, auch mal als Flamingo im Schnee und muss, weil das an diesem Regieort Brauch ist, hirnlos hin und her rennen wie ein aufgescheuchtes Huhn.

Er erobert sich dann aber doch eine Statur. So wie auch der kleine Schreiber Licht, bei Mark-Alexander Solf ein windiger Albino mit Wuselmotorik, zumindest dann Interesse weckt, wenn er sich einfach nur ergriffen auf dem Richterthron platziert, mit offenem Mund sich ungeahnte Aufstiegsmöglichkeiten ausmalend.

Dass diese hoch getunte Inszenierung ohne Spannkraft, höheren Witz und Zwischentöne bleibt, liegt auch daran, dass Lambert Hamel als Dorfrichter Adam keinerlei Überraschungen zu bieten hat -außer vielleicht die beiden platinblondblöden Lustdienerinnen, die ihm als Mägde zwillingsgleich zur Verfügung stehen. So heimelig wie sich sein Adam auf den Richterstuhl fläzt, macht es sich Hamel auch in seiner Rolle bequem: berufsroutiniert.

Seine erpresserische Sex-Attacke auf die junge Eve, bei der er nächtens überrascht und unerkannt in die Flucht geschlagen wurde, wobei der titelgebende Krug zerbrach, hat Spuren hinterlassen: Adam hat Kratzer im Gesicht und eine Platzwunde am kahlen Hinterkopf, und er ging seiner Perücke verlustig, Zeichen von Amt und Würde. Die Ausflüchte, in die er sich nun rettet, all seine Lügen und Vertuschungsversuche wirken bei Hamel nie wie aus der Not geboren, sondern nur seinem bewährten Ton- und Gestenrepertoire entnommen. Das ist Hamel, wie er leibt und bebt, säuselt und tönt. Nur ergebene Fans kommen hier auf ihre Kosten.

Es wird an diesem Abend, um Alarmstimmung zu erzeugen, allzu viel gezetert und gebrüllt, was Kleists fein- und hintersinnige Sprache auf Dauer nicht erträgt. Am schlimmsten ist der Auftritt der Krugbesitzerin Marthe Rull: Von der Regisseurin kein bisschen gebremst, darf die ohnehin zur Exaltation neigende Barbara Melzl ihren Part vollkommen überdrehen, bis sie noch den letzten Satz mit ihrer nervtötenden Kreisch- und Krächzstimme zersägt hat. Ein Fels in der Brandung ist Jennifer Minetti, die als Frau Brigitte nicht nur zur Aufklärung des Falls, sondern auch zur Beruhigung der schrillen Tonlage beiträgt.

Eve ist bei der dunkelgelockten Anne Schäfer eine Traumatisierte mit Dekolletee und dramatischem Blick. Tina Lanik gewährt ihr ein wehes musikalisches Motiv und am Schluss lange Erklärungspassagen aus der Urfassung, die Kleist in den "Variant"-Teil verbannt hat. Psychologischen Gewinn zieht man jedoch nicht daraus.

Wenn es einen plötzlich fröstelt, liegt es allein daran, dass die Regisseurin ihre Schauspieler nun buchstäblich im Regen stehen und den Tauwetterdunst kühl ins Parkett wehen lässt. So kommt dieser zerbrüllte Krug vom Schneesturm in die Traufe. Und am Ende hagelte es Buhs.

© SZ vom 09.02.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: