Das Erfolgsgeheimnis ist die Spielwiese:Ganz nah dran

Lesezeit: 4 min

Vor 40 Jahren wurde die allererste "Stadtteilwoche" gefeiert. Längst sind die Kulturprogramme zu einer Institution geworden

Von Renate Winkler-Schlang

Ein bisschen Freiluft-Programm, eine kleine Bühne, ein krächzendes Mikro, stolze Folklore-Tanzgruppen aus Anatolien und wenige, aber entspannte Besucher. So etwa muss man sich die erste Stadtteilwoche in Milbertshofen-Am Hart vorstellen. Es folgten Haidhausen, Sendling, Schwabing-West - und da war dann schon mehr los. 1977 war das, der Oberbürgermeister hieß Georg Kronawitter (SPD), das Kulturreferat leitete seinerzeit Jürgen Kolbe.

Es ist schier unglaublich: 40 Jahre, vier Kulturreferenten und drei Oberbürgermeister später, nach mittlerweile 139 solcher Ereignisse, gibt es dieses Format immer noch: "Wir machen was" lautet das bewährte Motto, gleichermaßen Programm und Erfolgsgeheimnis. Es steht für die charmante Mischung aus Hobby-Kreativen im Quartier und musikalischen oder kabarettistischen Publikumsmagneten - gerne aus der Familie Well. Immer noch bestürmen Bezirksausschüsse das Kulturreferat, dass sie endlich wieder einmal dran sein wollen: Das Budget von 250 000 Euro reicht für drei Wochen, die Stadtteiltage im Sommer sind etwas kürzer. Und der Eintritt fast immer frei.

Sylvia Ottes, Teamleiterin für regionale Festivals und seit 25 Jahren mit den Stadtteilwochen verbandelt, schüttelt ihre blonden Locken und stellt klar, dass die Idee dafür sich ihr Vorvorgänger Heiner Zametzer nirgendwo abgeschaut habe: "München ist das Pilotprojekt. Wir haben unsere Erfahrungen dann an andere weitergegeben." Als "Wanderzirkus sozialdemokratischer Kulturpolitik" waren die Wochen einmal bezeichnet worden. Egal - den Menschen gefiel es, die Stadt suchte in den Vierteln geeignete Spielwiesen und -orte wie Büchereien, Pfarrsäle, VHS-Räume. Und bald ergab sich auch die Chance, vom Wetter unabhängig ein größeres Publikum zu beglücken: Man tat sich mit dem "Zirkus Atlas" zusammen, der anfangs mit all seinen Tieren kam. Das blaue Zelt, das heute der Familie Frank gehört, ist längst Markenzeichen.

In Giesing hat alles geklappt. Doch dafür benötigt es viel Technik. (Foto: Angelika Bardehle)

Keinen der Künstler, die sich vor Jahren unter diesem Dach ausprobieren konnten und auch dank der wohlwollenden Resonanz bekannt geworden sind und nun aus alter Verbundenheit zurückfinden, will Ottes hervorheben. Sie nennt dann doch Georg Ringsgwandl, Sissi Perlinger, die Couplet AG. Aber ebenso wichtig sei ja, was die Menschen in den Stadtteilen beisteuerten. Da gebe es keine Jury, kein Kuratorium, ergänzt Kulturreferatssprecherin Jenny Becker. "Wir lassen uns auf jeden ein, und wenn es zehn Minuten Bauchtanz ist." Das Team habe genug Erfahrung, um einzuschätzen, wo ein Beitrag am besten hinpasse, ins Nachmittagsprogramm, auf die Kulturdult. Da manche ihre Kunstwerke oder Geschichtsvereine die Historie des Viertels zeigen wollen, gibt es ein Ausstellungszelt und einen Galeriewagen, sogar bald einen neuen. "Mehr davon" habe sich mancher Stadtteil gewünscht: Nicht zuletzt deshalb gründeten sich einige der Trägervereine, die für die inzwischen entstandenen Stadtteilkulturbauten zuständig sind.

Das Riesen-Domino begeistert die Kinder. (Foto: Florian Peljak)

Ottes erzählt von Veränderungen in diesen vier Jahrzehnten. Die Migranten-Folkloregruppen seien verschwunden, die dritte Generation sei angekommen. Mit dem Flüchtlingsstrom sei Zuwanderung wieder Thema, aber anders. Da sei etwa der minderjährige Schneiderlehrling in Berg am Laim, der afrikanische Stoffe und westliche Schnitte zusammenbrachte. Oder die syrischen Musiker, die zusammen mit der "Aubinger Dorfmusik" auf der Bühne standen. Groß war anfangs die Resonanz auf nachmittägliche Kinderprogramme mit Theatergruppen, Pantomimen, Clowns; doch jetzt seien Kinder ganztags betreut, man müsse Einrichtungen einbinden. Hinzu kommt meist ein Familientag.

"Bärmichls Spielkarawane" begeisterte die Kinder 1983. (Foto: Kulturreferat)

Unter Kulturreferent Hans-Georg Küppers habe die Stadtteilkultur einen besonderen Stellenwert, betont Becker - und präsentiert ein Foto: Küppers am Piano ist bestens ausgeleuchtet, und sicher hat sein Mikro nicht gequietscht. Längst nämlich ist aus den ersten Saisonaushilfen, die ein wenig mit einer kleinen Gesangsanlage umgehen konnten und aus Spaß an der Freud während der Stadtteilwochen Überstunden schoben, eine professionelle Truppe mit Sitz an der Maria-Probst-Straße geworden. Die Sehgewohnheiten haben sich verändert - wo es früher ein schlichter Scheinwerfer tat, muss heute die LED-Lichtmaschinerie her. Martin Werhahn, damals Maschinenbau-Student und Schlagzeuger, der 1983 als Assistent mitmischte, blickt gerne zurück: Ein paar Kulturfreaks hätten viel improvisiert, 1985 etwa fünf Stadtteilwochen in fünf Wochen organisiert. Das habe Zametzer gefallen, Werhahn wurde gefragt, ob er den Job fest übernehmen möge. Unter dem Motto "Wir haben zu wenig Geld, um zu sparen", baute Werhahn dann einen Fundus an qualitätsvollem Equipment auf: "Nicht immer das Allerneueste, ich habe auch gewartet, bis neue Technik ausgereift war."

1980 waren Alexander Reissl, Peter Syr, Arthur Haupt und Heiner Üerling verantwortlich (v. l.). (Foto: Gerd Pfeiffer)

Die Künstler der Stadtteilwochen fühlten sich gut betreut, bald fragten die ersten an, ob man sich auch für andere Auftritte die Technik - und die Techniker - leihen könne. Licht und Ton, Gerüst- und Bühnenbildbau, dazu Schneiderei: Die Abteilung betreut inzwischen fast tausend Veranstaltungen im Jahr. "Full Service", sagt Werhahn und lobt seine 20 Festangestellten und rund 100 Freien. Vor allem: Er arbeitet er immer noch mit, damit er weiß, was geht.

Denn kleine Pannen nimmt keiner krumm: So wollte Eisi Gulp mal einen Handstand auf der Stuhllehne zeigen, aber leider hatte man ihm einen Plastikstuhl hingestellt - die Lehne bog sich unter dem Artisten, erzählt Werhahn. Ottes berichtet von einem Platzregen: Noch während Andreas Giebl spielte, montierten die Technik hinter ihm die ersten Bühnenbretter ab, um am Zelteingang Brücken für die Besucher auszulegen.

Dieses besondere, lockere Flair der Stadtteilwochen sei für ihn in all den Jahren gleich geblieben, sagt Werhahn. Das kann auch Franz Krisch, Ottes' Vorgänger und seit einigen Jahren im Ruhestand, unterschreiben. Krisch war 1978 mit der Glockenbachwerkstatt unter den Mitwirkenden: "Eine schöne Arbeit, die würde ich gerne weitermachen", habe er gedacht, ein Traum, der 1981 in Erfüllung ging, denn Zametzer wusste um Krisch' gute Kontakte zur Kleinkunstszene. Bald seien die Stadtteilwochen und das Interesse daran "regelrecht explodiert", erinnert sich Krisch. Skeptisch war aber Münchens erste grüne Bürgermeisterin Sabine Csampai: "Ranzig" nannte sie, was geboten wurde. Doch Krisch konnte mit einer Umfrage beweisen, dass 80 Prozent der Besucher äußerst angetan waren und dass die Wochen überdurchschnittlich viele Geringverdiener anlockten, die Kultur sonst eher fern blieben. "Von wegen ranzig", lacht Franz Krisch und verteidigt auch die "fröhlichen Dilettanten", die immer und überall dazugehören.

Letztlich habe man auch die CSU davon überzeugt, dass es nicht um Vereine kontra Kultur gehe, sondern um ein Miteinander aller. Dass Stadtteilwoche keine Geldverschwendung sei, sondern eine Investition. Und der kleine "Skandal" in Trudering, als 1996 Helmut Schleich und Christian Springer als "Kabarett Fernrohr" angeblich den Papst beleidigten, weil sie aus einer Oblate ein Kreuz rausbissen, der ist doch heute längst schon vergessen.

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: