Zwei denkwürdige Konzerte:"Er hat das Beste herausgeholt"

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Tom Jahn, der Leiter der Big Band Dachau, schwärmt von den Auftritten mit Jimi Tenor

Interview von Lina Brückner, Dachau

- Glitzernde Bühnenoutfits, Gruppenimprovisationen und ein wilder Mix verschiedener Stile - dafür steht die Big Band Dachau. 2018 wurde sie mit dem Tassilo-Kultur-Preis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet. Doch auch dieses Jahr hatte Höhepunkte, an die sich der Leiter des Ensembles, Tom Jahn, gerne erinnert. Zwei Mal ist die Big Band mit dem finnischen Jazzstar Jimi Tenor auf der Bühne gestanden: im Gasteig und in Landsberg. Mit der SZ spricht Jahn jetzt über diese besonderen Momente und die Organisation der Konzerte.

SZ: W ie kam es zu diesen gemeinsamen Konzerten?

Tom Jahn: Das Brüderpaar in der Band, Jan und Oliver Meerendonk, ist seit Kindertagen Fan von Jimi Tenor. Sie haben seine Karriere und alle Platten mitverfolgt, waren auf ein paar Konzerten und ich auch. Ein Jahr vor dem Auftritt hat er in der roten Sonne, dem Technoklub in München, gespielt und da sind wir danach einfach backstage gegangen und haben ihn gefragt, ob er Lust hätte, mit der Big Band aufzutreten. Er hat tatsächlich zugesagt, nachdem er ein paar Videos von uns gesehen hatte. Das ist für uns eine unfassbare Ehre, dass ein Künstler von so internationaler Bedeutung zu einem Blasverein nach Dachau fährt und zwei Konzerte spielt.

Was verbindet die Big Dachau mit dem finnischen Musiker und was unterscheidet sie?

Uns verbindet ein gewisses Maß an Verrücktheit im positiven Sinne, ein Faible für Glitzerkostüme und eine grenzenlose Offenheit dem musikalischen Moment gegenüber. Aber Jimi Tenor ist ein international erfahrener Künstler, der überall Fans hat, und wir sind ein Blasverein aus Dachau. Das erzeugt das Spannungsfeld, das jeden von uns über sich hinauswachsen lässt, und Tenor muss sich auch auf eine vollkommen neue Situation einlassen. Das erzeugt natürlich Umdrehungen und Wärme, jeder muss aus sich herauskommen.

Wie haben Sie die Auftritte organisiert?

Er hat das Okay gegeben und seine Manager haben einen Termin gesucht und auch gefunden. Zur Location in Landsberg hatte ich guten Kontakt und im Gasteig haben wir vor zwei Jahren schon mal bei einem Digital/Analog-Festival gespielt. Wir haben anscheinend Eindruck hinterlassen und einen Slot als Main Act bekommen.

Mit so einem Namen vornedran hat man gute Chancen, in die Programme reinzukommen. Ein halbes Jahr vorher war es fix, dass wir die zwei Slots bekommen. Bei der Durchführung haben sich sowohl unsere Musiker, als auch unser Verein, die Knabenkapelle Dachau, mit unglaublich professioneller Arbeit eingebracht.

Haben Sie sofort gemerkt, dass die Zusammenarbeit mit Tenor passt, oder gab es anfangs Schwierigkeiten?

Die Wahl war ja auf Jimi Tenor gefallen, weil er künstlerisch in unsere Richtung geht, allein vom Spirit und vom Bühnenoutfit. Wir sind eine Big Band, die sich einer Mischung aus Techno und Jazz verschrieben hat. Es wird viel improvisiert, es passiert viel live auf der Bühne - genau wie bei Tenor. Die repetitive und hypnotische Musik gibt die Fahrtrichtung vor. Aber dass es so gut funktioniert, hätte ich mir nicht träumen lassen.

Der Typ ist ein sehr introvertierter Musiker. Aber dadurch, dass er so konzentriert und so bei sich ist, erzeugt er einen unglaublichen Sog und fordert auf eine stille und liebenswerte Art und Weise von den Musikern alles. Er hat ganz wenige Ansagen gemacht, sehr leise, aber sehr dezidiert. Er hat jeden an seinem Kunstverständnis und Geschmack gepackt und so aus der Band rausholen können, was sie zu geben fähig ist. Er hat uns als Künstler wahrgenommen und die Band respektiert.

Der denkwürdige Auftritt der Big Band Dachau mit Jimi Tenor im Gasteig: "Ein intensiver und wunderschöner Moment", so Tom Jahn. (Foto: WCS Fotografie - Simon Steinhube)

Sie sind zu den Proben wohl kaum nach Finnland geflogen. Wie lies sich das Projekt realisieren?

Das Projekt lief in Dachau. Insgesamt haben wir nur zweimal geprobt, Freitag und Samstagvormittag. Wir hatten einen Soundcheck, bei dem wir uns auf den Spielort einlassen konnten. Im Gasteig war das ein bisschen hektischer, da viele Bands da waren, die den Soundcheck etwas ausgedehnt haben. Landsberg war die beste Location, wo wir je gespielt haben. Die haben uns als Gäste behandelt und sich super gekümmert, eine großartige Lichtshow gemacht. Da hat einfach alles gepasst.

Welche Nummern haben Sie bei den beiden Konzerten gespielt und wer hat sie ausgesucht?

Die Nummern haben wir ausgesucht, Tenor war da sehr offen. Wir sind sein Œuvre durchgegangen und haben uns im Hinblick auf die Materialgerechtigkeit entschieden: Was kann man wirklich mit der Big Band umsetzen, was ist zu poppig oder bietet sich vom Klangkörper her nicht an? Tenor hat teilweise Arrangements geschickt, aber nicht für unsere Instrumentierung. Ich musste viel Arbeit investieren, habe die Stücke für unseren Klangkörper angepasst und teilweise umarrangiert. Ich habe ganz behutsam hier und da ein paar Sachen einfließen lassen, um unsere Musiker besser präsentieren zu können.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Stücke ausgesucht?

Es gibt Sachen, die bei Tenor synthesizerlastig sind und die zu komplex waren für einen Klangkörper aus Blasinstrumenten. Es gibt aber von ihm natürlich auch ein paar Bigbandplatten, die er für diese Instrumentierung selber geschrieben hat. Wir haben Stücke aus seiner ganzen Schaffensperiode integriert. Im Kernteam der Big Band war das eine geschmackliche und musikalische Entscheidung.

Hatten Sie Angst, dass Tenor der Band die Show stehlen könnte?

Eher umgekehrt. Wir mussten daran arbeiten, dass die Band Jimi Tenor nicht übertönt oder wegfegt. Die Band musste energetisch runterfahren. Das hat sich wirklich schnell zu einem sehr guten Miteinander entwickelt. Vom ersten Moment an war es nett und ging gut zusammen.

Welches Gefühl hatten Sie, als Sie mit Tenor zusammen auf der Bühne standen?

Der Mann ist - abgesehen davon, dass er ein Star ist und bei der Love Parade 1996 große Welthits hatte, die um den Globus gegangen sind - wirklich ein großartiger Instrumentalist, ein gestandener Musiker auf Weltniveau. Er spielt auf einem sehr hohen Niveau Tenorsaxofon, Flöte und Synthesizer. Er wird nicht sauer, wenn jemand um ihn herum nicht das Niveau hat, aber er strahlt dieses Niveau aus. Und deswegen war es für uns ein so intensiver und wunderschöner Moment, dass man jemanden hat, der die Band sein lässt, wie sie ist, aber einfach durch seine Präsenz das höchste musikalische Niveau fordert. Auf ganz sanfte Weise stellt er einen Sog her, der aus jedem von uns die höchste Konzentration gezogen hat. Von daher war der Auftritt auch eines der intensivsten musikalischen Erlebnisse für mich.

Jazz, Techno oder Elektro - welcher Stil hatte bei den Konzerten die Oberhand?

Massiv Jazz-Techno. Wenn man den Stil so definieren kann. Das verbindende Element von Techno und Jazz und überhaupt von tanzbarerer Musik ist ja die Repetition. Und das fasst alle Altersgruppen und vor allem instrumentalen Niveaus. Wir haben studierende Profimusiker in der Band und Leute, die seit einem Jahr ihr Instrument spielen. Denen muss man eine Stimme geben; ihre Stimme so schreiben, dass sie das spielen, was sie eben gerade können. Das ist die Stärke der Big Band: Leute auf einen Nenner bringen und eine Gleichheit schaffen zwischen dem Universitätsprofessor und dem 16-jährigen Pianisten.

Was haben Sie von den Auftritten mitgenommen?

Nichts zu erwarten. Man darf nicht vorbelastet auf den Auftritt zugehen, sondern muss offen dafür sein, was in dem Moment eben passieren wird. Man muss für die großen Schwingungen empfänglich sein.

Sie treten ja nicht immer zusammen mit Jimi Tenor auf. Sind die Nummern von den beiden Auftritten auch weiterhin zu hören oder waren das Einmalprojekte?

Für Tenors großen Welthit "Take me Baby" haben wir in Landsberg ein Video gedreht und sind gerade noch dabei, das fertig zu mischen. Ein paar Nummern von ihm haben wir fest im Programm. Die sind so gut geworden, dass sie der Big Band sehr gut stehen. Wir werden diese Stücke bei unseren nächsten Konzerten performen. Und wir haben große Neuigkeiten, und zwar kommt Jimi Tenor wieder nach Deutschland. Wir spielen beim Jazz-Frühling Kempten am 30. April, also in der Freinacht, im Parktheater. Wir werden ein paar Stücke neu dazu nehmen, das Set perfektionieren und improvisierte Stellen einfügen. Ich glaube, das wird auf jeden Fall eine sehr schöne Party.

Was fasziniert Sie denn an Jimi Tenor?

Er hat eine unglaublich freie Art, mit Musik umzugehen. Er ist nicht vorbelastet und lässt sich nicht auf eine Sache festlegen. Trotz seines Weltruhms, den er sich ja mit "Take me Baby" und "Sugardaddy" erarbeitet hat, bleibt er nicht auf diesen zwei Stücken sitzen. Er macht immer weiter und ist ein musikalisch Suchender. Er nimmt Musik immer aus allen Richtungen wahr und ist niemand, der resigniert, sondern der, wie ein Kind oder Anfänger, die Herausforderung sucht. Die Message ist klar: Bleib niemals stehen. Als Musiker bist du immer auf der Suche, es geht immer weiter, du bist niemals angekommen.

Ankommen ist in der Musik immer eine Sache von die Neugier und den Funken verlieren - für Künstler bedeutet das Stagnation. Dafür war er ein ganz großer Lehrmeister. In seinen späten Fünfzigern sagt er, er fährt mal für ein Wochenende nach Dachau und spielt mit der Big Band, weil er daran glaubt und weil er die Energie mag und weil ihm das was gibt. Er könnte sich auch auf seinem Geld ausruhen und Wein anbauen in Südfrankreich, aber er will Musik machen. Bei dieser Frische und dieser Inspiration schlägt die Flamme einfach über. Er könnte ja auch sagen, er will seinen Technohit von 1996 genauso haben, aber er war einverstanden damit, dass wir ihn leicht arrangieren und er klingt wie die Big Band Dachau und nicht wie bei der Loveparade.

Mit dieser Risikobereitschaft macht er solche Konzerte wie in Landsberg möglich, bei dem im zweiten Set die Leute vom ersten Ton an von den Sitzen aufspringen und das Theater zum Ballroom erklären.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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