Zum 90. Geburtstag von Rosa Rühl:"Die Rush-Hour meines Lebens"

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Rosa Rühl vor einem der vielen Werke Dachauer Künstler, die sie selbst über Jahre hinweg förderte. Als Stadträtin entdeckte sie ihre Begeisterung für die Kunst, noch heute spielt diese eine große Rolle in ihrem Leben: Seit der Gründung des Dachauer Wasserturms ist sie die Schatzmeisterin des Fördervereins. (Foto: Toni Heigl)

Die frühere Stadträtin und Kunstfördererin Rosa Rühl wird 90 und blickt zurück auf ihr bewegtes Leben. Sie erzählt von anfänglichen Schwierigkeiten, redet über ihre aktivste Zeit im Alter von 40 bis 70 Jahren und warum alles so gekommen ist, wie es kam

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Dachaus "Rote Rosa" wird 90: Rosa Rühl war lange Stadträtin der SPD, bis sie 1995 im Zorn zurücktrat. Ihre Partei hatte ihr für die bevorstehende Wahl zum Stadtrat nicht den Listenplatz ermöglicht, den sich die Politikerin erhofft hatte. Der Grund waren innerparteiliche Streitigkeiten. Sie begannen bereits gegen Ende der Siebzigerjahre, als sich der Rechtsanwalt und spätere Bauträger Hans Hartl der Dachauer SPD näherte: An seiner Person schieden sich die Geister, die Partei spaltete sich, es gab unzählige Austritte, einige Genossen blieben an der Seite von Hartl - so auch Rosa Rühl. Aber die Jubilarin ist nicht nur wegen ihrer politischen Aktivitäten in Dachau bekannt. Sie fördert seit vielen Jahren Künstler, hat mitgeholfen den Wasserturm zu dem zu machen, was er ist. Und auch sonst hatte sie ein sehr bewegtes Leben. Sie war Hausfrau und Mutter, Grundschullehrerin und Inhaberin einer Bauträgerfirma, die sie gründete, kurz bevor sie aus der SPD austrat. Anlässlich ihres 90. Geburtstags sieht sie nun im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung auf ihr Leben zurück, spricht über Schlüsselmomente und Enttäuschungen - und ihre Entwicklung zur selbstbewussten Frau.

SZ: Wenn Sie auf 90 Jahre zurückblicken: Sind Sie zufrieden?

Rosa Rühl: Natürlich bin ich zufrieden. Es gibt Abschnitte, die schwierig waren, in denen ich nicht wusste, was ich wirklich will - das waren eher die ersten 20 Jahre meines Lebens. Und dann gab es die Rush Hour in meinem Leben, das war so zwischen 40 und 70, wo ich alles mögliche gemacht haben.

Welche Schwierigkeiten waren das, vor denen Sie mit Anfang zwanzig standen?

Ich komme aus einer bäuerlichen Familie und da war Bildung nicht so wichtig. Meine Lehrerin meinte, ich solle in die höhere Schule gehen und erst beim dritten Anlauf haben meine Eltern dann wirklich ja gesagt. Als ich fertig war, habe ich mich für ein Studium in München entschlossen.

Welches Studium?

Botanik und Biologie habe ich angefangen, nach zwei Semestern habe ich das Studium geschmissen. Eine Freundin von mir war bei der Post - und da bin ich auch hingegangen.

Eine spontane Entscheidung?

Ich fühlte mich damals ziemlich hilflos, ich hatte sonst niemanden. Ich wusste einfach nichts mit mir anzufangen. Bei der Post habe ich auch meinen Mann kennengelernt, wir haben geheiratet und sind nach Dachau gezogen.

Und dann zog es Sie auch nie wieder von hier weg?

Nein, an der Seite meines Mannes bin ich endlich gereift. Da bin ich zu einer selbstbewussten Frau geworden. Wir haben in Dachau eine Wohnung bekommen, und ich war Hausfrau, neun Jahre lang. Dann kam ein Aufruf in der Presse: Hausfrauen, die Abitur haben oder ein angefangenes Studium, sollten Pädagogik studieren, um Lehrerin zu werden. Danach wurde man dort eingesetzt, wo man wollte. Das war ein starkes Argument für mich, weil ich ja einen Sohn hatte. Und meinen Mann konnte ich so auch überzeugen. 1968 war ich fertig mit dem Studium.

Ein revolutionäres Jahr...

Das Jahr des großen Aufbruchs! Und mit all den großen Ideen bin ich als junge Lehrerin in das Lehrergremium gekommen und hatte natürlich irre Ideen.

Hier begann die Rush Hour Ihres Lebens?

Genau, ich habe in Dachau-Ost als Grundschullehrerin angefangen. Ich wurde außerdem Kreisvorsitzende der AWO in Dachau. Und ich bin in die Politik gegangen, war 24 Jahre lang Stadträtin.

Für die SPD, bis Sie 1995 ausgetreten sind...

Ja, 33 Jahre lang war ich in der SPD. Am Schluss gab es bestimmte Uneinigkeiten - ich reagiere oft sehr spontan und da habe ich gesagt, das ist genug, jetzt höre ich auf. Als ich 1992 als Lehrerin in Rente gegangen bin, habe ich dann eine Bauträgerfirma gegründet: R&R - Rosa Rühl.

Wieso ausgerechnet eine Bauträgerfirma?

Wir haben 1969 unser Haus hier in Dachau gebaut. Das hat mir so gut gefallen, dass ich damals schon gerne etwas mit dem Bauen machen wollte. Aber mein Mann hat gesagt, er hätte mir ja gerade erst das Lehrerstudium bezahlt, ich solle Lehrerin bleiben. Als ich pensioniert war, habe ich es selbst in die Tat umgesetzt. Nach vier Jahren habe ich die Firma verkauft, mit Gewinn. Ich habe in der Rush Hour meines Lebens viele verschiedene Rollen gespielt, verschiedene Perspektiven erleben dürfen und müssen.

Welche Rolle hat Ihnen am besten gefallen?

Es war alles schwierig und interessant zugleich. Aber als ich aus dem Stadtrat ausgeschieden bin, hat für mich eine neue Zeitrechnung begonnen. Und zwar so, dass ich gesagt habe, ich mache alles für mich und die Familie - und nicht für andere.

Damals gab es ja einen großen Wirbel um Sie: Im Archiv der SZ finden sich wütende Leserbriefe von und gegen Ihre Parteikollegen...

Ja, wie gesagt, ich reagiere oft sehr spontan. Aber das hat sich jetzt etwas gelegt im Alter.

Würden Sie das heute anders machen?

Nein, nein, das hat ja gereicht. 24 Jahre lang habe ich mich in der SPD eingebracht. Ich wollte mitwirken und etwas für die Gemeinschaft schaffen.

War das Ausscheiden aus der SPD eine Enttäuschung, die Sie stark getroffen hat?

Ja, natürlich. Heute verstehe ich meinen Ärger von damals nicht mehr. Aber danach hat eine sehr schöne Zeit begonnen, ich war niemandem mehr verpflichtet. In der Partei war das nicht immer so schön. Und die Frauen haben es sowieso immer schwer gehabt.

Hatten Sie es oft schwerer, weil Sie eine Frau waren?

Ja, weil es alle Frauen damals immer schwer hatten. Das dauert ja jetzt noch an! Doch an der Seite meines Mannes habe ich viel erlebt, wir sind viel gereist. Leider ist mein Mann verstorben, da war ich gerade 68. Aber ich habe der Reiseleidenschaft weiter gefrönt.

Und das machen Sie auch heute noch?

Ja, Silvester habe ich auf dem Bodensee gefeiert, auf einem Schiff. Da habe ich getanzt, bis zwei Uhr morgens.

Die nächste große Station in Ihrem Leben war der Wasserturm. Seit der Gründung sind Sie Schatzmeisterin. Haben Sie hier Ihre liebste Rolle gefunden?

Das weiß ich nicht, aber hier konnte ich etwas selbstbestimmt verwirklichen, was so davor nicht möglich war. Ich habe nur unter der Bedingung mitgemacht, dass wir von der Stadt kein öffentliches Geld wollen, sondern uns mit eigenen Ideen selbst durchbringen.

Bevor Sie sich dem Wasserturm gewidmet haben, hat die Kunst da auch schon eine große Rolle in Ihrem Leben gespielt?

Vor dem Stadtrat eigentlich nicht. Aber im Stadtrat wurde man immer zu vielen Vernissagen eingeladen, und so bin ich dann zur Kunst gekommen.

Und seitdem widmen Sie den Großteil Ihrer Zeit dem Wasserturm?

Ja, aber im Sommer werde ich zurücktreten. Ich blicke auf eine glückliche Zeit zurück, ich war zwanzig Jahre von vielen Menschen umgeben, die mir einfach guttun.

Haben Sie sich hier wohler gefühlt als in der Zeit davor, als Sie sich noch politisch engagiert haben?

Ich habe mich viel wohler gefühlt. Weil es selbstbestimmt war. Wenn man Stadtrat oder Arbeitgeber ist, macht man eben nicht immer gerne alles freiwillig. Aber man hat es einfach zu machen.

© SZ vom 19.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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