Zeitzeugen:Was Demokratie ausmacht

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"Die Bilder bleiben immer im Kopf": Der Holocaust-Überlebende Abba Naor erzählt den Schülern seine Geschichte und hinterlässt bleibenden Eindruck. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Bergkirchener Schüler lernen in einem bundesweiten Projekt, Vorurteile abzubauen und Konflikte im Dialog zu lösen. Am meisten beeindruckt sie das Gespräch mit dem Zeitzeugen Abba Naor

Von Felix Wendler, Bergkirchen

Es fügte sich gut ein, dass der Holocaust-Überlebende Abba Naor, 90, gerade in dieser Woche an der Grund- und Mittelschule Bergkirchen vor Schülern der neunten und zehnten Klasse seine Geschichte erzählte. In dieser Woche organisierte die Mittelschule in Kooperation mit Creative Change e.V. einen Workshop zur Demokratie. Diese vom Bundesprogramm "Demokratie leben" geförderte Organisation veranstaltet deutschlandweit Theaterprojekte an Schulen und hat sich dem Ziel verschrieben, "jegliche Art von vorhandenen Vorurteilen zwischen Menschen abzubauen".

Während also in einem Klassenraum knapp 40 Schüler- und Schülerinnen gebannt den Schilderungen des Vizepräsidenten des Internationalen Dachau-Komitees (CID) lauschten, setzte sich einige Meter weiter eine siebte Klasse mit dem aktuellen Demokratieverständnis auseinander. Angeleitet von einem Team junger Theaterpädagogen lernten die Jugendlichen im Alter von zwölf bis 14 Jahren anhand von Rollenspielen und kleinen Theatereinlagen, was es heißt, sich fremd zu fühlen. Das Creative Change Team um den ausgebildeten Schauspieler Philip Blom animierte die anfänglich zurückhaltenden Schüler immer wieder zum Mitmachen.

Zunächst schlüpften die Schauspieler in die Rolle einer Gruppe von drei Jugendlichen, die eine syrische Mitschülerin ausgrenzten. Kaum war das Stück zu Ende, gingen schon die Hände vieler Jugendlicher hoch, die das Geschehene kritisch kommentierten und die schauspielerische Leistung lobten. Wie geht man um mit Vorurteilen? Wie steht man zu seiner Meinung und macht sich nicht zum Mitläufer? Wie kann man sich für andere einsetzen? Diese auch politisch sehr aktuellen Fragen wurden im Anschluss lebhaft diskutiert.

Einige Schüler zeigten besonderen Eifer und durften schließlich selbst auf die Bühne. Julian, 13, bot den gezielt eingesetzten Anfeindungen des fiktiven Max beharrlich Paroli und positionierte sich gegen Ausgrenzung: "Ich versuche immer auf das Gute im Menschen zu schauen." Sein Auftritt brachte ihm Extra-Applaus von Mitschülern und dem Creative Change Team ein. Auch Marvin, 13, zeigte schauspielerischen Eifer und konnte der fiktiven Geschichte zum Happy End verhelfen: Die vorher abweisende Gruppe zeigte sich zugänglicher und nahm die Geburtstagseinladung der syrischen Mitschülerin Hakiyma an. Die anderen Schüler erhielten ebenso Gelegenheit, von ihren eigenen Erfahrungen zu berichten. "Wer war schon mal irgendwo neu und hat sich fremd gefühlt?", fragte Philip Blom. Fast alle Hände gingen hoch. Sei es der Schulwechsel oder ein neues Land - fast jeder hatte schon mit diesem unguten Gefühl zu kämpfen.

Nach Ende des Workshops, den im Laufe der Woche diverse sechste bis zehnte Klassen absolvierten, zeigten sich Schüler und Lehrer gleichermaßen beeindruckt. Im Kollegium habe man geschlossen positive Rückmeldungen bekommen, verriet ein Lehrer. Eine Wiederholung im nächsten Jahr sei durchaus denkbar.

Ähnlichen Zuspruch erhielt auch Abba Naor, der nicht nur detailreich berichtete, sondern die Schüler auch immer wieder mit einbezog. Felix Kroschewski, Klassenlehrer der 9 a, bezeichnete den Auftritt als "überragend". Insbesondere da die aktuelle Schülergeneration nur noch sehr selten persönliche Kontakte zu Zeitzeugen habe, sei diese Form des Umgangs mit der Vergangenheit von besonderer Bedeutung. Einen bleibenden Eindruck bei den Jugendlichen hat Abba Naor sicherlich hinterlassen. Auf die letzte Frage, wie er sich nach so vielen Jahren noch an Bilder der Vergangen erinnern könne, antwortete er: "Die Bilder bleiben immer im Kopf. Wir sind physisch befreit worden, aber nicht seelisch."

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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