Zeitgeschichte:Die Lügner sind unter uns

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Von 1933 bis 1945 existierte das Konzentrationslager Dachau. Obwohl seine Geschichte weitgehend erforscht ist, werden immer wieder falsche Behauptungen über den KZ-Terror in die Welt gesetzt. (Foto: Toni Heigl)

Der Holocaust-Leugner David Irving will die Vergangenheit umschreiben. Er ist nicht der einzige - seine kruden Ansichten sind schon in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Pfarrer Björn Mensing und Rechtsextremismus­experte Robert Philippsberg klären darüber auf

Von Felix Wendler, Dachau

Im Jahr 1996 strengte David Irving eine Verleumdungsklage gegen Deborah Lipstadt an. Die amerikanische Historikerin hatte dem Holocaustleugner Irving in einem ihrer Bücher eine bewusste Verfälschung historischer Tatsachen vorgeworfen. Eine Eigenheit des englischen Rechts besagt, dass in einem solchen Fall der Angeklagte die Beweislast trägt. So musste Lipstadt belegen, dass ihre Aussagen über Irving zutreffen, de facto also vor Gericht beweisen, dass der Holocaust stattgefunden hat.

2016 verfilmte Mick Jackson die Geschichte des Prozesses. Der Film trägt den Titel "Verleugnung" und wurde nun im Rahmen eines Gespräches über Geschichtsrevisionismus in Dachau gezeigt. Björn Mensing, Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche in an KZ-Gedenkstätte, hatte zur Vorführung im Kino Cinema eingeladen. Gemeinsam mit Björn Mensing und Robert Philippsberg, einem Experten für Rechtsextremismus, diskutierte das Publikum im Anschluss vor allem die Frage, wie man geschichtsrevisionistischen Tendenzen begegnen sollte.

Dass nach wie vor Menschen versuchen, die Geschichte umzudeuten, weiß Mensing aus seiner Arbeit in der Gedenkstätte nur allzu gut. So erzählt er von der wiederkehrenden Behauptung, dass die Gaskammern und Krematorien im KZ Dachau erst von den Alliierten errichtet worden seien. Für diese öffentliche Geschichtsverfälschung musste vor drei Jahren der Sprecher eines AfD-Kreisverbandes in Schleswig-Holstein zurücktreten. Über das KZ Auschwitz kursiert weiterhin die Mär von Dokumenten der UN und des Internationalen Roten Kreuzes, die von "lediglich" 300 000 Toten statt mehr als einer Million zeugen sollen. Diese Dokumente sind schon vor Jahrzehnten als Fälschungen entlarvt worden. Doch das halte viele Leute nicht davon ab, die Lüge weiterzuverbreiten, sagt Philippsberg.

Geschichtsrevisionisten wie Irving zielen darauf ab, von der Verfälschung einzelner Fakten ausgehend, den Holocaust insgesamt in Frage zu stellen. "Wenn Alliierte in Bezug auf Dachau gelogen haben, dann haben sie auch in Bezug auf Auschwitz gelogen", beschreibt Mensing die Denkweise dieser Leute. Damit seien sie noch gefährlicher als extreme Verschwörungstheoretiker. Da sie nicht offensichtliche Fakten anzweifelten, sondern einzelne Punkte umdeuteten, machten sie sich für ihre Umgebung glaubhafter. Um dem argumentativ begegnen zu können, ist sich das Publikum einig, braucht es ein fundiertes Wissen über die echten Fakten. Tatsächlich fehlt vielen Leuten dieses Wissen, was sie empfänglich für verfälschte Tatsachen macht. Mensing erzählt von Bekanntschaften aus Dachau, die glaubten, im KZ Dachau seien nur Strafgefangene inhaftiert gewesen. Auch der Mythos, dass die Wachmannschaften nur zwangsweise Dienst verrichtet hätten, halte sich hartnäckig, erklärt Philippsberg. Auch bei seinen Rundgängen mit Schülern kommt es gelegentlich vor, dass Jugendliche bestimmte Dinge anzweifeln. "Meistens in Fragen verpackt", sagt Mensing und spricht sich für einen offenen Umgang aus. Die Vermittlung der Fakten ist sinnvoller als moralische Empörung, findet er. Gerade Jugendliche übernähmen, oft von ihrem Umfeld beeinflusst, Behauptungen unreflektiert.

Ob sich die Geschichtsrevisionisten in den vergangenen Jahren vermehrt haben, ist unklar. Zumindest aber treten sie über das Internet dominanter auf. Er habe den Eindruck, dass solche Tendenzen "in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien", sagt Mensing. Denkt man an die öffentlichen Reden der AfD-Spitzenpolitiker Björn Höcke und Alexander Gauland, die ein neues Geschichtsbild vertreten, erscheint diese Einschätzung plausibel.

Zumindest der von David Irving angestrengte Prozess endete mit einem Sieg der Fakten. Im Urteilsspruch bezeichnete der Richter Irving als Antisemiten und Rassisten. Die Prozesskosten in Millionenhöhe ruinierten den Holocaustleugner finanziell. 2005 wurde er in Österreich aufgrund seiner Leugnung über die Existenz von Gaskammern festgenommen und zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, von der er jedoch nur ein Jahr absaß. Geläutert hat ihn dies jedoch nicht. Schon 2007 pfiff er erneut auf die Fakten und leugnete wieder den Holocaust.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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