Wrestling:Alles nur Show

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Kritiker bezeichnen Wrestling immer wieder abfällig als Pseudosport. Den Sportlern, die in der ASV-Mehrzweckhalle bei der "Erding Wrestling Show" antreten, ist das egal - sie wollen dem Publikum etwas bieten und geben dafür alles. Und die Zuschauer? Die geraten in Ekstase

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Die Wrestler in der ASV-Mehrzweckhalle geben alles. (Foto: Toni Heigl)

Wer sich an diesem Abend in die Mehrzweckhalle des ASV Dachau verirrte, dem bot sich ein unerwartetes Bild: Wo sonst lokale Sportwettkämpfe stattfinden, tobten sich kostümierte Kämpfer in grellem Scheinwerferlicht aus. Drei Gäste der privaten Neunzigerjahreparty aus dem Nebenraum standen jedenfalls ziemlich bedröppelt an der Eingangstür. Verirren, das ging nämlich doch nicht so einfach, immerhin kostete der Eintritt saftige 25 Euro, VIP-Bändchen noch mehr.

Veranstalter war die "Erding Wrestling Show" (EWS), ein Verein aus dem Münchner Umland, der mit seinen Shows durch Deutschland, Österreich und die Schweiz tourt. Gründer und "Promoter", wie es unter Wrestling-Gelehrten heißt, ist Christof Haas. Wenn er sich in Jeans und rotem Hemd geübt in den Ring schwingt, erfüllt die Halle noch immer ein johlendes "Nobody, Nobody" - der Name, unter dem Haas bis vergangenen November selbst als Wrestler aufgetreten war. Aber gleichzeitig Abende wie diesen zu koordinieren, das wurde ihm irgendwann zu viel. Als Promoter ist Haas schließlich auch derjenige, der die Geschichten in seinen Kämpfern weckt. Wer gegen wen antritt, wer den Applaus genießt, wen die Antipathie des Publikums trägt. Als Pseudosport verspotten es manche. Klar ist, ein guter Wrestler muss schauspielern können, das Publikum durch seinen Charakter überzeugen. Ist es das, was die rund hundert Menschen an diesem Samstagabend in die Dachauer Sporthalle gelockt hatte?

Der glatzköpfige, 108 Kilo schwere Masterpiece Marsellus und der blasse Quentin Bates sorgen für Spektakel. (Foto: Toni Heigl)

Die meisten der Zuschauer sind jung. Viele Männer, weniger Frauen, doch von ihnen kommen die lautesten Pöbeleien. Da schallen sämtliche Beleidigungen nach vorne, und genauso wieder zurück. "Hier im Publikum sitzen nur fette Bauern", rufen ausgerechnet zwei Dachauer Wrestler in das Publikum, und das johlt und pfeift und schimpft zurück. "Hier kannste richtig rumpöbeln, und danach verstehen sich alle wieder", so sieht das Wiebke Brem. Ihre erste Show des EWS besuchte sie 2017, seitdem reist sie die gesamte Saison als Fotografin des Vereins mit. Wrestler und Pferde, das seien ihr die liebsten Fotomotive, denn die seien beide nicht eitel, sagt sie. Schwer zu glauben, bei dem ganzen Präsentationsgehabe im Ring.

Andererseits geht es hier nun einmal nicht ums Gewinnen, sondern darum, das Publikum in einen Zustand nahe der Ekstase zu versetzen. Als einer der beiden Kämpfer schon über die Spanplatte geflogen, diese unter seinem Rücken in zwei Teile geborsten ist und er auf der Matte liegen bleibt, da ruft dieses Publikum energisch klatschend "We want tables." Das soll so viel heißen wie: Noch mehr von diesen Tischen im Ring, noch mehr Köpfe und Rücken, die krachend auf Holzplatten knallen. "Alles nur Show", beeilt sich Haas zu betonen. Doch es ist, als hätte die Meute Blut geleckt.

Bei einem solchen "Hardcore Match" wird der Erfolg manchmal sogar an geflossenem Blut gemessen - wer zuerst blutet, verliert. Dafür gibt es schauspielerische Tricks, kleine Klingen, um sich Wunden zuzufügen. Doch nur Show ist das Ganze nicht, erzählt Haas in einer ruhigeren Minute. Damit die Watschen hörbar knallten, müsse man schon richtig zuschlagen. Rote und grüne Handabdrücke könne man später auf den Körpern erkennen, er zeigt dabei in Richtung der Umkleidekabinen, in denen sich die geschundenen Kämpfer zurückziehen. Wie viel nun wirklich gespielt ist im Ring, das scheint dem Publikum gar nicht so wichtig zu sein. Den Vorwurf mit dem Pseudosport, den streitet man hier vehement ab. "Viele sagen ja, das ist alles nur Show - aber fit müssen sie ja wirklich sein, sonst würden die das gar nicht durchhalten", so erklärt das Brem.

Das Publikum ist restlos begeistert - und äußert das durch Pöbeleien. (Foto: Toni Heigl)

Es ist kurz vor Schluss, der Kampf um einen Toptitel ist in vollem Gange. Wieder wummert der Bass, das Publikum ist aufgeheizt, die Veranstalter haben sogar eine zusätzliche Stuhlreihe aufgestellt. Der glatzköpfige, 108 Kilo schwere Masterpiece Marsellus gegen den blassen Quentin Bates mit dem irren Blick. "Der Beste überhaupt", das sagt Brem über Bates, bevor sie mit ihrer Kamera ganz nah rangeht. Als sie ihn das erste Mal bei einer Show gesehen habe, war er in Ketten gefesselt in den Ring gezogen worden, tobend, brüllend, und dazu dieser Blick. "Da musste ich danach mit ihm reden, sonst hätte ich nicht beruhigt nach Hause gehen können", erinnert sie sich. Um herauszufinden, ob das wirklich nur eine Rolle ist. Seitdem kennen sich die beiden, in einer Pause läuft er an ihrem Platz vorbei, nimmt sich mehrere Minuten Zeit, um zärtlich ihren Chihuahua zu kraulen. Und dass das einem Gütesiegel gleich kommt merkt, wer den winzigen Hund, der in sicherer Entfernung zum Ring thront, eine Weile beobachtet - denn streicheln lässt sich der Chihuahua längst nicht von jedem Kämpfer. Ob gut oder böse - dieser Hund beantwortet intuitiv die Kernfrage des Wrestlings. Face oder Heel, so nennt das Haas in der Fachsprache. Manche liebt man, manche hasst man, beschreibt es Brem. Noch einfacher macht es das Publikum, das entweder jubelt oder schimpft, einen Graubereich der Emotionen gibt es nicht. Nicht immer muss dann aber auch der Gute gewinnen, aber an diesem Abend in der Mehrzweckhalle des ASV ist es oft der Fall.

Die Schweizer Buck Beaver und Deadsaw bringen gemeinsam 267 Körpergewicht auf die Waage, und treten an gegen zwei Leichtgewichte aus Erding in schwarzen Speedos mit Flammenprint. Die bösen Schweizer wirbeln die Leichtgewichte durch die Luft, nehmen sie am Schlafittchen, schmeißen sie auf den Boden, es sieht nicht gut aus für sie. Doch am Ende rappeln sich die Erdinger auf, bewältigen Saltos schlagend ihre behäbigen Gegner. Sie erinnern dabei an zwei flinke Comicfiguren - und an dererlei fiktive Gewaltszenen, die zwar brutal, aber im Grunde doch ziemlich ulkig wirken.

© SZ vom 04.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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