Wohnungspaten:Alle unter einem Dach

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Irmgard und Georg Weigl nehmen Aida und Abdulazis Ayo-Al Sheikh und deren Söhne Dilyar und Sulaiman in ihre Mitte. (Foto: Toni Heigl)

Das Indersdorfer Ehepaar Irmgard und Georg Weigl teilt sich das Haus mit der syrischen Familie Ayo-Al Sheikh. Ihr Zusammenleben funktioniert gut, es wird auch gemeinsam gegessen, mal deutsch, mal arabisch

Von Jana Rick, Markt Indersdorf

"Weigl" steht auf dem oberen Klingelschild, "Ayo-Al Sheikh" auf dem unteren. Seit zweieinhalb Jahren vermieten Georg und Irmgard Weigl den unteren Teil ihres Hauses in Markt Indersdorf an eine Familie aus Syrien. Die Tür wird von Aida Al Sheikh geöffnet, mit strahlendem Gesicht und warmem Händedruck. Ihr Mann und ihre zwei Söhne machen es ihr nach. Im gemütlichen Wohnzimmer ist der Tisch neben dem Kamin gedeckt. Es gibt arabischen Tee und Kaffee. "Als meine Mutter gestorben war, hatten wir hier unten eine komplett eingerichtete Wohnung. Wir haben den Bedarf erkannt", erklärt Irmgard Weigl. Ihr Mann und sie engagieren sich seit vielen Jahren im Helferkreis für Asylsuchende.

Das Ehepaar entschloss sich, dem Beispiel anderer Vermieter zu folgen und privat Flüchtlinge unterzubringen. Das Untergeschoss der Weigls stellte sich als ideal für eine vierköpfige Familie heraus. Die beiden meldeten sich also bei der Caritas und so kam es, dass Familie Ayo-Al Sheikh zu einem Probebesuch vorbeikam. "Nach zehn Minuten war eigentlich alles klar. Wir haben einfach sofort zusammengepasst", erinnert sich Georg Weigl an den Tag.

Doch bis es so weit kam, hatte die Flüchtlingsfamilie eine harte Zeit durchgestanden. Ihr Schicksal begann 2003, als die syrische Regierung die kurdische Bevölkerung zu verfolgen begann. Reden sie über diese Zeit, so fehlen ihnen die Worte, egal in welcher Sprache. Aida spricht von einer "großen Katastrophe", ihr Mann Abdulazis Ayo, der bislang schweigend dem Gespräch folgte, schaltet sich ein und sagt mit tiefer, ruhiger Stimme: "Unser Problem ist das System. Es gibt keine Regeln." Dann: "Die Regierung ist ein Problem."

Die Wege der fünfköpfigen Familie nach Deutschland waren verschieden, sechs Jahre lang waren sie voneinander getrennt. Aida kam mit dem jüngsten Sohn Dilyar, der blind auf die Welt kam, im September 2011 über das Mittelmeer nach Europa. "Fünf Tage auf dem Boot", klagt Aida. "Mit 65 anderen Personen. Es gab keinen Platz, wir konnten nicht aufstehen." Bei ihrer Ankunft in Italien waren die Füße des damals 15-jährigen Dilyar wegen mangelnder Durchblutung schwarz. Heute sitzt er barfuß auf dem Sofa, lauscht wortlos den Erzählungen seiner Mutter. Die beiden landeten in Rosenheim, dann in München und erreichten schließlich die Flüchtlingsunterkunft in der Kufsteiner Straße in Dachau. "2013, einen Tag vor Silvester, kam dann auch mein Mann als Familiennachzug nach Deutschland", erinnert sich Aida noch ganz genau. Der älteste Sohn Solaiman kam 2015 als letzter der Familie nach Deutschland, über die Balkanroute. Der mittlere Sohn, Yazdan, hat den längsten Weg hinter sich. Über Afrika, drei Kontinente insgesamt, gelangte er nach Europa. Heute studiert er an der Universität in Bayreuth. "Wir haben es geschafft", fasst Aida lächelnd die Hintergrundgeschichte der Familie zusammen. Sie geht in die Küche und kommt mit einem Teller zurück. "Mahguka" sagt sie und verteilt die arabische Nachspeise aus Quark, Gries und Pistazien. "Aida ist eine fantastische Köchin", sagt Irmgard Weigl und spricht aus Erfahrung. "Wir werden viel und gerne eingeladen. Die syrische Gastfreundschaft ist der Wahnsinn."

Mehr als zwei Jahre wohnen die beiden Familien nun schon unter einem Dach. Die Ayo-Al Sheikhs bewohnen zwei Schlafzimmer, ein Badezimmer, eine Küche und ein Wohnzimmer, sogar die Terrasse können sie mit nutzen. "Wir haben alles", schwärmt Aida und strahlt glücklich. Unterstützt wird die Vermietung vom Jobcenter Dachau, das eine Kaltmietobergrenze von 741 Euro für einen Haushalt von vier Personen vorgibt. Die Miete zahlt das Jobcenter an die Familie Ayo-Al Sheikh, diese zahlen sie dann an das Ehepaar Weigl. "Im Prinzip ist es ein ganz normaler Mietvertrag, nur steht das Jobcenter dahinter, bis die Ayo-Al Sheikhs auf eigenen Beinen stehen", erklärt Georg Weigl.

Das Zusammenleben der beiden Familien funktioniert mehr als gut, und auch die Nachbarn zeigen große Toleranz. "Ausländer sind in dieser Gegend nichts besonderes", erklärt Georg Weigl, für die ÖDP im Dachauer Kreistag sitzt. "In den Sechzigerjahren hatten wir die Italiener in Markt Indersdorf, jetzt sind es eben Syrer." Seine Frau fügt noch hinzu: "Wir hatten auch mal einen Afrikaner für ein paar Monate bei uns. Die Nachbarn sind es also gewohnt, dass es bei uns bunt zugeht."

Das Ehepaar Weigl bezeichnet sich selbst als "Wohnungspaten". "Für die Flüchtlinge ist es am Anfang nicht leicht, sich in die neue Wohnkultur einzuleben", erklärt Irmgard. Schließlich würden sie in den Flüchtlingsunterkünften viele der alltäglichen Dinge nicht lernen. Zum Beispiel wie man richtig lüftet, den Zähler abliest oder einheizt. Besonders schwer fällt der Familie aus Syrien die Mülltrennung. "Es gibt gelb und blau", fängt Solaiman an aufzuzählen. "Herr Weigl hat uns einen Plan gemacht, aber es ist nicht leicht." Auch bei bürokratischen Aufgaben greifen die Weigls den Ayo-Al Sheikhs unter die Arme. "Dieses Amtsdeutsch ist vollkommen unverständlich", beschwert sich auch Irmgard selbst. Aida lacht. "Ohne dich geht es nicht!" Aber Irmgard winkt ab und betont, dass die Wohngemeinschaft auf Gegenseitigkeit beruhe: Ist das Ehepaar im Urlaub, so kümmern sich ihre Mieter um das Haus und die Katze. "Und dann kommt man heim und wird auch noch mit einem tollen Essen erwartet."

Beim gemeinsamen Essen entwickelte sich im Laufe der Zeit eine Gewohnheit im Haus: "Wenn man oben isst, dann isst man Deutsch, wenn man unten isst, dann isst man Arabisch. Und im Garten wird gemischt gegessen." Weihnachten und Silvester feierten die beiden Familien zusammen, es gab deutsch-arabische Küche und Traditionen aus beiden Ländern. "Dann fangen die Männer zu tanzen an", weiß Georg Weigl mittlerweile. Auch die Großfamilie der Weigls war an den Weihnachtsfeiertagen da, sehr zur Freude der Mieter. Aida zeigt stolz auf ein Babyfoto im Regal, die kleine Enkeltochter der Weigls. Direkt daneben steht ein Foto von Solaiman im Talar. Es zeigt ihn bei seinem Universitätsabschluss in Zahnmedizin 2012 in der Ukraine. Das Bild zeigt nicht nur seinen Erfolg, sondern wird die Familie auch immer an die Zeit erinnern, als der Krieg in ihrer Stadt am schlimmsten wütete.

Solaiman leidet noch sehr unter den Zuständen in Syrien, seine Freundin lebt dort. Das Ehepaar Weigl hat bereits alles versucht, um auch sie nach Deutschland zu holen, doch bis jetzt war alle Mühe vergeblich. "Sie bekommt kein Visum", sagt Solaiman mit traurigem Blick. "Da kann man nichts machen." Doch es ist kein Grund für ihn aufzugeben. Solaiman schätzt seine Chancen, als Zahnarzt in Deutschland arbeiten zu können, als gut ein. Nächstes Jahr möchte er in Deutsch das Sprachniveau C 1 schaffen, um zur Nachprüfung in Zahnmedizin antreten zu können. Für ihn dürfte die Sprachprüfung kein allzu großes Problem sein, der 30-Jährige spricht bereits sieben Sprachen, unter anderem Russisch und Türkisch. "Alles wegen dem Krieg", sagt er. Der einzige Vorteil, den ihm der Krieg brachte.

Die Familie sieht Deutschland mittlerweile als ihre zweite Heimat an: Abdulazis Ayo liebt die "reiche Kultur", das große Angebot an Museen. Und sein jüngster Sohn Dilyar ist stolzer Fan des FC Bayern München. Aida gibt Kochkurse in der Volkshochschule und arbeitete unter anderem ehrenamtlich im Blindeninstitut ihres Sohnes. Das Wort "Integration" bekommt beim Betrachten dieser Familie eine völlig neue Bedeutung, im vergangenen Jahr wurde sie für ihr bürgerschaftliches Engagement mit dem Hermann-Ehrlich-Preis ausgezeichnet. Die Urkunde hüten die Fünf in einer Schublade im Wohnzimmer. Für sie scheint das Einleben in die neue Kultur eine Selbstverständlichkeit zu sein. Vielleicht beschreibt Aida auch deswegen ihre neue Unterkunft nicht nur als "großes Glück", sondern auch als "Chance". Die Chance, ein neues Leben zu beginnen. Die nutzt die Familie jeden Tag.

© SZ vom 20.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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