Wissenschaftliche Reihe:Fantastisch freie Improvisation

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Gudrun Forstner und ihr Orgelkonzert in Heilig Kreuz

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Das Josef-Effner-Gymnasium Dachau bietet innerhalb seiner wissenschaftlichen Reihe ein Orgelkonzert an. Orgelkonzert und Wissenschaft - wie reimt sich das zusammen? An der Orgel in der Pfarrkirche Heilig Kreuz wirkt Gudrun Forstner, die allerdings weit mehr ist als nur eine Organistin; sie besitzt im Konzertfach Orgel ein Diplom und das Meisterklasse-Diplom, ist katholische Kirchenmusikerin mit A-Examen (das ist das höchste Examen und öffnet den Zugang zu den ersten Stellen der Kirchenmusik) und ist obendrein Oberstudienrätin für Musik am Gymnasium. Das deutet über den praktischen Umgang mit Musik hinaus auf Musikwissenschaft.

Gudrun Forstners Programm ist ein Überblick über die Geschichte der Orgelmusik von Georg Böhm, einem der Lehrer von Johann Sebastian Bach, bis zu Flor Peeters, einem führenden Repräsentanten der Orgelmusik des 20. Jahrhunderts. Johann Sebastian Bach ist natürlich sehr gut und vielseitig vertreten, und zwar mit Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564 und einem von Forstners Lehrer Franz Lehrndorfer für Orgel solo bearbeiteten Largo aus einem wenig gespielten Konzert für Cembalo und Orchester, für das Bach selbst ein Violinkonzert eines uns unbekannten Komponisten seiner Zeit bearbeitet hat.

Süddeutsche Orgelmusik darf nicht fehlen und ist mit einer Sonate des Paters Franz Xaver Schnizer aus dem Kloster Ottobeuren vertreten, die allerdings aus einer Zeit stammt (spätes 18. Jahrhundert), die mit genuiner Orgelmusik wenig zu tun hatte. Die kam erst wieder, als Mendelssohn Orgelsonaten sowie Präludium und Fuge nach barocken Vorbildern schrieb. Präludium und Fuge G-Dur op. 37 sind ein beredtes Zeugnis dafür. Nach dem glänzenden und glänzend gespielten Konzertstück op. 52a von Flor Peeters wirkte Mendelssohns Orgelmusik freilich recht harmlos.

Der krönende Abschluss des Programms ist wie bei vielen Orgelkonzerten die "Suite gothique" von Leon Boellmann mit ihrer ungemein effektvollen Toccata. Gudrun Forstner spielt ihr ganzes Programm technisch und stilistisch selbstverständlich einwandfrei; in ihren Registrierungen bevorzugt sie grundtönige Register, was mit stark besetzten Mixturen einen sehr vollen, prächtigen Orgelklang bewirkt, nicht selten das allgemein beliebte sogenannte Brausen der Orgel.

Was an Boellmanns "Suite gothique" gotisch ist oder sein soll, wird auch bei ihrem Vortrag nicht klar, das ist eventuell ein Thema für die Josef-Effner-Gymnasial-Wissenschaft. Gar viel ist von dieser geistesgeschichtlichen Fragestellung nicht zu erwarten, denn von der wahren Musik der Gotik hatte man im 19. Jahrhundert noch keine Vorstellung. Erst am 30. März 1927 führte Rudolf von Ficker, damals Professor für Musikwissenschaft an der Universität München, in der Wiener Burgkapelle zum ersten Male "Musik der Gotik" auf - zum Erstaunen der erschütterten Hörer, einer der großen Tage der Musikgeschichte.

Gudrun Forstners Konzert in Heilig Kreuz aber machte erst die Zugabe groß, ihre fantastische freie Improvisation über die alten katholischen Kirchenlieder "Ave Maria zart" und "Maria zu lieben ist allzeit mein Sinn".

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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