"Wir sind Paul" verabschieden sich aus der Jocherstraße:Paul, Paula, am Paulsten

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An ihrem letzten Tag vor der Schließung präsentiert die Kreativschmiede noch mal ihr ganzes Repertoire

Von Andreas Förster, Dachau

Kurz aber schön. Das ist, auf ein Minimum reduziert, die Quintessenz von "Paul und Paula". Von Juni 2018 bis Januar 2019 brannte ein in der Jocherstraße 8 erdachtes und meistens auch dort ausgeführtes Kreativfeuerwerk nach dem anderen ab: Poesie, Film, Workshops, Künstler- Familien, Kinder und Dinner-Events, Basare, Diskussionen und nicht zuletzt Konzerte. Ein repräsentativer Querschnitt dieser Fülle bestimmte auch die letzten 16 Stunden, bevor nach einer kurzen Nacht alle Möbel ausgeräumt und die Fenster von Aufklebern gereinigt waren. Ein kleiner Trost: Auch die Nachmieter sind kreativ. Die Gruppe aus Architekten und Schreinern wird die Räume als Büro und Showroom nutzen. Mit normalen Öffnungszeiten.

Dass nicht alle Nachbarn mit den abendlichen Veranstaltungen im "Paul und Paula" glücklich waren, ließ sich an den rohen Eiern erkennen, die in der Nacht zum Wochenende an die Türe geworfen worden waren. Natürlich war es nicht immer laut, und auch der Abschied am Samstagabend fiel mit dem Auftritt des talentierten Singer-Songwriter Ben Davidson, der auch schon das erste Konzert im "Paul und Paula" bestritten hat, zunächst eher leise aus. Der Frontmann der Band Kandinsky und Schlagzeuger-Sänger der Grizzlys um den Lokalmatador Sascha Seelemann zeigte, dass er mit seinen nachdenklich melancholischen deutsch-englischen Texten und der rauen Stimme herausragende Solo-Auftritte hinlegen kann. Der finale Paukenschlag aber gehörte dem Dachauer Powerhouse Mama Makes Coffee, das mit einer furiosen Mischung aus Pop, Funk und Soul den krönenden Abschluss bildete.

Ein letztes Mal können die Besucher die Wohnzimmeratmosphäre im "Paul und Paula" genießen - diesmal sogar mit der Live-Musik von "Mama Makes Coffee" um Sängerin Kathrin Birkeneder. (Foto: Andreas Förster)

Die Stunden zuvor hatten den fünf Paulas, also Annika Wenzel (31), Lina (33) und Alice Homann (29), Lena Heilein (31) und Ines Huber (36), noch einmal alles abverlangt: Am Morgen wurden Freunde und die Familien beim Weißwurstfrühstück bewirtet. Die Atmosphäre war locker, fröhlich, aber auch vibrierend, voller Energie. Für die Besucher war spürbar: Hier bin ich als einfacher Gast willkommen, aber ich darf mich von der kreativen Energie auch anstecken lassen. Dazu gab es auch Gelegenheit. So schlossen sich nach einer kurzen Pause kostenlose Workshops an, die von der Do-it-yourself-Expertin Sophie Reusche und der Kunstpädagogin Marion Bommel geleitet wurden. Dazu kamen immer mehr junge Familien mit Kindern. Reusche und Bommel zeigten dem Künstlernachwuchs und seinen Eltern das Gestalten mit Wasserfarben oder einfachen Drucktechniken. Im Nebenraum stellten Alice Homann, Ines Huber und Lena Heilein, Baby Jonte immer im Tragetuch, mit ihren Gästen hautfreundliche Naturkosmetik her. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung, begünstigt durch das von glücklichen Kindern verursachte kreative Chaos. Auch Ines Huber ist vor noch nicht allzu langer Zeit Mama geworden. In der neuen Rolle verschieben sich nun auch so manche Prioritäten.

Annika Wenzel und Lina Homann werden, zusammen mit der Köchin Jenny Stolle, im Juni das Café Glück samt Deli in der Dachauer Altstadt übernehmen. Annika Wenzel nimmt sich dafür eine Auszeit von ihrem Job in einer Marketingagentur. Alice Homann hat sich als Innenarchitektin selbständig gemacht. Ines Huber ist Projektmanagerin in einer Münchner Agentur für Sportkultur, Lena Heilein ist Lehrerin in Elternzeit. Ihrem gemeinsamen Baby "Wir sind Paul" bleiben trotzdem alle treu. Schließlich ist das der kreative Fixstern, mit dem alles begann und um den sich weiterhin vieles drehen wird.

Auf die fünf jungen Frauen von "Wir sind Paul", Lena Heilein, Alice Homann, Annika Wenzel, Ines Huber und Lina Homann (v.li.) warten nun neue Herausforderungen. (Foto: Andeas Förster)

"Paul und Paula" aber ist nun Geschichte. Viel zu schnell verglüht wie eine Kerze, die man an beiden Enden angezündet hat. Aber so war es ja auch gedacht: Der Mietvertrag erlaubte nur eine Zwischennutzung. "Es war eine Zeit des Ausprobierens und intensiven Lernens." Mit diesen Worten verabschieden sich fünf Paulas nun auch von den Fans der Kulturwerkstatt bei Facebook. Sie gönnen sich, zumindest für einige Monate, eine schöpferische Pause. Die Geschichte von "Wir sind Paul" aber geht weiter. Ob es wieder ein Mega-Event wie das White Paper Festival 2017 auf dem MD-Gelände geben wird, für das die fünf den Tassilo-Preis der Süddeutschen Zeitung erhielten, ist ungewiss. Fakt ist, dass die Stadt und der Landkreis Fördergelder zur Verfügung gestellt haben, die eingesetzt werden wollen. Ab Herbst werde man neue Projekte auf die Beine stellen, versichert Annika Wenzel.

Sicher wird es auch im Café Glück das eine oder andere (musikalische) Event geben. Darauf hofft auch Kathrin Birkeneder, die Sängerin von Mama Makes Coffee, deren Rockröhre im Akustik-Set noch besser zur Geltung kam. "Endlich hat es mit einem Auftritt geklappt", freute sie sich. "Jetzt wollen wir auch wiederkommen." Wer die seligen Gesichter von Annika Wenzel und ihren Freundinnen gesehen hat weiß: Das klappt gewiss.

© SZ vom 29.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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