Vor dem Amtsgericht:Und täglich klagt die Nachbarin

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Eine Rentnerin bezichtigt den Hausmeister, als Exhibitionist aufgetreten zu sein. Der Richter hält den Vorfall für frei erfunden.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Als die 76-jährige Karlsfelderin vor dem Amtsgericht Dachau aussagt, steht sie mehrfach auf und demonstriert, was der Angeklagte vor ihren Augen gemacht haben soll. Der 56-jährige Angeklagte schüttelt ungläubig den Kopf. Der Anklageschrift zufolge soll er am Nachmittag des 26. September im Treppenhaus vor der Frau sein Glied entblößt haben, begleitet von der Aufforderung: "Komm schon, komm schon." Nachdem die Rentnerin fünf Tage später bei der Polizei Anzeige erstattet hatte, erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen den Mann - wegen exhibitionistischer Handlungen.

Der 56-jährige Beschuldigte bestreitet die Tat vehement. Seit 23 Jahren wohnt er im Haus und kümmert sich als Hausmeister um alle Belange. Nie habe es Ärger oder Streit mit den Hausbewohnern gegeben. Von der 76-jährigen Rentnerin und deren Ehemann werde er allerdings seit Jahren terrorisiert. "Für alles was kaputt ist, bin ich schuld. Die wollen mich und meine Familie fertig machen." Schließlich weist der Angeklagte darauf hin, dass er von der Frau schon einmal angezeigt worden sei, wegen einer angeblichen Körperverletzung. Vor fünf Jahren habe er außerdem von seinem Vermieter eine Räumungsklage erhalten: Die Rentnerin hatte behauptet, der Hausmeister - dem sie nur den Titel "Hauswart" zubilligen will - habe gedroht, ihren Mann umzubringen. In beiden Fällen scheiterte die Klage.

Nachbarn zeichnen von der Rentnerin ebenfalls das Bild einer Frau, die keine Gelegenheit auslässt, ihre Mitbewohner anzuschwärzen. "Sie ist Tag und Nacht unterwegs, spioniert, kontrolliert und steht hinter Türen und horcht", sagt ein Wohnungseigentümer. Er selbst sei auch bereits mehrfach angezeigt worden, jedes Mal wurde das Verfahren eingestellt. Dem Vorsitzenden Richter Lukas Neubeck ist das klagewütige Ehepaar bestens bekannt. Er bestätigt, dass das Duo bereits viele Gerichtsprozesse gegen andere Wohnparteien bemüht habe - jedes Mal ohne Erfolg. Als Neubeck die jüngste Strafakte vorgelegt wurde, schickte er sie der Staatsanwaltschaft zur nochmaligen Überprüfung, mit dem Hinweis, er vermute einen "erheblichen Belastungseifer".

Bei Gericht schildert die Frau die angebliche Belästigung weitaus harmloser, als sie es der Polizei erzählt hatte. Auf Nachfrage des Staatsanwalts, räumt sie ein, den 56-Jährigen gar nicht entblößt gesehen zu haben, der Mann habe lediglich mit geöffneter Hosentür an sich herumgefummelt und sich ihr dabei genähert. Der Tatvorwurf ist damit nicht mehr zu halten. In seinem Plädoyer kommt der Vertreter der Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass keine exhibitionistische Handlung vorgelegen habe. Er fordert Freispruch, zumal auch er einen erheblichen Belastungseifer bei der Frau zu erkennen glaubt. "Dafür spricht auch ihr sonstiges Verhalten in der Hausgemeinschaft". Richter Neubeck erteilt einen "Freispruch erster Güte", wie er es selbst formuliert. "Ich bin überzeugt, dass es diesen Vorfall nie gegeben hat. Das ist schlichtweg in keiner Weise vorstellbar."

Nach dem Urteil atmet die Tochter des Angeklagten auf. Ihr Vater habe im vergangenen Jahr einen Herzinfarkt erlitten. "Der ständige Ärger belastet ihn psychisch sehr."

© SZ vom 03.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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