Völkerwanderung:Dachauer Forum distanziert sich von rechten Thesen

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Der Eröffnungsredner zum neuen Veranstaltungsjahr bringt die Einrichtung in Erklärungsnot. Sie muss sich politisch deutlicher positionieren, als ihr lieb ist.

Von Viktoria Großmann, Dachau

Im Dachauer Forum herrscht Entsetzen über den Eröffnungsvortrag zum neuen Veranstaltungsjahr. Geschäftsführerin Annerose Stanglmayr ist bemüht, das Ansehen des Forums zu retten, und distanziert sich nun deutlich von den Thesen des Referenten vom Dienstagabend. Eingeladen war der Biologe und Ökologe Josef Reichholf, der über das Thema Völkerwanderung und den menschlichen Einfluss auf die Umwelt sprach. Im Anschluss holte der pensionierte TU-Honorarprofessor zu populistischen politischen Äußerungen aus, sprach dem Islam seine Daseinsberechtigung ab und erklärte, dass eine Demokratie einer Zuwanderung wie sie derzeit geschehe, nicht standhalten könne, sondern zu einer Diktatur führen müsse.

"Wir sind weder partei- noch tagespolitisch"

"Das hat mich geschockt", sagt die Geschäftsführerin des Dachauer Forums Annerose Stanglmayr. Sie ist zugleich Mitglied im Helferkreis für Flüchtlinge in Odelzhausen. Am Tag nach dem Vortrag berief sie eine Krisensitzung ein. "Seine politischen Äußerungen waren alles andere als in unserem Sinne", sagt Stanglmayr. "Ich distanziere mich klar davon." Das soll nun auch an alle Teilnehmer im Seniorenstudium und andere Besucher der Veranstaltungen der katholischen Erwachsenenbildungsstätte kommuniziert werden. "Wir sind weder partei- noch tagespolitisch", sagt die Geschäftsführerin.

Doch darum, Position zu beziehen, kommt das Forum nun nicht mehr herum. Von einem "primitiven, populistischen, rechtsorientierten Pamphlet" spricht Veronika Winkler, Leiterin des Seniorenstudiums. "Er hat Angst erzeugt." Stangl-mayr nennt es "unseriös", wie der Redner angebliche wissenschaftliche Fakten und Meinung vermischte. Die beiden Frauen wollen nun angeknackstes Vertrauen reparieren. Mit ihren deutlichen Aussagen werden sie voraussichtlich ebenfalls manchen vergrätzen. Denn es hat aus dem Publikum nicht nur Widerspruch, sondern auch Zuspruch und Unterstützung für den Zoologen gegeben. Dabei hat das Forum auch bisher Haltung gezeigt: Auf die Ankunft von Flüchtlingen im Landkreis und die Bildung von Helferkreisen reagierte man mit Schulungsangeboten für Freiwillige. Sie können sich etwa zum Thema Sprachvermittlung fortbilden. Besonderen Wert legt das Forum auf interkulturelle Vermittlung, so gibt es auch einen Grundkurs Islam.

Der Referent ist für streitbare Thesen bekannt

Warum überhaupt einen Ökologen zum Thema Völkerwanderungen referieren lassen, statt eines Historikers? Das sei dem diesjährigen Seminarschwerpunkt Naturschutz geschuldet, erklärt Stangl-mayr. "Seine Einschätzung zur aktuellen Migrationsbewegung haben wir nicht angefragt", sagt sie. Reichholfs populistische Äußerungen "waren gar nicht abzusehen", sagt Winkler. Zerknirscht räumen beide ein, sich nicht genügend über den Referenten informiert zu haben. Man habe einer persönlichen Empfehlung vertraut. Reichholf hat früher für die Zoologische Staatssammlung und die Ludwig-Maximilians-Universität gearbeitet, war Präsidiumsmitglied des World Wide Fund for Nature, ist Autor zahlreicher Bücher und für streitbare Thesen bekannt. Allerdings zu Themen wie den Auswirkungen des Klimawandels.

In seinen Büchern befasst er sich immer wieder mit der Evolution. Ein regelmäßig vom Forum angebotenes Seminar heißt "Entstehung von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit". Stanglmayr und Winkler fragen sich, was bei ihrem Referenten dazu geführt hat. Vor einem Jahr haben sie auch dem guten Ruf ihres Gastes vertraut und wurden nicht enttäuscht. Rupert Neudeck, Mitgründer der Flüchtlingshilfsorganisation Cap Anamur, sprach im Adolf-Hölzl-Haus. Es war einer sehr letzten Auftritte: der Aktivist starb im Mai.

"Es wird nie wieder vorkommen", sagt Winkler, "dass wir einen Referenten einladen, ohne uns vorher genau zu informieren, was der macht, was er tut, wofür er steht." Eine Unsicherheit werde von nun aber immer bleiben, sagt Stanglmayr. Wofür das Dachauer Forum steht, wollen die beiden nun umso deutlicher kommunizieren, nach innen und außen. "Wir wollen aufklären, wir wollen offen sein, wir wollen Ängste nehmen", sagt Stanglmayr. Und Winkler ergänzt: "Wenn es uns gelingt, die demokratischen Kräfte zu stärken, dann haben wir eine Chance."

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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