Violinen der Hoffnung:Ein bewegendes Spiel

Lesezeit: 4 min

Auf dem Konzert "Violinen der Hoffnung" begeistert das Ensemble "Villa musica" mit zwei Geigensolisten aus Israel und Holland im Dachauer Schloss mit einem berührenden Auftritt. Das Publikum applaudiert mit Standing Ovations

Von Christiane Bracht, Dachau

Heiter, ja fröhlich klingen die Geigen. Sanft entführen sie die Zuhörer in eine andere Welt - eine freie schöne Welt. Die Melodie plätschert leicht dahin. Jeder Anflug von Spannung oder Dramatik löst sich sofort wieder auf. Es ist wie im Traum. Die Ouvertüre von Franz von Suppés "Dichter und Bauer" passt zum prunkvollen Ambiente des Wittelsbacher Schlosses und den kunstvollen Griseillemalereien. Doch zu den Baracken eines Konzentrationslagers, zu Grausamkeit und den unmenschlichen Bedingungen, die dort herrschten? Es ist kaum vorstellbar. Und doch: Genau diese Musik ist im KZ Dachau seinerzeit gespielt worden. Von Häftlingen, die in Dachau litten. Bei Regen, Schnee und Eis hielten sie ihre Geigen in der Hand, ausgemergelt und krank trotzten sie den Bedingungen und zauberten die schönsten Melodien hervor. Melodien wie die von Franz von Suppé. "Das zeigt die Absurdität und Brutalität", sagt Professor Alexander Hülshoff noch immer schwer beeindruckt, von den Aufzeichnungen, die man im Archiv der Gedenkstätte gefunden hat.

Geigen aus der Werkstatt von Amnon Weinstein. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Musik im KZ hat eine große Geschichte", sagt er den etwa 400 Zuhörern, die im Tanzsaal des Dachauer Schlosses am Sonntagabend erwartungsvoll zur Bühne schauen. Hülshoff spielt an diesem Abend mit dem Ensemble "Villa musica" und zwei herausragenden Geigensolisten aus Israel und Holland, Loka Salzmann und Gil Sharon. Anders als sonst streichen die beiden diesmal nicht über die Saiten ihrer eigenen Violinen, mit denen sie schon unzählige Konzerte gegeben haben. Sharon hat die Geige von Zvi Haftel, dem ersten Konzertmeister des Palestine Orchestra, zwischen Kinn und Schulter geklemmt. Haftel hatte nach dem Machtergreifen der Nazis seine Anstellung in einem deutschen Orchester verloren. Bald darauf war er dem Ruf des polnischen Geigers Bronislaw Huberman nach Palästina gefolgt. Seine Geige gab er Moshe Weinstein, dem ersten Geigenbauer in Israel. Haftel wollte sie nicht mehr haben, um nicht mehr an die schlimme Zeit erinnert zu werden. Sein Instrument ist nun nicht nur eine der besten in der Sammlung "Violinen der Hoffnung", sondern auch eine der ersten. "Es ist schwer zu erklären, aber es ist ein ganz anderes Gefühl, auf dieser Geige zu spielen", sagt Sharon. Die Geschichte, sie spielt mit - auch bei den anderen Geigern des Ensembles. Sie alle haben an diesem Sonntag eine Violine aus Weinsteins Sammlung in der Hand. Salzmann spielt auf der Geige, die Moshe Weinstein ein Leben lang begleitet hat. Avshalom Weinstein, Moshes Enkel, hat sie dem großen Solisten des Israel Philharmonic Orchestras gegeben. "Er ist auch aus Vilnius, wie mein Großvater", erklärt der Geigenbauer. Salzmann weiß diese Geste zu schätzen: "Sie hat einen sehr schönen Klang", lobt er das Instrument.

Nitzan Bartana, eine junge Nachwuchs-Geigerin aus Israel, hat sich die sogenannte Auschwitz-Geige für dieses Konzert ausgesucht. Ein jüdischer Musiker (sein Name ist nicht bekannt) hatte das Instrument im Männerorchester des Lagers gespielt. Ihm hat es das Überleben gesichert. Doch nach der Befreiung verkaufte er die Geige für 50 Dollar. "Es ist mir eine Ehre, sie spielen zu dürfen", sagt Bartana. Auch sie findet es sehr berührend, dem Instrument hier in Dachau eine Stimme und damit auch Persönlichkeit zu geben. "Musik hat einen starken Einfluss." Und genau das wird in dem Konzert deutlich.

Ein bewegender Moment: Sonja Beker übergibt die Geige ihres Vaters an Assaela und Avshalom Weinstein. (Foto: Niels P. Joergensen)

"Es gab die Zwangsmusik", erinnert Hülshoff. Deutsche Lieder, die die Gefangenen auf ihrem Weg zur Zwangsarbeit singen mussten. "Und es gab Abendkonzerte in privater Atmosphäre." Nach den handgeschriebenen Konzertprogrammen hat Hülshoff die Stücke für das "Violinen der Hoffnung"-Konzert ausgesucht: ein langsames Adagio sehr stimmungsvoll vom Quartett der Villa musica vorgetragen. "Ein sehr früher Beethoven, der schon große menschliche Tiefe in der Musik zeigt", erklärt der Leiter des Ensembles. Lebendig, leicht und mitreißend spielen die Streicher die kleine Nachtmusik von Mozart, dann changiert das Ensemble wieder zu einer langsamen, getragenen Melodie, den Träumereien von Schumann. Fast schon folkloristisch kommt dann Dvoraks Allegro moderato mit seinem heiteren Duktus in der Melodieführung daher. Das Publikum ist begeistert, ja hingerissen vom virtuosen Spiel der Musiker.

Professor Alexander Hülshoff leitet ins Konzert ein. (Foto: Niels P. Joergensen)

Besonders als die Streicher das "Dachau-Lied" anstimmen. Es zeugt vom Überlebenswillen der Häftlinge. Zipper hat es für zwei Gitarren und eine Geige komponiert und den Musikern mündlich beigebracht, erklärt Hülshoff. Auch der Texter studierte seine Zeilen des Widerstandslieds mündlich mit den Gefangenen ein. Erst nach der Befreiung wurde es aufgeschrieben, berichtet Hülshoff.

Als Nitzan Bartana der Auschwitz-Geige das Solo von Ernest Blochs Suite "Nigun" entlockt, wird die Atmosphäre im Saal immer emotionaler. Die Dachauer sind so hingerissen von ihrem Spiel. Sie rufen "Bravo" und geben ihr Standing Ovations - minutenlang. Auch das Oktett von Felix Mendelssohn Bartholdy ist ein grandioser Abschluss des Konzerts - auch wenn es so nie in einem KZ gespielt wurde. Mendelssohn Bartholdy war Jude und seine Werke verboten. Das ganze Ensemble wird mit Standing Ovations belohnt und gibt noch eine Zugabe.

Es ist ein ganz besonderer Abend. Auch Avshalom Weinstein und seine Mutter Assaela, die anfangs einführend über ihre Geschichte und das Projekt "Violinen der Hoffnung" gesprochen haben, sind glücklich. "Es ist herzerwärmend. So viele Gefühle an diesem Ort", sagt Avshalom. "Es ist sehr gut, dass wir gekommen sind."

Die Geschichte schwingt mit, wenn Nitzan Bartana ihren Bogen über die Violine der Hoffnung gleiten lässt. (Foto: Niels P. Joergensen)

Sonja Beker nutzt die Gelegenheit und überreicht im Rahmen des Konzerts mit Tränen in den Augen den Weinsteins die Geige ihres Vaters. Ein wenig traurig ist sie, dass Amnon Weinstein, der Initiator des Projekts "Violinen der Hoffnung" nicht da sein kann, um sie persönlich entgegen zu nehmen. Er liegt krank zu Hause im Bett. "Ich fühle meines Vaters Stimme und Seele in der Geige", sagt Sonja Beker, als sie gefragt wird, warum sie sich zu diesem Schritt entschlossen hat. Beker wünscht sich nichts mehr, als dass die Violine ihres Vaters, Max Beker, wieder gespielt wird. "Er wurde in den ersten Wochen des Kriegs 1939 festgenommen und kam in mehrere Strafgefangenenlager", erzählt sie.

Herausragender Geigensolist aus Israel: Loka Salzmann. (Foto: Niels P. Joergensen)

Zuletzt war er in Memmingen inhaftiert. "Er war ein Geiger ohne Geige", sagt die Amerikanerin. Doch im Lager fand er jüdische Freunde, die ihr gesamtes Geld zusammenlegten, um ihm mit Hilfe eines Mittelsmanns eine Violine zu kaufen. Und so spielte ihr Vater von da an im Orchester mit französischen Musikern und einem belgischen Dirigenten. Als der Krieg zu Ende war, nahm Beker die Geigen mit sich, er kam ins Displaced-Persons-Lager in St. Ottilien, wo er Sonja Bekers Mutter, eine Pianistin, kennen lernte. Auch dort spielte er im Orchester. Später emigrierten die beiden in die USA. Avshalom Weinstein hat Sonja Beker versprochen, die Geige zu reparieren und Ende März in Tennessee bei einem Konzert erklingen zu lassen. "Ich werde da sein", sagt Sonja Beker strahlend.

© SZ vom 20.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: