Vierkirchen:Sozialwohnungen für die Natur

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Vierkirchen will eine ökologische Gemeinde sein und bietet deshalb Tieren eine besondere Heimstatt. Etwa einen Turm für Fledermäuse und eine Wohlfühloase für Bienen und Insekten. Auch die 109 Biotope werden saniert

Von Benjamin Emonts, Vierkirchen

Natur und Kommunalpolitik liegen schnell im Widerstreit der Interessen, wenn es beispielsweise um den Ausbau von Wohngebieten geht, wenn ein Unternehmen sich ansiedeln will oder eine Straße errichtet werden soll. Aber in Vierkirchen beanspruchen Bürgermeister Harald Dirlenbach (SPD) und der gesamte Gemeinderat für sich, nicht nur Menschen, sondern auch zahlreichen Tieren eine Heimat zu bieten.

Fledermausturm

Am Naturbad, vor allem aber am Kirchturm werden immer wieder Fledermäuse gesichtet. Weil sie im Kirchturm aber auch so manchen Schaden hinterlassen, wollen sie die Vierkirchner umsiedeln. Eine Immobilie steht in der Sandbergstraße bereits parat und wurde umfangreich saniert. Einige Handwerker aus der Umgebung und die Ehrenamtlichen aus der Vierkirchner Rentnerband haben einen Turm, der einst als Trafo-Station diente, umgebaut. Die Bauherren sagen selbstbewusst, dass er genau nach dem Geschmack der Nachttiere ist.

So wurden in die Fassade kleine runde Öffnungen als Einfluglöcher eingelassen. Das marode Dach wurde komplett erneuert. Im Innern können sich die Tiere kopfüber an Balken und Bretter hängen. Hinter eine Holzverkleidung im oberen Bereich des Turmes können die Tiere fliegen und sich aufhalten. "Der Turm ist als Kinderstube bestens geeignet", sagt Bürgermeister Dirlenbach und rechnet damit, dass sich die Säugetiere in dem Turm prächtig vermehren werden. Die Jugendgruppe des Bund Naturschutz wird die Fassade des Fledermausturms noch gestalten.

Der Fledermausturm in Vierkirchen ist bald fertig. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Vierkirchner sind jedenfalls glücklich, dass sie eine sinnvolle, zumal tierfreundliche Funktion für ihre vom Abriss bedrohte Trafo-Station gefunden haben. Die feierliche Einweihungsparty, zu der zahlreiche Fledermäuse und auch Mauersegler erwartet werden, soll im kommenden Frühjahr steigen. Bürgermeister Dirlenbach humorvoll: "Wir betreiben sozialen Wohnungsbau für Fledermäuse."

"Vierkirchen summt"

"Wenn es keine Bienen mehr gäbe, gäbe es auch bald keine Menschen mehr", sagt Bürgermeister Dirlenbach gebetsmühlenartig auf jeder Bürgerversammlung. Auch auf seine Initiative hin hat sich die Gemeinde im vergangenen Jahr gemeinsam mit örtlichen Imkern, dem Bund Naturschutz sowie Obst- und Gartenbauvereinen deshalb das Projekt "Vierkirchen summt" auferlegt. Sie ist die bislang einzige Kommune des Landkreises, die an der landesweiten Aktion zugunsten von Bienen und Insekten teilnimmt, worauf Dirlenbach hörbar stolz ist und sich dementsprechend einige Nachahmer im Landkreis wünscht. Das erklärte Ziel der Initiative lautet, den Bienen und heimischen Insekten wieder Lebensräume zu schaffen, in denen sie ganzjährig Nahrung finden.

An diesen mangelt es mittlerweile gerade in ländlichen Regionen, in denen überwiegend Monokulturen wachsen. Auf privaten wie öffentlichen Flächen, beispielsweise vor dem Rathaus, wurde spezielles Saatgut ausgebracht, damit dort Pflanzen wie Kamille oder Mohn wachsen, die Bienen und Insekten besonders reichhaltige Nahrung bieten. Eine große Futterwiese ist aktuell am Vierkirchner Jugendplatz im Entstehen.

Mit einem Totholzhaufen, einer Benjeshecke, einem Insektenhotel und einem Steinhaufen soll für die Insekten hier eine nahrungsreiche und Schutz spendende Wohlfühloase entstehen. Die genaue Funktion ihrer einzelnen Elemente wird auf einer Infotafel erklärt.

Für Insekten gibt es bereits kleinere Hotels. (Foto: Niels P. Joergensen)

Den Vierkirchner Bürgern wurde außerdem geeignetes Saatgut für ihre Gärten verteilt. "Wenn jeder in seinem Garten nur einen Quadratmeter im Sinne dieses Projekts gestalten würde, hätten wir die größten Probleme bereits beseitigt", sagt Bürgermeister Dirlenbach. Projektleiter und Hauptamtsleiter Florian Wisent ist mit dem bisherigen Verlauf des Projekts sehr zufrieden. Bei den Bürgern sei ein Bewusstsein für die im Spätsommer beginnende Nahrungsknappheit der Insekten geschaffen worden. "Man merkt, dass bereits ein Umdenken stattgefunden hat."

Master-Biotop-Plan

Ein Masterplan, den der Umweltbeirat der Gemeinde ausgearbeitet hat, sieht vor, in den kommenden zehn bis zwölf Jahren einen Großteil der 109 Biotope in Vierkirchen auf Vordermann zu bringen. Elf der 109 Biotope hat der Umweltbeirat nun bereits ausgewählt, um sich zeitnah darum zu kümmern. Es sollen dort witterungsbeständige Schilder angebracht, Bäume und Sträucher geschnitten beziehungsweise neu gepflanzt und die Grundstücksgrenzen der Biotope klar herausgearbeitet werden. Hasen, Wildbrüter und andere kleine Tiere sollen dadurch eine höhere Lebensqualität und ein beständigeres Nahrungsvorkommen bekommen. Wichtig dabei ist, dass die Paten der Biotope - überwiegend Landwirte - die Schnittzeiten einhalten, damit der Lebensraum und das Dasein der dort lebenden Tiere geschützt wird. "Eine erste Veranstaltung mit den Paten erfreute sich bereits positiver Resonanz", so Hauptamtsleiter Wisent. Pro Jahr will sich die Gemeinde zehn Biotope vornehmen.

Vor allem hoffen die Vierkirchner, dass sich ihr Wahrzeichen, die Trauerweide am Friedhof, wieder erholt, nachdem sie arg gestutzt wurde. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sorgen um Bäume

Zahlreiche Birken im Gemeindegebiet sind - begünstigt durch die hohe Luftfeuchtigkeit in diesem Jahr - von Pilzen und Bakterien befallen. Prominentestes Opfer ist das markante Exemplar vor dem Rathaus auf der Schaufläche für Insekten. Es bestehe "keine Chance auf Rettung", bedauert Bürgermeister Dirlenbach. Und damit nicht genug: Unzählige Weiden sind zudem mit dem Feuerbrand infiziert, einer gefährlichen Pflanzenkrankheit, die sich seuchenartig schnell verbreitet.

Wobei Hauptamtsleiter Wisent beschwichtigt, dass diese Gefahr nicht in der jetzt herrschenden Jahreszeit bestehe. Trotzdem komme die Gemeinde nicht umhin, schätzungsweise 50 Bäume in den kommenden Monaten zu fällen, was das Ortsbild an einigen Stellen "verändern wird". Bürgermeister Dirlenbach aber sagt: "Es besteht dringender Handlungsbedarf." Betroffen sind auch Weiden und Birken, die den Ast- und Gehölzweg säumen, der erst zur Bundesgartenschau 2005 in München angelegt wurde. Die gefällten Bäume sollen nur teilweise durch Neupflanzungen ersetzt werden. Etwa 20 Bäume entlang des Rettenbachs werden wohl keine Nachfolger bekommen. "Es wird nur dort ersetzt, wo es auch sinnvoll und notwendig ist." Gute Nachrichten gibt es von der ortsbildprägenden Trauerweide vor dem Friedhof, dem Wahrzeichen Vierkirchen. Bürger kritisierten, dass die Weide übermotiviert zurecht gestutzt worden sei. Dirlenbach verkündet nun freudig: "Es sind schon wieder Blätter und eine kleine Krone zu sehen."

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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