Verwegene Pläne:Dachaus schönste Luftschlösser

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Neubaugebiete, Nachverdichtung und Sanierung: Derzeit wird überall im Landkreis emsig gebaut. Doch viel interessanter sind oft die Projekte, die nicht realisiert wurden, weil sie zu teuer, zu groß oder schlichtweg zu kühn sind. Zehn Beispiele

Von Gregor Schiegl, Dachau

Dong! Dong Dong! In der Dachauer Altstadt ist ein wahrer Bauboom ausgebrochen: Koschade-Klinik, Café Glück, Hörhammer-Bräu, Rössler-Anwesen, überall wird gehämmert, gebohrt und gemauert. Doch das große Werkeln täuscht darüber hinweg, dass viele Bauprojekte in Stadt und Landkreis sang- und klanglos in Schubladen verschwunden sind, darunter einige höchst ambitionierte Projekte. Einige davon erscheinen aus heutiger Sicht recht kühn und verwegen, manchmal sogar ein wenig gaga. Doch ist es nicht ermutigend, wenn Kommunalpolitiker und Planer auch immer mal wieder Mut beweisen, Architektur und Städtebau neu zu denken, groß und schillernd? Ein herbstlicher Rundgang durch nie gebaute Luftschlösser aus Stadt und Landkreis.

Ampelhaus für Singles

Der Bauunternehmer Hans Hartl war schon immer ein Mann aufsehenerregender Visionen. Warum nicht mal eine neuartige kommunikative Wohnform für Singles schaffen, dachte sich der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete in den Neunzigerjahren. Was ihm vorschwebte, war ein "Ampelhaus". Die Bewohner sollten per Lichtsignal an der Zimmertür ihre Bereitschaft zur Kommunikation anzeigen. Realisiert wurde die Idee nie. Heute dürfte sie noch weniger Aussicht auf Erfolg haben: Kommunikations- und Paarungsbereitschaft signalisiert der moderne Single heute online per Facebook und Tinder.

Rolltreppe in die Altstadt

Dachau liegt auf einem Ausläufer der Münchner Schotterebene, die Landschaft ist hier eben wie ein Brett. Nur die Altstadt trohnt auf einem Berg, zu erklimmen über den steilen Karlsberg oder die 96 Stufen der Martin-Huber-Treppe. Andere bergige Städte wie das italienische Siena haben Aufzüge und Rolltreppen, um den Bewohnern das ewige Treppensteigen zu ersparen. Auch in der Großen Kreisstadt wird die Idee schon seit mehr als 30 Jahren immer wieder einmal diskutiert. Technisch möglich wäre es: Der Bauausschuss des Stadtrats hat die Idee vor zwei Jahren noch einmal geprüft. Allerdings würde ein solches Projekt eine zweistellige Millionensumme verschlingen, von 10 bis 15 Millionen Euro ist die Rede.

Castello Massimo

Für ein Entwurfsseminar schufen Studenten der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar 1995 ein visionäres Konzept, nämlich den geografischen Höhepunkt der Stadt am Schlossplatz auch zu einem kulturellen Höhepunkt auszubauen. Nach dem Vorbild der Villa Massimo in Rom sollte eine Stiftung für junge Künstler eingerichtet werden, mit großzügigen Räumen zum Arbeiten und für Ausstellungen. Das Amtsgericht hätte allerdings für einen "mediterranen Schlossberg" weichen müssen, der bis hinunter zur Altstadt reicht. Mauern sollten die sechs breiten terrassenartig angeordneten Ebenen trennen und südländisches Flair in Dachau verbreiten. Was man nicht alles könnte, wenn man wollte. Und dürfte!

Kulturviertel am Mühlbach

2001 legte Peter Bürgel, damals noch OB-Kandidat der CSU, eine "Vision" für die Dachauer Stadtentwicklung vor: ein Kulturzentrum am Fuß des Schlossbergs, das zusammen mit einer Tiefgarage unter dem Schlossplatz eine "Klammer zwischen Oberem und Unterem Markt" bilden sollte. Erste Entwürfe dafür lieferte das Dachauer Architektenpaar Dorothea Voitländer und Konrad Deffner. In der Brunngartenstraße sollte ein Kulturviertel mit Stadthalle, Museum und Tagungszentrum entstehen, ein Skulpturengarten am Mühlbach und mehrere Höfe und Foyers. Nicht weniger als eine "Kunsthalle von internationalem Rang" sollte her, vergleichbar dem Buchheim-Museum am Starnberger See. Seitdem die Papierfabrik ihren Betrieb aufgegeben hat, konzentrieren sich die Pläne der Stadt auf das neue Areal, die Industriebrache am Fuße der Altstadt - mit einem Jugendkulturzentrum und einem Museumsforum samt Industrie- und Arbeitermuseum.

Barbecue im Wasserturm

Die einen finden ihn schön, die anderen, würden ihn lieber heute als morgen abreißen: Der Wasserturm auf dem Gelände der früheren Papierfabrik, Baujahr 1951, ist ein Industriedenkmal, aber teuer im Unterhalt und heute ohne praktischen Nutzen. Vor drei Jahren hat sich der Dachauer Architekturstudent Florian Alexander Fuchs ein Nutzungskonzept überlegt und dazu ein Modell für seine Bachelor-Arbeit an der Akademie der Bildenden Künste angefertigt. Seine Idee: ein Barbecue-Restaurant mit offenen Grills und Räucheröfen nach amerikanischer Art. Der Gastraum soll auf 310 Quadratmetern im Sockelgebäude Platz finden. Bei gutem Wetter könnte man das Dach als Terrasse nutzen. Nach dem Essen (oder auch vorher) könnten die Gäste auf den Wasserturm hinaufsteigen oder mit dem Aufzug fahren und von dem 31 Meter hohen Gebäude die Aussicht auf die Dachauer Altstadt genießen und dazu einen kühlen Drink nehmen. Das Gastrokonzept wäre einzigartig im weiten Umkreis.

Einkaufsbahnhof

Erst vor wenigen Monaten vom Tisch gewischt wurden Pläne der Deutschen Bahn, aus dem Dachauer S-Bahnhof eine "attraktive, moderne Mobilitätsdrehscheibe" zu machen. Gemeint war damit eine Art Einkaufsbahnhof. Auf 4200 Quadratmetern sollten Verkaufsflächen für einen Supermarkt, eine Drogerie und Bekleidungsgeschäfte entstehen, außerdem Dienstleister wie Friseur, Blumenladen oder Cafés. Das will die Stadt aber schon aus Rücksicht auf den örtlichen Einzelhandel nicht. Was nicht heißt, dass alles so bleiben soll, wie es ist: Der Busbahnhof am Vorplatz ist viel zu eng, die Verkehrssituation unbefriedigend. Das Areal soll deshalb komplett überplant werden. Ginge es nach dem Stadtrat und Bauunternehmer Wolfgang Moll, würde das alte Bahnhofsgebäude abgerissen und neu gebaut - modern und sehr viel größer. Allerdings zeigen Umfragen unter Bürgern, dass viele an dem alten Bahnhofsgebäude hängen, auch wenn er wahrlich kein Schmuckstück ist.

Glasturm Hörhammer

Für das Kaufhaus Hörhammer legten die neuen Besitzer im Jahr 2007 ambitionierte Pläne vor: Das Berliner Architektenbüro Gewers, Kühn und Kühn, das auch das Marstallgelände an der Maximilianstraße in München entworfen hat, schlug vor, den Monolithen in vier Stadthäuser umzuwandeln. Außerdem sollte das gesamte Gebäude in die Höhe gezogen werden. Diese "große Lösung" erschien manchen in der Stadt eine Nummer zu groß. Gegenwind bekam das Projekt vor allem vom Architekturforum Dachau, das davor warnte, die Altstadt zur "Staffage für ein Kaufhaus" zu degradieren. Untermauert wurde die Warnung mit einer Simulation, die einen riesigen Kasten aus Stahl und Glas zeigte, der zwar nicht den Kirchturm von Sankt Jakob überragte, aber doch den Dachfirst des Kirchengebäudes. Dass sich die Darstellung später als übertrieben erwies, weil man darin Höhen und Proportionen durcheinandergebracht hatte, änderte auch nichts mehr: Dem Zehn-Millionen-Euro-Projekt brandete schon so viel Ablehnung entgegen, dass es abgeblasen wurde.

Hochhaus am Prinzenpark

Von ganz andere Dimensionen als das vergrößerte Hörhammer-Kaufhaus waren Pläne in der Nachbargemeinde Karlsfeld: Dort ging der Energieerzeuger Eon im November 2001 mit den Ergebnissen eines Ideenwettbewerbs für sein Areal am Prinzenpark an die Öffentlichkeit. Ein 110 Meter hoher Büroturm sollte das zukünftige Wahrzeichen Karlsfelds westlich der Bahn sein. Bis zu 3000 Arbeitsplätze hätten auf dem Teil des ehemaligen Bayernwerkgeländes angesiedelt sein, der gewerblich - und das heißt vor allem für Büros, aber auch für Geschäfte - genutzt werden sollte. Der Entwurf der Münchner Architektin Ulrike Lauber und ihres Projektleiters Manfred Walter sah rund 100 000 Quadratmeter gewerbliche Geschossflächen vor. Doch der Energieerzeuger gab seine Pläne für einen zentralen Standort in Karlsfeld auf und verkaufte das Gelände. Inzwischen stehen dort zahlreiche Wohnhäuser und ein 127 Meter langer Komplex, der auch irgendwie Leuchtturmcharakter hat: Er gilt als eine der größten Anlagen für betreutes Wohnen in ganz Bayern.

Lichtkreisel Indersdorf

Auf der kanarischen Vulkaninsel Lanzarote dienen Kreisverkehre auch der Kunst: Fast überall sieht man Stelen und Skulpturen des Bildhauers César Manrique. Auch der Kreisverkehr am Indersdorfer Gewerbegebiet wäre fast große Kunst geworden. Im Zentrum des Kreisels sollten bewegliche Stelen die 59 Ortsteile der Gemeinde symbolisieren. Nachts wären sie beleuchtet gewesen, eine Art leuchtende Visitenkarte für Indersdorf. "Das war eine tolle Idee", sagt Klaus Mayershofer, Geschäftsleiter im Rathaus Indersdorf, auch im Gemeinderat war die Resonanz zunächst durchweg positiv. Doch die praktische Umsetzung erwies sich als aufwendiger und teurer als angenommen, immer mehr Unterstützer gingen von der Fahne. Am Ende reichte der politische Wille im Gremium nicht mehr, das Vorhaben umzusetzen.

Karlsfelder Schwebebahn

Wie eine elegante Brücke über die S-Bahn-Gleise verläuft die Strecke einer Karlsfelder Schwebebahn, ähnlich wie ein Wuppertal, Haltestellen sind Olching und Hebertshausen. Skizziert hat das Verkehrsprojekt der Künstler und frühere SPD-Kommunalpolitiker Wolfgang Seehaus. In den Neunzigerjahren gab es von der Karlsfelder SPD den Vorschlag einer "Hängebahn" nach Feldmoching. Jetzt erlebt die Idee ein Revival: Der Dachauer Stadtrat will eine Machbarkeitsstudie für eine Seilbahn von Dachau nach Moosach oder Feldmoching in Auftrag geben.

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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