Verabschiedung bei Helios:Mediziner mit Leib und Seele

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Horst-Günter Rau war ein Pionier der Organtransplantation, baute die Gefäßchirurgie in Dachau aus und gründete das Krebszentrum am Helios Amperklinikum. Jetzt verabschiedet sich der Ärztliche Direktor in den Ruhestand - ganz zurückziehen wird er sich nicht

Von Christiane Bracht, Dachau

Andere schauen zurück, wenn sie Abschied nehmen, schwelgen in Erinnerungen und freuen sich auf ihre freie Zeit im Ruhestand, träumen von Urlauben und viel Ruhe. Bei Professor Horst-Günter Rau ist das anders. Der ärztliche Direktor der Helios Amperkliniken Dachau und Markt Indersdorf schaut nach vorne. Schlechte Schlagzeilen hatte das Krankenhaus in letzter Zeit genug, das weiß er nur zu gut. Deshalb nutzt er jetzt die Gelegenheit und präsentiert mit viel Verve eine bunte Broschüre, in der auf 71 Seiten die Privatklinik als anerkanntes Krebszentrum dargestellt ist. "Ich denke, wir machen ordentliche Medizin", sagt er zufrieden. Das Krebszentrum hat Rau vor zehn Jahren selbst aufgebaut. Es ist sein Lebenswerk, die neue Zertifizierung seine Erfolgsbilanz. Und dass es seit Mai nun endlich eine eigene Strahlentherapie auf dem Klinikgelände gibt, freut ihn außerordentlich. Fünf Jahre hat er dafür gekämpft, sagt er.

"Wir lassen ihn nur schweren Herzens gehen", sagt die Sprecherin Katharina Mathern. 2002 kam Rau nach Dachau. Da war er in der Münchner Universitätsklinik Großhadern bereits ein gefeierter Spezialist für Gefäß-, Viszeral- und Thoraxchirurgie. An der Seite von Professor Friedrich Wilhelm Schildberg hatte er sich bis zum leitenden Oberarzt hochgearbeitet und gemeinsam mit seinem Mentor medizintechnische Geräte entwickelt, die inzwischen weltweit bei Operationen genutzt werden. "Wir haben in der technischen Universität Hannover gesehen, wie ein Wasserstrahl Stahlplatten durchschneidet. Das wollten wir adaptieren und haben einen Prototypen entwickelt", berichtet Rau. Auch die Weiterentwicklung des Wasserstrahlresektors, bei der Strom ins Gewebe geleitet wird, gehört zum Handwerkszeug der Chirurgen. "Das war meine Habilitationsarbeit", sagt der Professor grinsend.

Horst-Günter Rau war ein leidenschaftlicher Chirurg. (Foto: Toni Heigl)

Bei der ersten Lebertransplantation in Bayern 1999 führte Rau das Messer. "Das war ziemlich aufregend. Die OP hat zwölf Stunden gedauert. Es war eine Frau aus Dachau", erinnert sich der Chirurg. "Wir haben damals ihrem Mann eine halbe Leber herausgenommen und sie in ihren Köper implantiert. Die Frau lebt immer noch." Obwohl er etwa 600 Operationen pro Jahr macht, hat er diese nicht vergessen. "Nach zwölf Jahren hat der Körper der Frau das fremde Organ wieder abgestoßen. Die Leber musste reimplantiert werden", erzählt er weiter.

Auch an die Lebertransplantation für zwei Buben im Alter von vier und zehn Jahren kann er sich erinnern, als wär es gestern gewesen. "Das war die längste OP - insgesamt 36 Stunden." Er erzählt die Geschichte mit seinem trockenen norddeutschen Humor ganz ohne Heldenepos: "Da war ein Taxifahrer in Augsburg, der hatte einen etwas unfreundlichen Gast. Der schnitt ihm plötzlich von hinten die Kehle durch." Der Mann starb offenbar noch am Tatort, seine Organe wurden aber gespendet. Die Leber zerteilten Rau und sein Team, um sie den Kindern einzusetzen. Die Brüder litten an einer seltenen Krankheit. "Das war eine tolle Sache und sehr aufregend. Bei dem Kleinen passte die Leber erst nicht rein, dann knickte die Vene immer wieder ab. Es war eine meiner letzten Taten in Großhadern", erinnert er sich.

Von September an wird Hjalmar Hagedorn (rechts im Bild gemeinsam mit Chefarzt Horst-Günter Rau) kommissarisch für die medizinischen Belange im Amperklinikum zuständig sein. (Foto: Toni Heigl)

In Dachau wollte der Chirurg schließlich aus dem Schatten seines Mentors treten und etwas Eigenes aufbauen. Viszeralchirurgie gab es in Dachau praktisch nicht. Als neuer Chef baute er den Bereich aus, ebenso die Thoraxchirurgie. Von der Gefäßchirurgie verabschiedete sich Rau jedoch bald - "da hat sich technisch zu viel verändert." Die Medizin hat sich immer weiter spezialisiert. "Und wir haben diese Entwicklung in Dachau angestoßen und geprägt", sagt er voller Stolz. Klar wäre es in manchen Bereichen gut, wenn die Ärzte auf mehreren Gebieten fit sind, damit sie Krankheiten richtig erkennen, gibt er zu. "Deshalb schließen wir uns mit mehreren Fachbereichen zusammen", erklärt der Direktor. "Bei uns klappt das ganz gut. Das Konzept hat sich bewährt."

Das onkologische Zentrum ist in Raus Augen das Kernstück der Klinik. Es ist sein ganzer Stolz. "Auch dieses Jahr haben wir die externen Kontrollen wieder mit Bravour bestanden", sagt der 65-Jährige. Seit 2014 leitet er das Zentrum. "Wir kämpfen momentan um die 500 Betten." Denn von dieser Größe an bekomme die Klinik Unterstützung von der Regierung. Schon jetzt kommen die Patienten von weit her nach Dachau, zum Beispiel aus Donauwörth oder Dillingen oder auch aus den Orten, die hinter Augsburg liegen, sagt Rau. "Wir sind im Speckgürtel von München das einzige Krebszentrum." Der Schwerpunkt bei der Tumordiagnostik und Behandlung liegt vor allem auf Brust, Darm, Kopf und Hals. "Die Sterblichkeit bei nicht zertifizierten Kliniken liegt bei sieben Prozent", erklärt Rau zur Verdeutlichung. "Zertifizierte Krankenhäuser haben eine Sterblichkeitsrate von etwa fünf Prozent und wir liegen bei 2,05 Prozent. Wenn ich Patient wäre, würden mich diese Zahlen sehr interessieren." Er stellt aber auch gleich klar, dass es nicht leicht ist, diese Erfolge zu erzielen. Das ganze Team muss an einem Strang ziehen. Regelmäßige Fortbildungen, gute Infrastruktur und ineinandergreifende Prozesse seien unabdingbar. "Professor Rau hat Dachau weitergebracht", erkennt sein Stellvertreter Hjalmar Hagedorn an.

Jürgen Rothaug und sein Ensemble Sonatori Bella Fontana brachten Rau zum Abschied ein Ständchen dar. (Foto: Helios)

Um seinen Nachfolger hat sich der 65-Jährige intensiv Gedanken gemacht: "Es muss jemand sein, der menschlich ist und sich kümmert. Denn Chirurgie muss man mit Empathie machen", sagt er. Auch wenn der Beruf ein technischer sei. Ein Kollege aus Großhadern genießt sein absolutes Vertrauen, ihn hat er vorgeschlagen. Über Namen darf jedoch noch nicht geredet werden, solange der Aufsichtsrat sein Placet nicht gegeben hat.

Und Rau? Was macht er nun? "Ich fahre jetzt gleich mit dem Rad gegen Krebs durch ganz Deutschland. Ich muss nur noch meinen Kittel abstreifen", sagt er. "Ich werde für euch Reklame machen", ruft er seinen Mitarbeitern zu, die ihm zum Abschied ein Ständchen mit Blasmusik singen, Blumen geben und eine Renten-Breze mit Operationsbesteck gebacken haben.

Wenn er in ein paar Tagen wieder zurück ist, geht's weiter - wenn auch nicht mehr im OP. Rau ist Mediziner mit Leib und Seele. Bis Ende des Jahres wird er noch im Medizinischen Versorgungszentrum Dachau Dienst schieben. Auch sonst hat er schon einige Ideen. Mit Ruhe haben sie nichts zu tun - eher mit Medizintechnik. Er ist fasziniert von den Robotern, die bei Operationen assistieren. "Sie sind die Zukunft", da ist er sich sicher. Bei der ersten Entwicklung der ersten Prototypen hat der Arzt schon mitgeholfen.

© SZ vom 24.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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