Wohin dreht sie sich, die große Schraube, die Klaus Herbrich zur Ausstellung "Raus" zum 100. Jubiläum der Künstlervereinigung Dachau (KVD) auf der Wiese unweit des Sparkassenplatzes gestellt hat? Es sind noch einige Tage bis zur Eröffnung am kommenden Sonntag, 4. August, doch bereits am Dienstagmorgen steht sein Ausstellungsobjekt. Gerade wird noch am Fundament gearbeitet, ein Mix aus Quarz, um die Schraube fest im Boden zu verankern - und um sie nach der achtwöchigen Ausstellung im Freien auch wieder abbauen zu können.
Für Klaus Herbrich ist die Definition der Drehrichtung klar: Die Schraube drehe sich nach oben, symbolisiere Aufschwung und Neuanfang, nicht ohne Grund trägt sie den nach Höherem strebenden Titel "Himmelspirale". Umrahmt von Bäumen, mitten in der grünen Wiese, wirkt das acht Meter hohe Stück aus Eisen tatsächlich gar nicht so fremd, wie man vermuten könnte. Normalerweise arbeitet der Bildhauer viel mit Stein - "bei aktuellen Themen eignet sich das aber nicht so gut", erklärt er. Zu lange dauere die Arbeit am Stein, das Material habe eine ganz andere, langlebige Wirkkraft. Und während ein Stein seine Geschichte Laien wohl niemals so bereitwillig offenbare, erzählt dieses Werk anschaulich eine Geschichte, die eng mit der Stadt Dachau verknüpft ist.
Das Kupferfarbene der Himmelsspirale harmoniert mit der Natur, fügt sich in sie ein, obwohl sie eigentlich ein Fremdkörper ist. Die Schraube ist ein Relikt aus der alten Dachauer Papierfabrik, entdeckt hat Herbrich sie bei einem Besuch. Eine acht Meter hohe Förderschnecke, die normalerweise versteckt in einer Röhre ist, dort waagerecht liegt. Herbrich hat sie aufgerichtet und ins Freie geholt, um "eine neue Sichtweise zu gestalten", wie er sagt. Es ist ein klassisches Readymade, ein Gegenstand aus dem Alltag, der durch einen neuen Kontext zum Kunstwerk erhoben wird. In diesem Fall gelingt das deswegen so gut, da Herbrich den Gegenstand aus seiner angestammten Umgebung löst, aufrichtet, ins Grüne stellt - und sich dieser dennoch in einen Zusammenhang fügen lässt. Schließlich bleibt die Papierfabrik für Dachau auch mehr als zehn Jahre nach ihrer Schließung noch das Symbol wirtschaftlichen Aufschwungs, sie steht für das Aufstrebende einer gesamten Region.
Zum Fremdkörper in dieser Umgebung wird einzig der Zaun, der um die Spirale herum aufgebaut wird. Eine Maßnahme, um die Sicherheit des Kunstwerkes im öffentlichen Raum zu gewährleisten. "Es gab im Vorhinein große Schwierigkeiten mit der Genehmigung ", erzählt Klaus Herbrich. Eigentlich wollte der Künstler seine Himmelsspirale nahe der Ludwig-Thoma-Wiese platzieren. Aufgrund von Sicherheitsbedenken wurde das allerdings nicht zugelassen; Herbrich zog also mit seinem Kunstwerk auf die private Wiese hinter dem Sparkassenplatz. Der Künstler ist mit dem Kompromiss und dem Ergebnis des Werkes zwar zufrieden, dennoch hat diese mehrmonatige Debatte Fragen aufgeworfen, die der Künstler nun auch mit seinem Werk verknüpft: Wo bleibt eigentlich die Eigenverantwortung des Einzelnen, wenn dieses Kunstwerk als mögliche Gefahr gewertet werde? "Nicht immer lässt sich die Verantwortung an Institutionen abschieben", sagt Herbrich, nicht immer seien Verbote und strenge Regulierungen eine passende Antwort. Die Kunst kann die Leidtragende sein.
Ein ähnliches Projekt hat Herbrich im niederbayerischen Filstal realisiert, dort steht bereits seit rund 20 Jahren eine ähnlich hohe Skulptur von ihm. Besonders schön sei es, sie im Wandel der Jahreszeiten zu beobachten, erzählt der Künstler. Wenn im Winter die Flächen teilweise von Schnee bedeckt seien oder im Frühling die Vögel darauf herumliefen. Eindrücke wie diese bestärkten die KVD in ihrer Idee, die Werke von 18 Dachauer Künstlerinnen und Künstlern sowie weiterer 15 Gäste aus ganz Bayern im Stadtgebiet auszustellen, Kunst erlebbar zu machen, sie einer Atmosphäre außerhalb von Räumen und Museen auszusetzen - zu sehen, ob sie sich in diese einfügen oder ob sie von dieser abgestoßen wird.
So offen wie der Raum um Herbrichs Himmelspirale kann auch deren Interpretation bleiben: Ob sich die Spirale nun gen Himmel oder in den Boden bohrt, bleibt der Sicht, dem teils flüchtigen oder bewussten Eindruck jedes Vorbeigehenden selbst überlassen. Manch einer könnte die Hoffnung des Aufschwungs sehen, ein anderer die Angst des Weiter- oder gar des Überdrehens.